[kommentiert]: Katharina Rahlf berichtet von einer Tagung über Politik im Fernsehen.
„Produktionen wie House of Cards, The West Wing und Borgen als sicherlich populärste Beispiele, aber auch The Thick of It, Political Animals oder Secret State – in den letzten Jahren hat die Anzahl aufwendig produzierter ‚Qualitätsserien‘ sichtbar zugenommen. In Zeiten vermeintlicher Politik(er)-verdrossenheit scheinen der Erfolg und die Faszination für Formate, die dezidiert um das Politische kreisen, erstaunlich, jedenfalls begründungswürdig.“[1] Dies konstatierte die Zeitschrift INDES im Herbst 2014 und erkundete, „auf welchen Vorstellungen von politischer Alltagskultur [diese] ‚Politikserien‘“ basieren. Nun, zwei Jahre später, fast ein Déjà-Vu: „Fernsehserien haben in den letzten Jahren eine neue und ganz erstaunliche Konjunktur und Popularität erfahren. Serien wie House of Cards, Homeland oder Borgen, aber auch The Walking Dead, Real Humans oder The Good Wife sprechen dabei ganz explizit politische Fragestellungen an.“[2] Die Tagung im Dresdner Hygienemuseum (27.–29.10.2016), organisiert von der TU Dresden und der bpb, „fragt nach dem politischen Gehalt von Fernsehserien“. Offenbar treibt dieses Phänomen die Wissenschaft nach wie vor um. Oder, anders ausgedrückt: Hat die berüchtigte Suchtwirkung von Serien jetzt auch die akademische Welt erfasst? Und sind PolitologInnen gar besonders anfällig?
Zur Einführung der Tagung wird zunächst das in den nächsten Tagen zu bearbeitende Feld abgesteckt: Wie verhält es sich denn nun mit Serien und der Politik? Ein komplexes Zusammenspiel findet hier statt, das Anja Besand und Mark Arenhövel folgendermaßen aufdröseln: Serien nutzten Politik als Kulisse, interagierten mit und reagierten auf Politik – und auch die Politik reagiere wiederum auf die Serien. „Borgen“ z.B. habe geradewegs das „Skript für die reale Politik geliefert“. Auch Jürgen Trittins Lob von „House of Cards“ als wirklichkeitsgetreue Abbildung des politischen Betriebes[3] zeige eine solche Verquickung von Fiktion und Realität an. Die Serien seien somit „Seismografen des Politischen“ – oder werden zumindest so wahrgenommen. Aber wie erklärt sich überhaupt die Faszination für diese Formate ob des verbreiteten Überdrusses an realer Politik? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Politische Bildung ziehen – sind Politikserien hier möglicherweise ein vielversprechendes Instrument?
Den Anfang macht – sehr gründlich und systematisch – Andreas Dörner. Zunächst und ganz elementar mit einer Definition: Politikserien seien „mehrteilige fiktionale Erzählungen über die politische Wirklichkeit“, könnten sich im „politisch engeren Sinne“ um „politische Akteure und Institutionen“ drehen oder sich, im „weiteren Sinne“ mit Fragen nach Macht und Herrschaft befassen. Dörner interessiert sich v.a. für erstere, bei denen er wiederum drei „Konzepte“ unterscheidet: Zeigt eine Serie, wie „gute“ Ziele mit „guten“ Mitteln erreicht werden, hätten wir es mit dem „utopischen Raum“ der „Idealpolitik“ zu tun. Sobald zwar immer noch diese „guten Ziele“ anvisiert, aber mit „fragwürdigen Mitteln“ angestrebt würden, gehe es um „Realpolitik“: Die Akteure seien abgeklärt und desillusioniert, hätten zwar hehre moralische Überzeugungen, wüssten aber, dass in der Politik eben doch kein Habermas’scher herrschaftsfreier Diskurs möglich sei – und ergriffen deshalb notgedrungen-pragmatisch weniger hehre Maßnahmen.
Serien schließlich, in denen „fragwürdige Mittel“ zum Erreichen ebenso „fragwürdiger Ziele“ dienten, es machthungrigen Akteuren um Machterhaltung zum Selbstzweck gehe, handelten von „Machtpolitik“. Immer aber stelle sich die Frage: Was beabsichtigen diese Serien bzw. deren Macher; sollen die Szenarien als Blaupause oder lediglich zur Orientierung, als Vergleichsfolie dienen? Der „Boom der Politikserien“ erkläre sich Dörner zufolge nämlich vor allem dadurch, dass sie „andere politische Räume als die der ‚normalen‘ Berichterstattung“, die berüchtigte „Hinterbühne“ beleuchten würden – und das mit allen Kunstkniffen, die das Genre „Qualitätsserien“ aufzubieten habe: komplexer Erzählstruktur, ambivalenten Figuren, hohem Erzähltempo. Nur dürfe man sich eben nicht der Fehlannahme anschließen, dass politische Szenerien, etwaige Realitätsbezüge tatsächlich Indikatoren für eine besonders realistische Darstellung seien – schließlich handele es sich immer noch um fiktive Formate, die eine „Als-ob-Welt“, nun ja, eben: vorspielen.
Die entscheidenden Fragen, so betont Dörner, lauteten daher: „Welche Bilder von Politik werden produziert?“ und, mit Blick auf die Zuschauer: „Welchen Einfluss haben sie?“ Zunächst müsse man differenzieren, welches Publikum man überhaupt meine: das „Laienpublikum“, dem der Blick in die Hinterzimmer der Politik neue Perspektiven eröffne, oder das „Fachpublikum“, z.B. PolitikwissenschaftlerInnen, bei denen diese Serie eher eine „Reflexion über die eigene Tätigkeit und Wahrnehmungen“ auslöse bzw. auslösen sollte. Studien über „The West Wing“ hätten gezeigt, dass das Zuschauen in der Tat messbare Effekte zeitige: Präsident Bartlet wirke attraktiv auf junge amerikanische Intellektuelle, die sich daraufhin vermehrt politisch engagierten. Auch wurde die Institution des Präsidentenamtes insgesamt positiver gesehen – wovon auch der republikanische Amtsinhaber George W. Bush profitiert habe.
Allerdings sei „The West Wing“ eindeutig den „idealpolitisch“ grundierten Serien zuzuordnen. Was aber, wenn diese Einflussnahme auch bei weniger optimistischen Formaten greift? „House of Cards“ bspw. zeige ein „sehr effektives, aber rücksichtsloses Handeln“ – dienen solche Darstellungen ebenfalls als „Vorbild“? Und steigern misstrauische Darstellungen auch das Misstrauen in die reale Politik? Wichtige Fragen, die Dörner hier aufwarf – und die er selbst zugleich mit einem Appell verband: Bisherige Studien fanden zumeist in experimentellen Designs statt, mit der exklusiven Gruppe Studierender als Probanden; die Politikserienforschung brauche daher dringend eine ausdifferenzierte Zuschauertypologie.
Kai Arenhövel schloss an mit einem Vortrag über die „politische Lesbarkeit von Qualitätsserien“. Anders als Dörner legte er explizit Wert auf einen „weiten Politikbegriff“ und widmete sich daher, wie das Programm angekündigt hatte, auch solchen Serien, „in denen das Politische erst auf den zweiten Blick offensichtlich wird“. Sein wichtigstes Anliegen lautete: Für jede Serie existiere ein Vielzahl „unterschiedlicher Lesarten“, man solle es nicht bei der naheliegenden, offensichtlichen Deutung belassen, sondern „kritisch gegenlesen“. Beispielhaft nannte er eine Reihe Serien und deren „alternative“ Interpretationen: Der nahende Winter in „Game of Thrones“ („Winter is coming“) könne einerseits für die Wiederkehr des Kalten Krieges stehen, andererseits, und von ihm favorisiert, auch als Warnung vor dem Klimawandel gedeutet werden. „Breaking Bad“ präsentiere neben der Geschichte der White-Familie Einsichten in die prekarisierte US-amerikanische Mittelklasse, die „nur noch in die Kriminalität abgleiten“ könne. „The Wire“ hingegen beschäftige sich auf den zweiten Blick mit der Frage: „Was passiert bei Institutionenverfall in Kommunen?“; „Mad Men“ zeige nicht nur den Arbeitsalltag einer Werbeagentur in den 1960er Jahren, sondern sei gleichfalls eine „Studie über die Komplexität der Gesellschaft“.
Wenngleich man sich hier fragen mag, ob diese Lesarten tatsächlich allesamt so ungewohnt sind – eine kongeniale Auseinandersetzung mit dem „Niedergang des amerikanischen Gesellschaftsmodells“[4] erkannten journalistische Texte bei „The Wire“ und „Breaking Bad“ schon vor mehreren Jahren; und auch, dass Walter Whites Geschichte nur „als Drogenserie getarnt“ gewesen sei und eigentlich „jenes apokalyptische Provinzszenario [zeigt], das entsteht, wenn Menschen jahrelang von Angst getrieben werden“[5]. Trotzdem ist diese Aufforderung, tiefer zu schürfen, natürlich wichtig: Gerade die Sozialwissenschaften, die ohnehin schon viel mit der Konstruktion der Wirklichkeit hantieren, sind hier – bei einem Gegenstand der dezidiert fiktiv, also konstruiert ist, aber offenbar Gefahr läuft, paradoxerweise als Realität (miss-)verstanden zu werden – gefragt.
Ende des ersten Teils dieses Tagungsberichts; der zweite Teil mit dem Blick auf weitere Vorträge und die abschließende Podiumsdiskussion erscheint in Kürze.
Katharina Rahlf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. INDES, H. 4/2014, Schwerpunkt „Politikserien“, URL: http://indes-online.de/heft/4-2014-politikserien/ [eingesehen am 11.11.2016]; für beide Zitate s. Kiegeland Julia, Klatt, Jöran/Rahlf, Katharina: Editorial, in: ebd., S. 1.
[2] So der Ankündigungstext zur Tagung „Von House of Cards bis Game of Thrones. Eine Tagung über Politik im Fernsehen“, nachzulesen unter URL: https://tu-dresden.de/gsw/slk/ressourcen/dateien/aktuelles/news/Serien_Politik_Flyer.pdf?lang=de [eingesehen am 11.11.2016].
[3] Vgl. Trittin, Jürgen: Wer das Feuer liebt, in: Der Freitag, 09.01.2014, URL: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wer-das-feuer-liebt/ [eingesehen am 11.11.2016].
[4] Oehmke, Philipp: Liebe in Ruinen, in: Der Spiegel, H. 30/2014, URL: http://www.spiegel.de/spiegel/a-776220-3.html [eingesehen am 11.11.2016].
[5] Ebd.