Kurze Party, langer Kater

[kommentiert]: Robert Pausch über den Wahlabend der niedersächsischen CDU

In schöner Regelmäßigkeit wird der nüchterne demokratische Willensbildungsprozess mit ein bisschen Metaphorik gewürzt. Dann ist die Rede von Schicksalswahlen, Denkzettelwahlen, Erdrutschwahlen oder eben Wahlkrimis. Und wie jeder gute Krimi lebt auch ein solcher von  unvorhersehbaren Wendungen des Plots, durch  die sichergeglaubte Erkenntnisse mit einem Mal hinfällig sind und der scheinbar schon gelöste Fall neu aufgerollt werden muss.   Dergleichen ließ sich auch am Sonntag bei der Wahlparty niedersächsischen CDU beobachten.

Gegen 17 Uhr sickern im Hangar No 5 erste Rohdaten durch. FDP bei 9%, knappe Mehrheit für schwarz-gelb. Während der Mittelbau der Staatskanzlei im Minutentakt versucht, neue Meldungen einzuholen, stoßen einige Jung-Unionler bereits auf den neuen und alten Ministerpräsidenten an. Die Anspannung löst sich, man lacht und plaudert und als um 18 Uhr 10% für die FDP prognostiziert werden, liegen sich viele in den Armen.

Man gefällt sich in der Rolle des Außenseiters, der ein verloren geglaubtes Spiel doch noch herumreißen konnte. Es habe nie eine Wechselstimmung gegeben, meint ein älterer CDU-Anhänger, die Niedersachsen seien nun mal besonnene Menschen und McAllister in der Bevölkerung ohnehin unumstritten. Überhaupt sprechen die Anwesenden gerne über ihren Ministerpräsidenten: Niedersachsens Aushängeschild, immer ein offenes Ohr für die Nöte der Leute, hervorragende Kontakte zur Kanzlerin – und im Übrigen auch zu David Cameron. Die Basis ist stolz auf ihren Spitzenkandidaten – der eigene Wahlkampf im Ortsverband wird, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert.

Ebenso wie das überraschend gute Abschneiden der FDP. Als die Daten zur Wählerwanderung über die Bildschirme flimmern, geht zwar ein Raunen durch die Menge, jedoch scheint niemand im Saal wirklich verärgert oder nur beunruhigt ob der notgedrungenen Reanimation eines Totgeglaubten. Natürlich schmälere dies das eigene Ergebnis, aber es zeige zuvörderst die Geschlossenheit des bürgerlichen Lagers,  so der Tenor. Frei nach Helmut Kohl sei wichtig, was hinten rauskomme.

Nicht ganz so einig ist man sich im Umgang mit dem politischen Gegner. Als Sigmar Gabriel vor die Presse tritt, wendet ein junger Christdemokrat den Blick von seinem Smartphone ab und verstaut es in seiner Tasche, die ein Niedersachenross schmückt, um in die Buh- und Schmährufe seiner Parteifreunde einzustimmen, die jedoch schnell verstummen, nachdem ein Kollege seine Meinung über den Unterschied zwischen schlechten Gewinnern und guten Demokraten kundtut.

Geht es jedoch wieder um das Bohren harter Bretter, sprechen Jung und Alt nahezu mit einer Stimme. Merkels pragmatischer Kurs sei die angemessene Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen und eine schwindende Stammwählerschaft, ideologischer Konservatismus à la Strauß sei längst überholt. Den Grünen habe man mit der Energiewende auf mittlere Sicht ihr Narrativ genommen und von der SPD und dem umherstolpernden Steinbrück habe man ohnehin nichts zu befürchten.

Eines ist klar: einem Großteil der Anwesenden ist heute nicht nach Kritik zumute, man ist zu Scherzen aufgelegt, gibt sich kraftstrotzend, will den Wahlabend schlicht genießen und begießen. Während die Mitarbeiter aus der Staatskanzlei Zurückhaltung anmahnen, laufen auf den Bildschirmen die neusten ARD-Tortendiagramme, die in regelmäßigen Abständen einen Sitz Mehrheit für schwarz-gelb prognostizieren und der Landesvorsitzende der Jungen Union NRW sendet via Facebook bereits ein Videostatement, in dem er das positive Signal, das von diesem Abend für die Bundestagswahlen ausgehe, bekräftigt. Hier und da erzählt man sich, dass die Briefwähler noch auszuzählen seien und die Direktmandate ohnehin noch einen zusätzlichen Sitz garantieren müssten. Das sollte reichen.

Doch zumindest dem Hobbykicker David McAllister dürfte die parabolische Binsenweisheit „Schluss ist, wenn der Schiri pfeift“ am Abend des Öfteren durch den Kopf gegangen sein – den Überschwang seiner Parteifreunde will er so recht nicht teilen.

Als um kurz vor 11 die Hochrechnungen zugunsten von rot-grün kippen, verschwindet der Ministerpräsident als einer der ersten aus der Halle, inhaliert noch hastig eine Zigarette und steigt in seinen Dienstwagen. Seinen Parteifreunden steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Die dramaturgische Klimax, die entscheidende Wendung des Falls ist ein Schlag ins Kontor der CDU. Der Krimi ist vorbei.

Es bleibt nun abzuwarten, wie die Partei das Ende der Mac-Show verarbeiten wird. Nach einem Wahlkampf, der allein auf den Ministerpräsidenten und dessen Popularität zugeschnitten war, in dem Inhalte an zweiter oder dritter Stelle standen und die Wahlkämpfer wie beseelt von dem Ziel schienen, McAllister im Amt zu halten, bietet die Oppositionsbank, unter Führung von Fraktionschef Björn Thümler, die Chance, sich neu zu justieren, die innerparteiliche Diskussionskultur zu fördern und Sachthemen wieder in den Vordergrund zu stellen. Dass man hiermit Wahlen gewinnen kann, zeigt das Ergebnis von SPD und Grünen.

Was die Bundestagswahl angeht, lehrt der Fall McAllister: Popularität ist kein absoluter Erfolgsgarant – Angela Merkel sollte klug genug sein, um hieraus ihre Schlüsse zu ziehen.

Robert Pausch ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.