[kommentiert]: Michael Freckmann über die Erneuerung einer Partei.
Der Niedergang der FDP ist eine lange Erzählung. 2009 mit starken 14,6 Prozent in die Regierung eingetreten, konnte sie sich bei dem für sie wichtigen Thema Steuersenkungen nicht durchsetzen, der Außenminister und FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle machte keine glückliche Figur und fortwährend gab es Streitigkeiten innerhalb der Parteiführung; so verglich Wolfgang Kubicki bereits 2010 seine Partei mit der „späten DDR“[1]. Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rainer Brüderle, verkam in der Satiresendung „heute-show“ zu einem Running Gag und stand für die Kommunikationsunfähigkeit seiner Partei gegenüber deren Wählerschaft. Die FDP wurde zum öffentlichen Gespött. Am 22. September 2013 folgte dann das Ausscheiden aus dem Bundestag.
Die Probleme, vor denen die FDP auch nach wie vor steht, sind vielfältig: Seit 2009 sinken Mitgliederstand und Beitragseinnahmen. Durch schlechte Wahlergebnisse erhält die Partei auch weniger Mittel aus der öffentlichen Parteienfinanzierung. Dies zusammen führte zu einem Defizit in der Parteikasse in Höhe von 4,5 Mio. Euro. Auch darf bezweifelt werden, ob das öffentliche Ansehen der Partei seit der verlorenen Bundestagswahl wiederhergestellt ist.
Nach 2009 wirkte die FDP vorgestrig und hoffnungslos überholt: personell, programmatisch, strategisch. Gleichwohl erreichte sie 2015, nachdem sie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Landtage hatte verlassen müssen, in Hamburg 7,4 Prozent und in Bremen 6,6 Prozent. Die Negativentwicklung scheint, so betonen es – natürlich – auch die Liberalen selbst, erst einmal gestoppt. Man habe frühere Fehler erkannt und behoben, habe sich geändert und neu konstituiert, so die liberale Erzählung im Jahr 2015. Braucht es also bei Organisationen erst eine Katastrophenerfahrung[2], um ein Umdenken zu bewirken?
Die Stimmung auf dem Bundesparteitag im Mai 2015 war jedenfalls konzentriert und vorsichtig optimistisch, aber nicht übermütig. Selbstmitleid und gegenseitige Beschuldigungen, wie es sie noch bei dem Vorjahresparteitag gegeben hatte, sind einer vorsichtigen Zuversicht gewichen. Gleichzeitig war aber auch überdeutlich spürbar, dass Euphorie und Kraftmeierei, wie sie noch unter Westerwelle und Rösler bisweilen zu vernehmen waren, für Liberale derzeit nicht en vogue sind.
Die Reden des Vorstandes stellten – ganz klassisch – die Kritik an einer zu starken Bürokratie und restriktiven Eingriffen in das unternehmerische wie private Handeln ins Zentrum, thematisierten chaotische Staatsfinanzen und den Wunsch nach Steuersenkungen. Auch die Bürgerrechte wurden ganz pflichtbewusst-liberal angesprochen: Die NSA/BND-Affäre und die Vorratsdatenspeicherung kamen hier gelegen. Neu im zentralen Themenkanon der FDP seit dem letzten Parteitag schien das Thema Bildung zu sein. Dieses war allerdings in dieser Form bereits Teil der Wahlprogramme der letzten Bundestagswahlen gewesen. So lässt sich hier ein liberal-bürgerlicher Wert mit einer populären Forderung verbinden. Diese Idee ist keineswegs neu, sie wird nun lediglich prominenter positioniert.
Und auch personell lässt sich durchaus fragen, wie neu die geläuterte FDP von 2015 tatsächlich zusammengesetzt ist. Der jetzige Vorsitzende und ehemalige, noch rechtzeitig zurückgetretene Generalsekretär, Christian Lindner, verfügt über Erfahrung und strahlt gleichzeitig Jugendlichkeit aus. Wolfgang Kubicki, als Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels, ging zu der alten Führung um Westerwelle, Rösler und Brüderle auf Distanz, wurde als „Quartalsirrer“[3] bezeichnet und galt nicht als Teil der engeren Parteiführung. Mit seinem Auftreten, das mehr dem eines Generalsekretärs entspricht, ist er in der Partei beliebt und erzielte auf dem Parteitag ein besseres Ergebnis als der Vorsitzende. Neu in der Führung ist zum einen Katja Suding, die nun das junge weibliche Klientel der Partei ansprechen und gleichzeitig aus dem bürgerlichen Hamburg kommend für Bildungsthematiken eintreten soll. Zum anderen ist neben ihr Marie-Agnes Strack-Zimmermann Teil des Bundesvorstandes; die Kommunalpolitikerin kann als Signal für mehr Beteiligung der Basis verstanden werden.
Oft jedenfalls fällt in den letzten Monaten der Begriff der „Mitmachpartei“. So wurden die Parteimitglieder dazu aufgerufen, an dem „Leitbildprozess“ der Partei mitzuarbeiten; auch auf den Leitantrag auf dem Parteitag konnten sie Einfluss nehmen. Da sich die Bundespartei in einer finanziellen Krise befindet, hat Lindner auf dem Bundesparteitag versucht, eine Abgabe der Kreisverbände an den Bundesverband einzuführen. Dieses Unterfangen, das letztlich auch gelang, forcierte er mit Beschwörungen an den Zusammenhalt der Partei. Aussagen wie: „Wer einen von uns angreift, bekommt es mit allen Freien Demokraten zu tun!“[4], wirken in einer Partei, die durch eine starke Betonung des Individualismus geprägt ist, ungewohnt. Auch wird stolz berichtet, dass bei den Wahlkämpfen in Hamburg und Bremen andere Landesverbände in diese Städte zur Unterstützung geeilt seien.
Auch das Parteitagsmotto des „German Mut“ muss als Versuch gesehen werden, das öffentliche Bild wieder positiver darzustellen. Als Gegenstück zur gefühlten „German Angst“ soll es international, modern und fortschrittlich, gleichzeitig urliberal klingen – sprechen daraus doch auch die alten FDP-Werte „Eigenverantwortung“ und „Leistung“. Dass dabei der Name der Partei auf Plakaten nur noch klein auftaucht und jetzt die „Freien Demokraten“ und nicht mehr „die Liberalen“ zu lesen ist, soll von dem Image der „neo-liberalen“ und damit auch allein wirtschaftsliberal orientierten Partei wegführen.
Zu fragen ist allerdings, ob sich die Partei überhaupt in großem Maße verändern muss, um wieder auf etwas mehr als fünf Prozent zu kommen. Mit Blick auf die Wählerstruktur fällt auf, dass die FDP bei den beiden vergangenen Bundestagswahlen und den beiden Bürgerschaftswahlen die meisten Stimmen nach wie vor von den Selbstständigen bekommen hat. Somit ist aus der vote-seeking-Perspektive die Stabilität bei den angesprochenen Themen nur konsequent. Auch der Wirtschaftsrat der CDU e.V. wirbt auf seinem „Wirtschaftstag“ in diesem Jahr mit dem Motto: „Aufbruch statt Zukunftsangst – Reformen für Deutschland und Europa“. In beiden Wahlen waren die Hochgebildeten immer am stärksten unter den FDP-Wählern vertreten, das Thema Bildung wurde für besonders wichtig erachtet. Angesprochen werden sollen Wähler, denen die CDU zu wenig reformfreudig ist, denen die AfD aber zu weit rechts steht. Allerdings kamen bei den beiden Bürgerschaftswahlen Stimmen von der CDU, die in beiden Städten schlechte Werte hatte. So leben die FDP-Erfolge momentan von der Schwäche der CDU – auch das ist im Übrigen keine neue Erfahrung im bürgerlichen Lager. Aufgrund des der CDU nachgesagten Großstadtproblems wird dieser Effekt in Flächenländern wohl ausbleiben. Daher besteht für die FDP allgemein das Problem, eigene Wähler zu mobilisieren und auch zu halten.
Da die Partei auf Landesebene an keiner Regierung beteiligt ist und nur noch in sieben von 16 Landtagen sitzt, stellen mächtige Landespolitiker für die nun geschwächte Bundespartei derzeit kein Problem dar. Auch muss die FDP sich jetzt nicht in einer Landesregierung beweisen, sondern kann sich vorerst in der Opposition regenerieren. Gleichzeitig allerdings erhält die FDP wenig Aufmerksamkeit – dabei ist die öffentliche Wahrnehmbarkeit als seriöse Partei wesentlich für sie. Nicht ohne Grund spricht Lindner immer wieder von der „staatspolitischen Verantwortung“, die man auch in der außerparlamentarischen Opposition trage. Hierfür ist der innere Zusammenhalt wichtig. Die Gefahr der innerparteilichen Lähmung durch Auseinandersetzungen scheint vorerst jedoch gebannt. So mahnt Lindner vor Zeiten, in die er „nicht zurück“ wolle. Innerparteilicher Streit ist insbesondere im bürgerlichen Lager unbeliebt. Die Kritik an den „Bedenkenträgern“ in der Gesellschaft ist daher zugleich ein Weckruf nach innen.
Allerdings fehlen in diesem Jahr mangels Wahlen die Möglichkeiten, öffentliche Wahrnehmbarkeit zu erzwingen. Wie lange das Versprechen der „Mitmachpartei“ bei möglichen weiteren Erfolgen gerade in einer Partei der Individualisten aufrechtzuerhalten bleibt, wird sich zeigen. So ist mit dem Motto „German Mut“ höchstens ein Startschuss geschafft, eine ungefähre Richtung ersichtlich. Inwieweit die einzelnen Themen weiterverfolgt werden, bleibt abzuwarten. Eine Stammklientel für liberale Forderungen scheint es aber weiterhin zu geben. Um diese zu erreichen, muss das Programm nicht stark erweitert werden. Besonders, wenn die Partei thematisch nach links, in die sozialliberale Richtung geht, kommt sie leicht mit der Klientel der Grünen in Berührung. Entscheidend ist vielmehr, dass die FDP als seriöse Partei und v.a. mit einer Machtperspektive erscheint, sodass sie als Ansprechpartner für Selbstständige und das Wirtschaftsbürgertum ernst genommen wird.
Michael Freckman arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Schwennicke, Christoph/Theile, Merlind: Wie die späte DDR, in: Der Spiegel, 13.12.2010.
[2] Vgl. hierzu etwa Lorenz, Robert: Der ÖGB. Zur Geschichte österreichischer Gewerkschaften, Baden-Baden 2012.
[3] Von Altenbockum, Jasper: FDP in Schleswig-Holstein – Das Phänomen Kubicki, in: FAZ.net, 06.05.2012, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/harte-bretter/fdp-in-schleswig-holstein-das-phaenomen-kubicki-11742177.html [eingesehen am 28.06.2015].
[4] Lindner, Christian: Politischer Rechenschaftsbericht des Bundesvorsitzenden der FDP auf dem 66. Ord. Bundesparteitag am 15. Mai 2015 in Berlin, URL: http://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2015/05/18/180515rederechenschaftsbericht.pdf [eingesehen am 28.06.2015].