[präsentiert]: Wie China die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft vor neue Herausforderungen stellt.
Patty Huwes und Ellen Parsons benutzten sie zwischen 2007 und 2012 in der TV-Serie „Damages“. Und James Bond klappte sie 2012 in „Skyfall“ auf. Heute, drei Jahre später, gibt es keine Notebooks von Sony Vaio mehr – jener Marke, die Apple-Gründer Steve Jobs 2001 noch für eine Kooperation gewinnen wollte. Japans einstiges Vorzeigeunternehmen gehört nun zu den Abgehängten, der weltweit größte PC-Hersteller kommt mittlerweile aus China: Er heißt Lenovo. Solche Beispiele lassen sich viele finden. Nachdem „Made in China“ zumindest bei Zulieferern etwa von Handy-Akkus schon längere Zeit gang und gäbe ist, streben chinesische Firmen nun auch in den Vordergrund.[1] Wo in Deutschland einst Siemens Mobile gekauft worden ist, könnte so eines Tages der chinesische Hersteller Huawei einer der Verkaufsschlager sein; weltweit ist er das bereits.[2] China ist das wundersame Aufstiegsland der letzten zwei Jahrzehnte.[3] Noch nie hatte es vorher eine Diktatur geschafft, sich dem Kapitalismus in einer solchen Form zu öffnen und ihn gleichzeitig herauszufordern. So jedenfalls sehen es die deutschen Manager, die für die BP-Gesellschaftsstudie „Sprachlose Elite“ befragt worden sind. Auf China wird hierbei anders geblickt als auf die übrigen drei großen Handelspartner Deutschlands: Frankreich, Großbritannien und die USA.
Während Frankreich als ein Land beschrieben wird, dessen Unternehmen im „eigenen Saft“ badeten und die Gewerkschaften mit ihrer Fundamentalopposition für eine große Blockade sorgten, wird mit Blick auf Großbritannien das Gegenteil kritisiert: Ohne Gewerkschaften und mit der Fokussierung auf den Dienstleistungssektor sei die einstige Handelsmacht abgehängt. Teils hämisch sind die Kommentare zu jenen beiden Ländern. Die USA mit ihrer größeren Deregulierung hingegen werden der deutschen Sozialen Marktwirtschaft zwar nicht vorgezogen, aber zumindest auf Augenhöhe betrachtet.
Nun aber rüttelt China, so zumindest der Eindruck der Manager, an bisherigen Grundfesten der westlichen Marktwirtschaft. Denn bei allen unterschiedlichen Wirtschaftssystemen galt doch ein gleicher Maßstab: die Demokratie als Fundament. Dieses wirtschaftlich aufstrebende Land wird nun von vielen Unternehmern immer wieder herangezogen als Beispiel für die Globalisierung, aber auch dafür, wie Wirtschaft alternativ funktionieren könne, aber eben nicht sollte, und weshalb man dennoch darauf reagieren müsse. Von einem „Staatskapitalismus“ ist die Rede, der „nicht für richtig“ gehalten wird, „weil in einer Demokratie […] alle Leute mitbestimmen“ könnten. Die chinesische Form des Kapitalismus, in welcher der Staat die Wirtschaft lenkt, mache Entscheidungen schneller möglich als in den demokratischen kapitalistischen Systemen. Im (außen-)politischen Diskurs ist von einer „autoritäre[n] kapitalistische[n] Konkurrenz“[4] die Rede, welche den bisherigen Grundsatz, demnach Demokratie und wirtschaftlicher Aufschwung einhergehen, erschütterten.
„Ich finde unsere Wirtschaftsordnung im Prinzip nicht schlecht“, beschreibt ein Unternehmer die Sorgen seiner Berufsgruppe. „Ob sie letztlich die erfolgreichere sein wird, das muss man ja leider […] sagen, hat man ja derzeit den Eindruck, als wäre das nicht mehr der Fall“. Ein Stück Resignation, auch Ratlosigkeit schwebt bei diesen Sätzen immer wieder mit, wie man dieser neuen Macht, China, begegnen sollte. „Da hat man ja leider den Eindruck, dass [man] mit so einer staatlich organisierten Diktatur […] doch weiterkommen kann […]. Das ist eigentlich unglaublich“. Immer wieder wird Überraschung deutlich, dass jener staatlich gelenkte, autoritäre Kapitalismus so erfolgreich sei und sich dieser damit aufgemacht habe zu einem der beiden Modelle zu werden, die überleben.
Wie „sozial“ kann Kapitalismus also sein, wenn andere, zum Beispiel China, einen Kapitalismus mit ganz anderen Werten verfolgen? Wieviel „sozialen“ Kapitalismus können sich Unternehmer leisten, wenn die Bürger zwar Firmen wie Apple gut finden, aber eben, wie bei Sony, nicht mehr dafür zahlen wollen? Es sind Fragen jener Art, welche die Unternehmer umtreiben. Sie sehen sich dabei in der Verantwortung, mit den Gewerkschaften die besten Lösungen für Unternehmen und für Mitarbeiter zu finden, um im Weltmarkt zu bestehen. Als hiesiges Unternehmen könne dies aber nur durch Exzellenz gelingen, durch bessere Produkte als sie etwa China habe, schlicht: durch Hochtechnologie. Einfache Haushaltsgeräte wie Toaster gehören nicht mehr dazu; Siemens, das einstige deutsche Vorzeigeunternehmen, hat sich längst aus diesem Markt zurückgezogen. Die Unternehmer sehen aber auch den Bürger in der Pflicht, der „immer billiger“ haben wolle – und damit ebenfalls die Gesetze der Sozialen Marktwirtschaft bedrohe.
Auch die Politik sehen die Unternehmer in der Verantwortung: Diese müsste handeln und europäischer werden, damit das Land auf dem Weltmarkt neben den ungleichen Gegenspielern China und USA mithalten könne. Nur „als Europa“, meint ein Unternehmer exemplarisch, „hätten wir gute Chancen, unsere Positionen in der Welt zu bekommen, damit wir wirtschaftlich auch weiterhin, langfristig, einigermaßen dastehen“. Die Wirtschaftselite macht sich keine Illusionen, dass das eben noch nicht so ist. Im Vergleich zur Größe der USA und Chinas sei „doch eigentlich lächerlich, dass […] in diesem kleinen Europa jeder sein eigenes Süppchen kocht“. Ein anderer schimpft mit Blick auf den einstelligen Prozentanteil, den Europa an der Weltbevölkerung hält, dass man nicht „der Nabel der Welt“ sei. „Und wenn wir den noch atomisieren in Einzelinteressen, ja dann werden wir unter die Räder kommen.“ Unisono wird Europa als Chance gesehen, mehr noch als Rettung, als Anker in einer globalisierten Welt. Und obwohl der Weg zu einem Wirtschaftseuropa noch weit ist, wird ein solches auf Seiten der aufstrebenden Konkurrenz bereits registriert: So analysierte kürzlich auf einer Veranstaltung des Auswärtigen Amtes ein chinesischer Wissenschaftler, dass die Europäische Union – und nicht etwa ein einzelner Mitgliedsstaat – schon heute als Chinas wichtigster Partner noch vor den USA gesehen werde.[5]
Das stimmt, und tatsächlich sehen auch deutsche Manager China als großen Absatzmarkt und Handelspartner. Doch gleichzeitig ist auffällig, wie die befragte Wirtschaftselite China eben auch immer wieder als Antifolie heranzieht für eine andere Marktwirtschaft. Der Historiker Heinrich-August Winkler sagte einmal sinngemäß: Der Westen hat seine Werte häufig selbst verraten, hat aber immer die Fähigkeit besessen, diese Verstöße aufzuarbeiten; so müsse er seine Werte stets neu abklopfen und verteidigen.[6] Der Unternehmer, so scheint es, fühlt sich durch die neue Bedrohung nun in seiner Domäne, der Wirtschaft, herausgefordert, befürwortete Werte und das eigene Wirtschaftssystem samt den Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft zu verteidigen.
Sebastian Kohlmann arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Schaffmeister, Niklas: Chinesische Marken sind auf dem Sprung nach Europa, in: Handelsblatt, 19.05.2004, URL: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/bislang-namenlose-auftragsfertiger-entdecken-den-wert-des-marketings-chinesische-marken-sind-auf-dem-sprung-nach-europa-seite-2/2331616-2.html [eingesehen am 17.10.2014].
[2] O.V.: Apple-Konkurrent aus China wächst rasant, in: Süddeutsche.de, 13.01.2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/smartphonehersteller-huawei-apple-konkurrent-aus-china-waechst-rasant-1.2301818 [eingesehen am 19.05.2015].
[3] Zur Wirtschaftsgeschichte Chinas vgl. z.B. Fischer, Doris: China in der Weltwirtschaft; in: Informationen zur politischen Bildung, H. 289/2006, URL: http://www.bpb.de/izpb/8852/china-in-der-weltwirtschaft?p=all [eingesehen am 19.05.2015].
[4] Ingnetieff, Michael: Deutschland vor der Herausforderung des autoritären Kapitalismus, in: review2014.de, 23.09.2014, URL: http://www.review2014.de/de/aussensicht/show/article/deutschland-vor-der-herausforderung-des-autoritaeren-kapitalismus.html [eingesehen am 17.10.2014].
[5] So Professor Feng Zhongping auf einer Veranstaltung des Auswärtigen Amtes am 20. Mai 2014 im Rahmen der Diskussionsreihe „Review 2014“, die sich mit der Frage nach Deutschlands (außenpolitischer) Rolle in der Welt beschäftigte; Video der Veranstaltung online einsehbar unter: http://www.review2014.de/de/mediathek/show/article/konferenz-review-2014-panel-eins-in-voller-laenge.html [eingesehen am 17.10.2014].
[6] Vgl. Winkler, Heinrich August im Gespräch mit dem Spiegel, in: Hoffmann, Christine/Wiegrefe, Klaus: Ein neuer Sonderweg; in: Der Spiegel, 29.12.2014.