In der Studie „Die neue Macht der Bürger?“ hat sich das Göttinger Institut für Demokratieforschung ausgiebig der Protestforschung gewidmet. Auch wenn von „dem Wutbürger“ immer weniger die Rede ist, bleibt das Thema Protest in Deutschland virulent und dürfte mit der häufig als Jahrhundertprojekt charakterisierten Energiewende eine neue Runde einläuten. Während die Versorgung mit Windrädern in bevölkerungsschwachen Regionen mittlerweile weit vorangeschritten ist, steht ein massiver Ausbau überirdischer Stromleitungen, flächenintensiver Konverterstationen, riesiger Stromspeicher- und Biogasanlagen noch aus. Dazu kommen die Diskussionen und Erprobungsstationen zum Thema Fracking, CCS und Geothermie. Dass dieser Aus- und Umbau all jener teils bewährten und teils unbekannten – somit die Bevölkerung verunsichernden – Technologien zu neuen und massiven Protesten führen wird, ist an den bisherigen Demonstrationen gegen Windkraftanalgen, Solarparks, Pumpspeicherkraftwerke oder auch Stromtrassen ablesbar gewesen.
Die Energiewende wird nicht nur die gesellschaftliche Diskussion über neue, Strom erzeugende und Strom transportierende Bauprojekte verstärken, sondern auch Debatten über Energieverbrauch und Einsparpotentiale entfachen, schließlich werden gesellschaftliche Aushandlungsprozesse über Kosten und die Verteilung der finanziellen Lasten diese energiepolitische Transformation kritisch begleiten. Dabei wird es im Kern um nicht weniger als um die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Teilhabe und Wohlstand, nach dem Umgang mit Natur und Landflächen einer Gesellschaft gehen. Auch aus diesem Grund wird die Energiewende nicht ohne Kritik, Protest und Widerstand realisierbar sein. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wer die Resistenz unter welchen Voraussetzungen organisiert und trägt, sondern auch darum, ob dieser einflussreich, durchsetzungsstark und gestaltend auf Verwaltung, Unternehmen, Bauträger, Planer und politische Entscheider einwirken kann. Dahinter steht auch die Frage nach sich verändernden Demokratie-Normen und nach der Responsivität des politischen Systems.
Es sollen nicht nur die Entstehung und Entwicklung von einzelnen Protestgruppen verfolgt, sondern auch deren Widersacher und Bündnispartner eingehend untersucht werden. Wie reagieren beispielsweise einzelne Unternehmen, wenn sie mit ihrem Bauvorhaben auf Widerstand stoßen? Verändern die aus der Exekutive beteiligten Beamten ihre Einstellung zu einem Projekt, wenn sie mit protestierenden Bürgern konfrontiert werden. Gibt es seitens der Vorhabensträger und der an den Planungen beteiligten Behörden womöglich eine Neigung, Protest und Widerstand auszuweichen? Oder entstehen neue Partizipations- und Kommunikationskulturen? Und wie finden in diesem Zusammenhang die Interessen derjenigen Berücksichtigung und Gehör, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in diesen Planungsprozessen einbringen können? Mit all diesen Fragen wird sich ein Arbeitsgruppe am Institut für Demokratieforschung in den kommenden zwei Jahren beschäftigen.