Von „House of Cards“ bis „Game of Thrones“ (Teil 2)

Beitrag verfasst von: Katharina Rahlf

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[kommentiert]: Katharina Rahlf berichtet von einer Tagung über Politik im Fernsehen.

Ob der Fülle einer dreitägigen Tagung mit mehreren parallelen Panels wäre eine Wiedergabe sämtlicher Beiträge sicherlich eine etwas ermüdende Lektüre.[1] Stattdessen sei hier auf zwei Höhepunkte hingewiesen: Elisabeth Bronfen sprach über „The Americans“ – eine in den 1980er Jahren spielende Serie über zwei KGB-Spione, die als Ehepaar getarnt in den USA leben und nach außen die perfekte typisch amerikanische Familie abgeben. Bronfens Beobachtungen und Analysen – dicht, präzise und der gelungenen Mischung aus Enthusiasmus und forscherischer Distanz entsprungen – zeigen, wie erkenntnisfördernd die Auseinandersetzung mit vermeintlich „einfacher“, popkultureller Kost sein kann: Da ist zum einen die „Double Time“: In Serien, die in früheren Jahrzehnten spielen, aber heute gedreht worden sind, werde „die Vergangenheit immer durch die Linse der Gegenwart betrachtet“ – als Zuschauer(in) unternehme man ein „Gedankenexperiment“ und frage, was „die spezielle Periode einem jetzt noch zu sagen [hat]“. Denn: Beileibe handele es sich nicht um reine Geschichtslektüre, sondern solche Darstellungen „sagen mindestens so viel über heute wie über damals“ aus. Zum anderen, und das mag gerade in diesem Präsidentschaftswahljahr besonders interessant sein, komme in „The Americans“ eine US-spezifische Culture of Paranoia subtil zum Vorschein: Die allgegenwärtige Bedrohung lasse sich nur vermuten, aber nicht fassen; deshalb stelle man permanent alles unter Verdacht; dieses nebulöse Gefühl sei aber unbehaglich, man wolle die Bedrohung dingfest machen, weshalb man mehr oder weniger gezielt bestimmte Figuren auswähle, um sie zum Feind zu erklären („target them as enemies“). Nicht selten jedoch die Falschen – das Offensichtliche hingegen erkenne man aber nicht.

Sebastian Herrmann schließlich brach eine Lanze für „The West Wing“ – hatte diese Serie doch bis dato auf der Konferenz wenig Sympathie erfahren: „zu mechanisch“, „zu institutionell“, „zu pathetisch“, schlicht: zu verklärend sei sie. Herrmann hingegen zeigte, wie sich „The West Wing“ „der Politikverdrossenheit entgegenstellte“, indem es „Wissen, Fakten, Realität als komplex, aber: handhabbar“ präsentiere und damit auch der epistemic panic – der zufolge die politische Auseinandersetzung eben nicht mehr auf differierenden Zielen und Werten, die zu verhandeln seien, basiere, sondern fundamental inkompatible Weltsichten, unterschiedliche Realitäten sich unversöhnlich gegenüberstünden und eine radikale Skepsis bezüglich der Vermittlung und Mediation von Wissen über „Fakten“ dominiere – ein wenig Konter geben könne.

Mit seinem Fokus auf ebendiese Vermittlungsebene betreibe „The West Wing“ politische Bildung – und das auf eine sehr textlastige, zuweilen „nerdige“ Art und Weise: z.B. wenn sich eine ganze Episode um eine detaillierte Steuerfrage drehe. Der Erfolg dieser Serie, in der „nur geredet“ werde und „nichts passiert“ (so eine gängige Charakterisierung), erkläre sich aber nicht zuletzt aus genau dieser „Sprachliebe“ – Politik gelte hier als „Sprachhandeln“, das mit Wortwitz und Eloquenz betrieben werde. Herrmanns Ausführungen sind jedenfalls so überzeugend, dass auch die bisherigen Kritiker nun bekennen, „The West Wing“ „jetzt vielleicht doch nochmal gucken“ zu müssen.

Die Podiumsdiskussion zum Tagungsabschluss, an der auch Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), beteiligt ist, resümiert, dass sowohl die wissenschaftlich-forscherische als auch die politikdidaktische Auseinandersetzung mit Politikserien sich und anderen immer wieder die Fiktionalität der Formate bewusst machen müsse. Jedenfalls aber würden diese Serien, da sind sich alle einig, großes Potenzial für die politische Bildung bergen, z.B. in Schulen: Via Populärkultur könne man zu einer Zielgruppe vordringen, die mit „klassischen Mitteln schlecht zu erreichen“ sei; und warum solle man die intrinsische Motivation des Serienpublikums nicht nutzen, um politische Fragen zu erörtern?

Und das Resümee der Tagungsteilnahme? Der Kopf schwirrt vor Informationen, Interpretationen, Serienschnipseln. Genug Inspiration hat man sicherlich mitgenommen. Das Thema ist zweifellos attraktiv, die Veranstaltung war ausgebucht – nicht eben die Regel bei wissenschaftlichen Tagungen. Allerdings zeitigt dieses Aufeinandertreffen von populärem Gegenstand und akademischer Auseinandersetzung auch den einen oder anderen kuriosen Effekt: Sicherlich kann die Politikwissenschaft mehr Enthusiasmus vertragen; aber die vereinzelte Empörung im Publikum ob zu viel Verrat des Fortgangs dieser oder jener Serie, gar das empörte Verlassen des Saales bei „Spoilern“ verträgt sich dann doch nicht so recht mit einer seriösen wissenschaftlichen Analyse. Überhaupt lassen sich immer wieder höchst subjektive Urteile vernehmen – die vorrangig das Gefallen oder eben Nicht-Gefallen einer Serie kundtun.

Brenzlig wird dies, wenn bspw. eine Serie wie „The West Wing“ aus dem wissenschaftlichen Blickfeld gerät – und PolitikwissenschaftlerInnen Gefahr laufen, sie lediglich aus Geschmacksgründen im Wortsinne zu übersehen. Ob man sich des Weiteren der These, dass die Beschäftigung mit eindeutig erkennbarer Fiktion für die wissenschaftliche Erkundung „viel geeigneter“, hingegen das „Vorspiegeln realer Politik viel fataler“ sei und man deshalb solchen Serien, die sich „im weiteren Sinne“ mit Politik beschäftigen, den Vorrang geben solle, anschließen sollte, ist fraglich. Müsste man sich dann deshalb nicht gerade den „real“ anmutenden Formaten widmen? Ganz offensichtlich ist eine Distanz zum „engen Politikbegriff“ en vogue – gleichzeitig ließe sich einwenden, dass PolitikwissenschaftlerInnen auch und gerade aus explizit im politischen Setting angesiedelten Serien Erkenntnisse für ihr Fach ziehen können.

Glücklicherweise ist das Feld aber groß genug, damit beide Herangehensweisen ausreichend Forschungsmaterial finden. Bemerkenswert ist zudem die Dominanz von „House of Cards“ – und hier droht, verglichen mit „The West Wing“, das gegenläufige Szenario: Sicherlich eine auch aus wissenschaftlicher Sicht lohnenswerte Produktion; doch sollte sie nicht zum Maß aller Dinge erhoben werden. Anderen Serien gebührt ebenfalls Aufmerksamkeit – und, jetzt geht es um die bestehenden Leerstellen (die natürlich eine Tagung allein auch gar nicht allesamt hätte füllen können), vor allem den Bezügen dieser Serien untereinander. Eine weitere Forschungslücke, auf die auch die ReferentInnen wiederholt hingewiesen haben, ist die Rezeptionsforschung: Man weiß schlichtweg zu wenig über die ZuschauerInnen, um belastbare Aussagen treffen zu können; aber der noch junge Zweig der Politikserienforschung kann ja durchaus noch in diese Richtung wachsen.

Und zuletzt zeigt sich auch hier – aber das ist nicht der Veranstaltung anzulasten, sondern liegt in einem grundsätzlichen Kommunikations- und Kooperationsdefizit begründet –: In manchem, vor allem in der Beschäftigung mit Pop(ulärkultur), welche die Wissenschaft ja erst mühsam als ernstzunehmendes Sujet anerkannt hat, hat das Feuilleton der Politologie (noch) einiges voraus.

Katharina Rahlf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Zumal die Beiträge nachgehört werden können unter URL: https://soundcloud.com/dhmdresden/sets/von-house-of-cards-bis-game-of [eingesehen am 11.11.2016].