[nachgefragt]: Oliver D’Antonio über die Bedeutung des Hauptstadtwechsels für die Sozialdemokratie
Du beschreibst den Übergang von der Bonner zur Berliner Republik als Zäsur. Was macht diese für dich aus?
Es ist zwar ein historischer Zufall, dass ein Hauptstadt- und ein Regierungswechsel binnen zwölf Monaten zusammenfielen, doch machen diese zwei Ereignisse allein noch keine Zäsur aus. Was entscheidend dazu kam, war ein Generationenwechsel in den politischen Eliten, den es durch diesen Hauptstadtwechsel gegeben hat. Und diese Eliten führten letztlich einen Politikwechsel herbei – Stil und Inhalte veränderten sich. Besonders gut zu beobachten war dies in der Außenpolitik: Deutsche Soldaten wurden in den Krieg geschickt, was sicherlich auch für einen neuen internationalen Anspruch nach Ende der Teilung sprach. Aber auch in der Arbeits- und Sozialpolitik konnten Veränderungen beobachtet werden: Die SPD entmachtete die Gewerkschaften – Wolfgang Clement war der erste Nichtgewerkschafter auf dem Posten des Arbeitsministers.Das alles sind starke politische Brüche, die durch die neue politische Elite ab1998 durchgeführt wurden, auch wenn viele dieser Trends schon vorher angelegt waren. Aber diese neuen Eliten forcierten die Dynamik.
Für Viele war die Bonner Republik ein Erfolgsmodell. Wann war der Übergang erstmals spürbar?
Wenn man Franz Walter folgt dann bereits 1973, spätestens jedoch 1989/90, mit dem Ende der deutschen Teilung, spürte man den Bruch. Im Osten war dies anders als im Westen der Republik ziemlich schnell spürbar. Immerhin bedeutete die Aufhebung der Teilung auch einen vollkommenen Systemwechsel. Im Westen nahm man das zuerst nicht so stark wahr. Hier stand Bonn immer noch als Symbol für Erfolg und als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands. Der eigentliche Bruch für den Westen vollzog sich erst mit dem Umzug nach Berlin. Für den aufmerksamen Beobachter war dies aber schon früher bemerkbar. Beispielsweise konnte aus der Erfurter Erklärung von 1997, mit ihrer Forderung nach mehr sozialer Demokratie, die Furcht vor einem Bruch herausgelesen werden. Letztlich kam es zu vielen Veränderungen innerhalb der Sozialdemokratie. Hinweise hierfür waren bereits sichtbar, doch hat man die Zuspitzung nicht so schnell erwartet.
Warum musste in den Denkmustern vieler Sozialdemokraten Berlin viel attraktiver sein, als das zurückgelassene Bonn?
In Bonn konnte die CDU 36 Jahre den Kanzler stellen. Adenauer und Kohl prägten die alte Bundesrepublik. Bis 1998 war die Bonner Republik vor allem, die Ära zweier großer christdemokratischer Kanzler mit Ausnahme eines kurzen 13- jährigen sozialliberalen Intermezzos.
Das Wohlstandsvierteljahrhundert der SPD war 1973 vorbei. Für ihren Stil der Politik bedeutete dies nur noch reine Problemverwaltung statt politische Gestaltung. Auch deshalb bereitete der Wechsel nach Berlin innerhalb der Sozialdemokratie richtige Aufbruch-Stimmung. Die sich ergebende Konfliktlinie wurde hier besonders deutlich: Helmut Kohl symbolisierend für die alte Generation der Bonn-Befürworter, gegen die Enkel Willy Brandts. Aber auch die Nachrücker innerhalb der CDU weinten der alten Republik keine Träne nach. Ein neoliberaler Kurs wurde innerhalb der SPD eingeschlagen, die CDU versuchte sie darin sogar noch zu überholen.
Hatte Dahrendorf also doch Recht, als er 1983 vom Ende der Sozialdemokratie sprach?
In vielerlei Hinsicht sicherlich Ja.1983 war das jedoch schon im Verlauf der vorhergegangenen zehn Jahre beobachtbar gewesen. Das kurze sozialdemokratische Jahrzehnt von 1969- 1973/74 war damals vorbei. Auch konnte man damals sicherlich erkennen, dass die sozialdemokratische Wohlstands- und Verteilungspolitik so nicht mehr funktionieren würde. Vieles in diesem Bereich war zudem bereits von christdemokratischen Regierungen auf den Weg gebracht worden, dennoch steht dieses Jahrzehnt innerhalb der SPD für eine goldene Ära. Dahrendorf hat in seiner These Trends aufgegriffen, die bereits sichtbar waren. So mussten die SPD-Regierungen der Zukunft eine andere Politik betreiben, als sie es früher getan hätte.