Verspekuliert?

[kommentiert]: Jöran Klatt über die Machtkämpfe innerhalb der Linken vor und nach der Niedersachsenwahl

Die Strategie des Landesverbandes der Linkspartei im niedersächsischen Wahlkampf stand voll und ganz im Zeichen innerparteilicher Auseinandersetzungen. Am Abend der niedersächsischen Landtagswahlen erlitt das Lager der Sozialistischen Linken einen herben Dämpfer. In der Partei müssen nun Machtverteilung und Modus neu diskutiert werden.

Seit dem Parteitag in Göttingen 2012 findet in der Linken eine Auseinandersetzung zwischen der Sozialistischen Linken (SL) und vor allem den ostdeutschen Verbänden statt, deren prominente Mitglieder in großer Zahl zu der innerparteilichen Vereinigung Forum demokratischer Sozialismus gehören. In Göttingen war es der SL zuletzt gelungen, Dietmar Bartsch als Wunschkandidat der starken Ostverbände für den Parteivorsitz zu verhindern. Mit Bernd Riexinger und Katja Kipping wurde dagegen die Frage des Parteivorsitzes in einer Mischung aus Machtspiel und versöhnlichen Gesten geregelt. Seither herrschte so etwas wie ein Patt zwischen den Lagern, der mit der Schlappe für die eine Seite nun zugunsten der anderen kippen könnte.

Wieder zurück zur Gegenwart. Genau genommen war es nämlich nicht die Partei im Ganzen, die in Niedersachen zur Wahl stand, sondern vor allem der Flügel der Sozialistischen Linken. Dessen Vertreter waren auf der Wahlparty der Linken im Hannoveraner Stadtteil Linden wegen der Niederlage sichtlich bemüht, ihre Anhängerschaft für die kommende Richtungsentscheidung der Partei bei der Stange zu halten. In der Allianz mit Sahra Wagenknecht, die sich zuletzt besonders aktiv in die Kampagne eingeschaltet hatte, erhoffte sich dieser Flügel zuletzt eine Win-Win-Situation. Man versuchte ihre Popularität zu nutzen, um ins niedersächsische Parlament zu kommen und gleichzeitig den Lafontaine-Flügel, also die SL, zu dem sie gehört, dabei für den innerparteilichen Machtkampf zu stärken.

Als Zeichen des innerparteilichen Friedens kann nun die Regelung gesehen werden, dass die Parteivorsitzenden bewusst (beide und nicht, wie zunächst angekündigt, nur Riexinger) auf eine Spitzenkandidatur bei den anstehenden Bundestagswahlen verzichteten. Das Lafontaine-Lager wäre diese Kandidatinnen- und Kandidaten-Aufstellung für die Bundestagswahl gerne mit einem Achtungserfolg im Rücken angegangen; gleichzeitig stand zu befürchten, dass die Kandidatenkür nach der Niedersachsen-Schlappe vor dem Hintergrund der innerparteilichen Flügelkämpfe entschieden worden wäre. Nicht von ungefähr wurde daher bis nach der Niedersachsen-Wahl gewartet, bevor das achtköpfige Team, das die Partei in den Bundestagswahlkampf führen soll, vorgestellt wurde. Auf diese Weise versuchte die Partei zu verhindern, dass etwaige Benennungen oder Ansprüche noch vor der Wahl als versuchte Einflussnahme auf den Wahlkampf und damit die Stellung der sozialistischen Linken innerhalb der Partei gewertet würden. Erneuter Streit wäre programmiert gewesen.

Es wirkt fast ironisch, dass die erneute Niederlage im Westen gerade deswegen dem innerparteilichen Frieden dient, lässt sich mit diesem Zeichen der Geschlossenheit doch nun die Schmach von Hannover zumindest nach außen gemeinsam tragen. So war auch Bodo Ramelow als einer der prominenten Ostdeutschen am Wahlabend in Linden einer der ersten Redner. Er fand äußerst versöhnliche Worte und lobte ausdrücklich Sahra Wagenknecht für ihr Engagement im Wahlkampf. Somit stand er für das Entgegenkommen und war der Sache womöglich dienlicher als Dieter Dehms entschieden lautere Huldigung der Vertreterin des eigenen Lagers.

Wie ein Damoklesschwert über dem innerparteilichen Frieden schwebt nämlich der Umstand, dass 2013 eine innerparteiliche Quotierungsregel wegfällt, die bis dato die Westverbände bevorzugt behandelte. Auf dessen Basis hatten die Westverbände bisher die ostdeutschen davon abgehalten, bestimmte Strategien und Ausrichtungen vorzugeben. Die Stimmung in der Linken ist somit trotz vieler Absprachen aufgeladen und 2013 könnte das Jahr werden, in dem die abwartenden Ost-Verbände der Linkspartei nun eine Kurskorrektur verordnen. Die Frage ist, ob sich die Westverbände nach den Niedersachsenwahlen nun wie ein verletzter Tiger verhalten, der sich aus Angst in die Flucht nach vorne begibt, und ob die Ostdeutschen tatsächlich ihre neue Machtfülle in vollem Umfang zu nutzen versuchen.

Dabei ist es nicht nur der Kampf um Personen und Posten, der sich hieran entscheidet, sondern auch der Modus, also Art und Weise von Strategie und Auftreten, welche die Partei generell anstrebt. Dass Sozialistische Linke und Forum hier unterschiedlicher Ansicht sind, könnte den Frieden erneut bröckeln lassen. Die Partei scheiterte in Niedersachen nämlich vor allem an der Monotonie ihres Anti-Spekulanten-Credos, welches auf eine vermutete Wut und Unzufriedenheit in der Bevölkerung zielte. Dabei stellte sich nach dem Scheitern die Frage, ob die generelle Inszenierung der LINKEN überhaupt noch zeitgemäß ist und Erfolg verspricht – und ob der Modus der Empörung im Jahr 2013 noch einen breiteren Kern als die Stammwählerschaft der LINKEN ansprechen kann.

Mit der klaren Homogenisierung des niedersächsischen Landesverbandes in der Lagerfrage hat sich der Kurs der Partei dahingehend gewendet, sich als Anwalt der unteren Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschicht sowie der Milieus in prekären Lebenswelten zu inszenieren. Damit bleibt es schwer, in anderen Milieus Wählerpotenziale zu wecken, wie es den Ostverbänden durch eine deutlich stärkere Mitte-Rhetorik gelingt.

Niedersachsen ist eines der Länder, für die der Satz gilt, dass man Wahlen „in der Fläche“ gewinnt. Will heißen: Eine  Partei muss hier auch auf dem Land erfolgreich sein. Aufbauend, aber dennoch strategisch ungünstig für die Partei war in diesem Kontext, dass in mehreren Kreisen (auch in den ländlichen Regionen) die LINKE zwar Wählerinnen und Wähler fand, diese aber oftmals mit der Erststimme die aussichtslosen Direktkandidatinnen und -kandidaten wählten, sie also nicht mit der für die Partei eigentlich wichtigeren Zweitstimme unterstützten. Hieran zeigt sich vor allem, dass die LINKE dort stark ist, wo sie im direkten Kontakt mit den Quartieren steht, dort, wo sie besonders menschlich und bürgernah auftritt.

Dieser Faktor scheint auch in den nicht-prekären Lebenswelten des Ländlichen bedeutender zu sein als die inhaltliche Ausrichtung. Wenn schon die Linkspartei, dann will man Personen wählen, am besten solche, die man kennt. Somit war die inhaltliche Ausrichtung des Anti-Spekulanten-Wahlkampfes, wenn auch nicht die Ursache der Niederlage, in einigen Milieus zumindest aber auch nicht hilfreich. Vor allem nämlich dort, wo eventuell noch weitere Potenziale durch eine stärkere Fokussierung auf Personen hätten geweckt werden können.

Wenn die Linkspartei weiter eine Rolle spielen will, dann muss sie sich wohl fragen, wozu die Gesellschaft eine linke Partei generell braucht. Seit längerem blieb sie dafür Erklärung und Erzählung schuldig, rettete sich stets in den Modus der Empörung. Oskar Lafontaine hatte es einst geschafft, wie Oliver Nachtwey und Tim Spier schreiben, mit der Linken eine „Lücke in der Repräsentation“ zu besetzen, die die SPD durch einen Wandel hinterließ.[1] Eine ganze Zeit lang surfte die Linkspartei auf einer Welle des Erfolges, was vor allem meint, dass es ihr gelang, ein gewisses Standing im Westen aufzubauen, was die PDS alleine, ohne die WASG, wohl nicht geschafft hätte. Dies gelang dem Saarländer vor allem aus einer solchen Rhetorik der Wut heraus. Auf eine gewisse Weise ist es daher nur konsequent, dass der Flügel der Sozialistischen Linken, den man mit dem Übervater Lafontaine in Verbindung bringt, hier versucht, sich treu zu bleiben. Doch derartig zentral auf Wagenknecht zu setzen, hat nicht genügt. Die Strahlkraft des Saarländers hat sie noch nicht erreicht.

Auch wenn man mitunter am Wandel Sahra Wagenknechts, die sich früher noch lautstarker und aggressiver gezeigt hatte, sehen kann, dass ein Bewusstsein für die Notwendig einer sanfteren Rhetorik in der Partei vorhanden ist, inszenierte sich das Spitzen-Personal in Niedersachsen und die gesamte Partei über die mediale Performance als eine Institution der Sich-Beschwerer. Doch die Antriebsquelle der Wut scheint inzwischen versiegt. Und als Protestpartei und Patron der prekären Lebenswelten alleine scheint die Linkspartei mehr als ihre Stammwählerschaft nicht aktivieren zu können.

Jöran Klatt ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Weitere Analysen und Kommentare über die Linke finden sich hier.


[1] Spier, Tim; Nachtwey, Oliver: Günstige Gelegenheit? Die sozialen und politischen Entstehungsgründe der Linkspartei, in: Spier, Tim; Micus, Matthias; Butzlaff, Felix; Walter, Franz: Die Linkspartei. Zeitgemässe Idee oder Bündnis ohne Zukunft? Wiesbaden 2007, S. 13-69, hier: S. 14.