Wo steht die LINKE?

[analysiert]: Robert Lorenz über den Zustand einer Partei in der Krise.

Am Wochenende findet in Dresden der Bundesparteitag der LINKEN statt und im September steht die Bundestagswahl an. Beide Termine lenken die öffentliche Aufmerksamkeit mal wieder auf die Partei, die in den vergangenen drei, vier Jahren als heillos zerstritten galt, und die sich immer wieder die Frage gefallen lassen musste, ob da nicht etwas 2007 aus zwei Parteien zusammengeschlossen worden sei, was nicht zusammengehöre.[1] Nach mehreren Jahren furioser Wahlerfolge und steigender Mitgliederzahlen geriet die Partei in starke Turbulenzen. Wo steht sie heute?

Früher war alles noch einfacher: 2004/05 waren WASG und PDS/Linkspartei prononciert von den sozialen Protesten gegen die Hartz-Gesetze getragen worden. Anschließend verlängerten sie den Protest der Straße in die parlamentarische Opposition. In den darauffolgenden Jahren kamen jedoch etliche Themen hinzu, verlor Hartz IV an Stellenwert und rückte manches Mal auch in der politischen Debatte der LINKEN in den Hintergrund. Die neue Partei verzettelte sich programmatisch mit NATO-Abschaffung, Auslandseinsätzen der Bundeswehr, kubanischem Sozialismus oder der Israel-Frage – viele ihrer Wähler interessierte das alles allerdings vermutlich gar nicht so sehr. Wahrscheinlich basierte ihr Erfolg eine ganze Zeitlang auf der Wahrnehmung als one-issue-Partei, als Widerpart zu den übrigen Parteien, von denen sich etliche Bürger infolge wiederholter Enttäuschung nichts mehr erwarteten, und als politische Stimme jener Bevölkerungsteile, die von der Soziologie unter das Phänomen „Exkludierte“ gefasst werden.

Die meisten Wähler dürften sich mutmaßlich für programmatische Einzelheiten gar nicht begeistert haben, weshalb sie auf die dazugehörigen Debatten eher mit Unverständnis als mit Leidenschaft reagierten. Wieder einmal, so werden womöglich nicht wenige gesagt haben, beschäftigte sich eine Partei mit sich selbst, als nach dem Austausch der Parteiführung und der Programmfindung zahlreiche Konflikte ausbrachen. Seit 2010 hat die LINKE dadurch einen wesentlichen Faktor ihrer Attraktivität eingebüßt: Seither ist sie nicht mehr in der Lage, die anderen Parteien aufzuscheuchen, harte Oppositionspolitik zu betreiben, beharrlich auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Vielmehr driftete sie in innere Zerstrittenheit ab, die den Anschein erweckte, als seien das Schicksal der Partei und einiger ihrer Spitzenleute bedeutsamer als das der Gesellschaft. Sie unterschied sich damit nicht mehr von jenen Parteien, denen die Wähler noch kurz zuvor ihre Stimme entzogen hatten. Die LINKE war mit ihren Binnenkonflikten nun wie jede andere Organisation auch – weshalb sollte man sie aus der verzweifelten Lage eines Hartz-IV-Empfängers, einer alleinerziehenden working-poor-Mutter oder eines allgemein Parteienverdrossenen denn schon wählen? Für solche Wahlberechtigte, die sich am Zustand des Parteiensystems störten kamen andere Organisationen auf, die den Charme des Unkonventionellen versprühten und für kurze Zeit anziehend wirkten: erst die Piraten, dann die Alternative für Deutschland.

Seit 2012 befindet sich die LINKE am Scheideweg ihrer Parteigeschichte. Vor und nach dem Göttinger Parteitag im Juni 2012 haben Journalisten die Richtungsfrage gestellt: Würden sich die innerparteilichen Streitereien zum selbstzerstörerischen Unheil der Partei fortsetzen – „Spaltung und Rückfall in die Rolle als ostdeutsche Regionalpartei – oder eine nahe eine Wiedergeburt als modernisierte Herausforderin, gar mögliche Partnerin für SPD und Grüne“[2] oder würde sich mit dem neuen Vorsitzendenduo eine Ära von Frieden und Freude einstellen, stehe also der Untergang oder ein Neuanfang bevor?

Von Katja Kipping und Bernd Riexinger, den neuen Vorsitzenden, weiß man bislang lediglich, dass sie offenbar reibungslos miteinander zusammenarbeiten, fleißig um einen Aufwärtstrend bemüht sind, sich nicht als Rivalen, sondern Partner verstehen. Unter ihnen ist die Partei zumindest auf der Führungsebene endlich wieder zur Ruhe gekommen. Doch hat dies auch seinen Preis: Nunmehr gilt sie als konturlos, hat an Sensationsreiz für die Hauptstadtjournalisten verloren, ihre mediale Präsenz geht zurück, kurz: Irgendwie ist sie langweilig und gewöhnlich geworden. Bereits kurz nach dem Göttinger Parteitag offenbarten sich die medialen Reizstrukturen, die so sehr auf innerparteiliche Konflikte ausgerichtet sind, in einer Weise, dass gleich mehrere Zeitungen die Meldung verbreiteten, demnach aus Protest gegen Riexingers Wahl der Kreisvorstand Zollernalb zurückgetreten sei – so als ob es sich dabei um ein parteiintern weitverbreitetes Phänomen mit düsterer Aussagekraft gehandelt habe. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass der Spiegel in seinen Artikeln nicht ohne Gespür neuralgische Stellen der LINKEN berührt, muss man dessen Berichterstattung als weiteren Indikator für die relative Ruhe betrachten, die mittlerweile in die Partei eingekehrt ist. Zuletzt ist dort ein Kampf zwischen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht um die innerparteiliche Führungsrolle ausgemacht worden – für den Parteibetrieb eine vergleichsweise normale, geradezu übliche, insofern für die LINKE sogar ausgesprochen harmlose Angelegenheit.

Litten die vorherigen Parteivorsitzenden Lötzsch und Ernst an ihrem Status, Nachfolger der erfolgreichen Bisky und Lafontaine zu sein, profitieren Kipping und Riexinger nun ihrerseits vom Kontrast, den sie zu ihren Amtsvorgängern bilden. Die Erinnerung an die hochgradig problematische und erfolglose Zeit unter Ernst und Lötzsch gibt dem neuen Gespann die Möglichkeit zur positiven Abgrenzung: Kippings und Riexingers Ankündigung, die „Kunst des Zuhörens“[3] praktizieren wollen, hätte wohl kaum mehr die Bedeutung einer Floskel aus dem fiktiven Handbuch von Antrittsphrasen für Parteivorsitzneulinge, ließe sie sich nicht mit Blick auf die Vorgänger Ernst und Lötzsch doppelt verstehen: zum einen, dass es zur Führung der LINKEN eben eines ganz besonderen, feinfühligen Stils bedürfe; zum anderen, dass dies die beiden Vorgänger nicht begriffen und beherrscht hätten. Beide Varianten liefen jedenfalls auf das Urteil hinaus, dem Gespann Ernst/Lötzsch Versagen zu attestieren. Und setzt man überdies voraus, dass Forderungen und Mahnungen in der Regel Zustände enthalten, die erwünscht, aber (noch) nicht real sind, so wären dies unmittelbar nach dem Göttinger Parteitag eine „Kultur des Miteinanders“ (Caren Lay), eine „Kultur der Offenheit“ sowie besagte „Kunst des Zuhörens“ (Katja Kipping).[4] Die Abwesenheit von Miteinander, Offenheit und Zuhören wäre dann wiederum den geschiedenen Parteivorsitzenden Lötzsch und Ernst anzulasten.

Freilich haben die Neuen keine Wunder bewirkt, die Parteikrise hält an: rückläufige Mitgliederzahlen (von 69.500 im Jahr 2011 auf 63.800 im Folgejahr), fortdauernde Personalquerelen (Ende 2012 verließ der langjährige Abgeordnete Wolfgang Nešković im Streit die Bundestagsfraktion, im thüringischen Landesverband ließen die Delegierten im März 2013 als Votum gegen die Personalpolitik des Vorstands die designierte Spitzenkandidatin für die Bundestagswahlliste durchfallen), der gescheiterte Verbleib im niedersächsischen Landtag infolge einer Wahlniederlage, ein als schwach bewertetes Wahlprogramm und schließlich auch noch parteiinterne Kritik am achtköpfigen Bundestagswahlkampfteam, dem mit Diana Golze und Nicole Gohlke Charaktere angehören, die selbst in der LINKEN kaum bekannt sein dürften, geschweige denn in der außerparteilichen Öffentlichkeit.

Vor allem aber: Innerhalb der LINKEN existieren mehrere Stile, Politik zu begreifen und Politik zu machen – nicht nur die Inhalte, sondern auch die Prozeduren unterscheiden sich z.T. stark. Es fehlen derzeit aber Persönlichkeiten, welche die hohe politische Führungskunst beherrschen, diese abweichenden Einstellungen und Wünsche zu managen, teilweise Unvereinbares nebeneinander bestehen zu lassen, politologisch formuliert: Heterogenität zu integrieren.

Die LINKE ist eine vielseitige Partei. Aber ihr gelingt es nicht, gegenüber potenziellen Wählerinnen und Wählern diese Vielfalt als etwas Konstruktives, Vorteilhaftes darzustellen. Stattdessen erscheint sie stets als selbstzerstörerisch oder gelähmt. Einer solchermaßen destruktiven oder zumindest phlegmatischen Partei traut jedoch kaum jemand zu, Politik zu verändern und Interessen zu vertreten – die fundamentalen Aufgaben einer Partei.

Dr. Robert Lorenz arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

 

Zum Thema:


[1] So etwa Lau, Mariam: „Lauter gute Gedanken“, in: Die Zeit, 13.01.2011.

[2] Deggerich, Markus/Hickmann, Christoph: Napoleon und Lady Macbeth, in: Der Spiegel, 26.05.2012.

[3] Zitiert nach Hollstein, Miriam: Neue Parteiführung, in: Berliner Morgenpost Online, 12.06.2012.

[4] Zitiert nach Büchner, Gerold et al.: Heißer Frieden, in: Berliner Zeitung, 05.06.2012.

Foto: Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM)  / pixelio.de