Kann Late Night diese Welt noch retten?

Beitrag verfasst von: Jan Philip Clooth

Themen:

zur "Satire"-Reihe[präsentiert:] Jan Philip Clooth über die Ergebnisse einer eigens durchgeführten Studie zum Verschwimmen der Grenzen von „News“ und „Entertainment“ und das aufklärerische Potenzial von Satiresendungen

In wenigen Tagen ist es so weit: In den USA wird gewählt und die ganze Welt schaut hin. Doch während dem noch amtierenden Präsidenten und einstigen Wahlkämpfer Barack Obama in großen Teilen der Welt beinahe messianische Verehrung und damit einhergehend ebenso hohe Erwartungen entgegengebracht worden sind, zittert man diesmal rund um den Globus vor einem möglichen Präsidenten Donald Trump. Wie aber konnte es jemand in den USA zum Präsidentschaftskandidaten bringen, der schon vor Amtsantritt ganze Erdteile gegen sich aufgebracht hat und – keine Woche vor der Wahl – noch immer Chancen auf den Wahlsieg hat (trotz der Veröffentlichung seines „grab ’em by the pussy“-Videos[1])? Bei der Suche nach Antworten hilft ein Blick auf die die amerikanischen Late-Night-Shows.

Viele Beobachter schreiben den US-Medien eine beträchtliche Mitschuld an dieser Malaise zu.[2] Der liberale Medienkritiker Bill Moyers – dem schon die große Ehre zuteilwurde, von Trump persönlich auf dessen Lieblingsmedium Twitter beleidigt zu werden[3] – warf den US-amerikanischen Fernsehanstalten vor, sich Trumps 24/7-Selbstvermarktungsstrategie bedingungslos und unreflektiert hinzugeben. Der Vorstandschef von CBS, Les Moonves, scheint Moyers dabei vollumfänglich zuzustimmen und postulierte auf einer Konferenz fröhlich: „It [The Trump Circus] may not be good for America, but it’s damn good for CBS. It’s a terrible thing to say, but bring it on, Donald, go ahead, keep going.“[4]

Aber haben die US-Medien im Fall Trump wirklich kollektiv versagt? Ein Blick auf einige der weitreichendsten Formate, klassische Fernsehnachrichten und politische Satiresendungen aus dem Late-Night-Segment verspricht in diesem Kontext einen Erkenntnisgewinn.

Denn im Unterschied zu Deutschland gibt es in den USA mit der „Daily Show“ bereits seit zwanzig Jahren eine Satiresendung, die sich Schritt für Schritt zu einem bedeutsamen Meinungs- und Informationsmedium entwickelt hat. Aktuelle Studien belegen, dass sich v.a. junge Zuschauer zwischen 18 und 29 Jahren (sog. Millenials) zunehmend Satireformaten als Quellen politischer Informationen zuwenden und gleichzeitig klassische Nachrichtensendungen verschmähen.[5]

Der Ruhm der „Daily Show“, die seit Ende 2015 von dem südafrikanischen Satiriker Trevor Noah moderiert wird, begründet sich vor allem auf deren Rolle im Post-9/11-Amerika und dem zweiten Irakkrieg. Während seinerzeit beinahe alle Medienorganisationen – auch populäre Comedy-Formate wie „Saturday Night Live“ – der Bush-Administration mehr oder weniger blind in den Krieg folgten, kritisierte Stewarts „Daily Show“ die US-Medien scharf für deren vorauseilenden Gehorsam und unreflektierten Patriotismus. Seitdem hat die „Daily Show“ nicht nur journalistische Meriten wie den hochangesehenen „Peabody Award“ eingefahren, sondern auch eine neue Generation von Satirikern gefördert, die es ihrerseits zu großer Popularität und Anerkennung gebracht haben. Mit Stephen Colbert (der von David Letterman die „Late Show“ übernommen hat) und dem Briten John Oliver („Last Week Tonight“) haben es zwei davon auch hierzulande zu einer gewissen Bekanntheit gebracht.

Während manche den Erfolg der „Daily Show“ mit der Genialität und der Persönlichkeit Stewarts erklären, sieht ihn die Forschung eher in der Dysfunktionalität des postmodernen Mediensystems begründet: Die Grenzen zwischen News und Entertainment verschwimmen seit der Einführung der 24/7-Cable-News-Programme zusehends; und bei all dem werden dennoch die alten Dichotomien Fakt vs. Meinung und Objektivität vs. Subjektivität aus der längst vergangenen Ära journalistischer Ikonen wie Walter Cronkite oder Edward Murrow hochgehalten.[6] Seinerzeit wurde Murrow von dessen Sender CBS zugestanden, sich in einer kompletten Sendung ausschließlich mit Senator McCarthy auseinanderzusetzen – mit der Folge, dass der „McCarthyismus“ quasi über Nacht ein Ende fand.[7] Ein unter heutigen Bedingungen undenkbarer Vorgang.

Gefangen in diesem Korsett aus Wirtschaftlichkeit und nachgerade dogmatischem Objektivitätszwang (siehe die ewige Debatte um liberalen oder konservativen Bias) haben es klassische Nachrichtenformate dementsprechend schwer, substanziellen und analytisch tiefgehenden Journalismus zu liefern. Aus der Zurückweisung dieser Prämissen ergibt sich für Fake-News- und Satiresendungen wie die „Daily Show“ (oder auch die „heute-show“) die komfortable Position, politische Themen dem Belieben nach kommentieren und dabei ungestraft auf politische Neutralität verzichten zu können.

In einer  durchgeführten Untersuchung lassen sich diese Tendenzen klar wiedererkennen: Verglichen wurden die „Daily Show“ (Comedy Central) mit Trevor Noah, die „Nightly News“ (NBC, mit Lester Holt) und die konservative Talkshow „O’Reilly Factor“ auf FOX News. NBCs „Nightly News“ ist dabei die Sendung, die einer klassischen Nachrichtensendung nach europäischem Verständnis noch am ähnlichsten ist. Zwar finden sich auch hier neben politischen Themen zahlreiche Human-Interest-Beiträge; und auch der Personalisierungsgrad ist deutlich höher als in der „Tagesschau“ oder selbst den RTL–Nachrichten – der Fokus liegt aber dennoch klar auf der Informationsvermittlung.[8]

Für Bill O’Reilly findet sich hingegen überhaupt kein irgendwie geartetes Äquivalent im deutschen Fernsehen. Seine Talkshow (Teaser: „You are about to enter the … No-Spin-Zone!“) vereint feinsten rechts-konservativen Seemannsgarn (Bsp: „The War on Christmas!“) mit der Lautstärke und dem Duktus eines Schulhofs. Vielleicht überraschend für den deutschen Leser: Mit dieser Melange rangiert O’Reilly seit 2005 ununterbrochen an der Spitze der Ratings für Cable News–Shows [!].[9] Sein Haussender FOX News, Flaggschiff des Murdoch-Konzerns News Corp., wartet mit dem Credo „fair and balanced“ auf. Eben erwähnter Comedian Stephen Colbert präzisierte dies schon zu Bush-Zeiten: „FOX News gives you both sides of every story: The president’s side – and the vice president’s side.“[10]

In einem ersten Schritt wurde gefiltert, wie viele von den insgesamt 517 untersuchten Beiträgen tatsächlich politische Themen enthielten. Etwas überraschend lag der Anteil an Politikbeiträgen in der „Daily Show“ mit 57 Prozent sogar um fünf Prozent höher als bei der klassischen Nachrichtensendung „Nightly News“, die auf 52 Prozent politische Beiträge kommt. Ein weiterer Wert, der etwas über die Substantialität von journalistischen Produkten aussagen kann, ist schlicht die Zeit, die einem Thema in einem Beitrag gewidmet wird. Auch hier zeigt die Auswertung, dass die Berichterstattung zu einzelnen politischen Themen in den „Nightly News“ weniger umfassend stattfindet als in der „Daily Show“. Dort hat ein politischer Beitrag eine durchschnittliche Dauer von etwa viereinhalb Minuten (265 Sekunden), während ein Beitrag in den „Nightly News“ im Schnitt unter zwei Minuten lang ist (110 Sekunden). Diese eklatante Differenz ist sicher auch den statt der unterschiedlichen Präsentationslogiken der Formate geschuldet: Kompakte Beitragsformen wie Meldungen und Nachrichtenfilme unter einer Minute finden sich in der „Daily Show“ fast gar nicht; ausführliche Interviews sind hingegen in den „Nightly News“ ein selten verwendetes Beitragsformat.

Dennoch zeigt sich darin ein Trend, der sich auch in der inhaltlichen Analyse der beiden Formate fortsetzt: Während Trump in allen untersuchten Sendungen der alles dominierende Faktor in der Wahlberichterstattung war (Spitzenwert: 54 Prozent aller Wortbeiträge – natürlich bei FOX), fanden die Trump-Festspiele in der klassischen Nachrichtensendung nahezu ohne jegliche Kommentierung statt: In den „Nightly News“ enthielten bloß 14 Prozent aller politischen Beiträge eine wertende Aussage oder einen Kommentar des Moderators oder des berichtenden Journalisten, wohingegen dies in der „Daily Show“ in 85 Prozent aller Beiträge der Fall war.

Am besten illustriert den Unterschied in der Substanz der Beiträge aber vielleicht das verwendete Framing (die Hervorhebung bestimmter Aspekte und Deutungsmuster eines Themas[11]). Verwendet wurden hier der Horserace– und der Issue-Frame. Der Horserace-/Strategie-Frame beschreibt einen Fokus in der Politikberichterstattung auf Aspekte der politics, während policies – also konkrete politische Inhalte und Vorstellungen – auf der Strecke bleiben. Das Horserace bezieht sich dabei auf eine verstärkte Anlehnung an die Sportberichterstattung und den damit verbundenen sprachlichen Fokus auf Gewinnen und Verlieren.[12] Die Analyse hat ergeben, dass die „Daily Show“ am häufigsten mit dem Issue-Frame, der dort in 56 Prozent der Fälle zum Tragen kommt, agiert. Im Vergleich dazu wurde in den „Nightly News“ nur in 29 Prozent der politischen Beiträge ein Issue-Frame identifiziert.

Der Fokus der klassischen Nachrichten auf die politics-Dimension kommt Trump extrem entgegen: Er ist laut, dauerpräsent und bis auf seinen Mauerbau-Plan weiß eine Woche vor der Wahl immer noch keiner genau, was er eigentlich will (Trump: „I think the press cares, but I’ve never had a voter ask for my policy papers.“[13]). Jedenfalls: Die USA haben gegenwärtig die Wahl zwischen den beiden unpopulärsten Kandidaten, die eine dortige Präsidentschaftswahl jemals hervorgebracht hat;[14] und selten ging es so wenig um Fakten und politische Inhalte.

Passend zu den Ergebnissen dieser kleinen Studie hat die Bundeskanzlerin vor Kurzem im Interview das „postfaktische Zeitalter“ ausgerufen[15] – da verwundert auch nicht, dass Komiker und Unterhalter zur neuen Stimme der Vernunft erhoben werden. Vielleicht müssen wir uns tatsächlich auf das Late-Night-Fernsehen verlassen, wenn es darum geht, die Welt vor einem Präsidenten Trump zu bewahren.

Jan Philip Clooth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der Frage, ob hybride Fernsehformate alternative Quellen politischer Information sein können.

[1] Vgl. Fahrenthold, David A.: Trump recorded having extremely lewd conversation about women in 2005, in: The Washington Post, 08.10.2016, URL: https://www.washingtonpost.com/politics/trump-recorded-having-extremely-lewd-conversation-about-women-in-2005/2016/10/07/3b9ce776-8cb4-11e6-bf8a-3d26847eeed4_story.html (eingesehen am 09.10.2016).

[2] Vgl. Healy, Patrick: Willing to Spend $100 Million, Donald Trump Has So Far Reveled in Free Publicity, in: The New York Times, 18.09.2015, URL: http://www.nytimes.com/2015/09/19/us/politics/donald-trump-republican-nomination.html?_r=2 (eingesehen am 09.10.2016).

[3] Vgl. Moyers, Bill: Who Else Does Trump Tweet About at 4 a. m.? Why Bill Moyers, Of Course, in: billmoyers.com, 04.10.2016, URL: http://billmoyers.com/story/trump-tweet-4-am-bill-moyers/ (eingesehen am 09.10.2016).

[4] Vgl. Fang, Lee: CBS CEO: „For Us, Economically, Donald’s Place in This Election is a Good Thing“, in: The Intercept, 29.02.2016, URL: https://theintercept.com/2016/02/29/cbs-donald-trump/ (eingesehen am 09.10.2016).

[5] Vgl. Gottfried, Jeffrey/Matsa, Katerina Eva/Barthel, Michael: As Jon Stewart steps down, 5 facts about The Daily Show, in: Fact Tank, 06.08.2015, URL: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/08/06/5-facts-daily-show/ (eingesehen am 09.10.2016).

[6] Vgl. z. B.: Baym, Geoffrey: From Cronkite to Colbert – The Evolution of Broadcast News, Boulder CO, 2010 oder: Bennett, W. Lance: News – The Politics of Illusion, Boston 2012.

[7] Sehenswert: Die Verfilmung dieser Sendung von und mit George Clooney: Good Night and Good Luck, 2005.

[8] Vgl. z.B.: Holbert: A Typology for the Study of Entertainment Television and Politics, in: American Behavioral Scientist, Vol. 49 (3) 2005: S.436-453.

[9] http://money.cnn.com/2015/09/30/media/megyn-kelly-bill-oreilly/.

[10] https://www.youtube.com/watch?v=2X93u3anTco (Minute 09:20).

[11] Vgl. z.B.: Entman, Robert: Framing – Toward Clarification of a fractured paradigm, in: Journal of Communication, Vol. 43 (4) 1993 oder: Matthes, Jörg: Framing-Effekte, München 2007.

[12] Vgl. z.B.: Iyengar, Shanto et.al.: Consumer Demands for Election News – The Horserace sells, in: The Journal of Politics, Vol. 66, 2002.

[13] Siehe Fußnote 2.

[14] Vgl. Enten, Harry: Americans‘ Distaste for Both Trump and Clinton Is Record-Breaking, in: FiveThirtyEight, 05.05.2016, URL: http://fivethirtyeight.com/features/americans-distaste-for-both-trump-and-clinton-is-record-breaking/ (eingesehen am 09.10.2016).

[15] Vgl. Küppersbusch, Friedrich: Was bitte bedeutet „postfaktisch“?, in: Deutschlandradio Kultur, 23.09.2016, URL: http://www.deutschlandradiokultur.de/angela-merkels-neues-modewort-was-bitte-bedeutet.2156.de.html?dram:article_id=366689 (eingesehen am 09.10.2016).