[analysiert]: Danny Michelsen mit einem Überblick über populistische Parteien in Europa und ihre Allianzen.
Eine Pressekonferenz von Marine Le Pen und Geert Wilders am 13.11.2013 in Den Haag hat in ganz Europa viel Aufmerksamkeit erfahren, weil sie eine Annahme ins Wanken brachte, die bis vor kurzem noch als selbstevident galt: dass von den Rechtspopulisten im Europäischen Parlament schon deshalb keine Bedrohung ausgehe, weil sie unfähig seien, Bündnisse zu schmieden. Zwar gab es seit den 1980er Jahren mehrere gemeinsame Fraktionsbildungen; diese waren jedoch meist sehr kurzlebig und die Vertreter der an ihnen beteiligten nationalen Parteien agierten oft heillos zerstritten. Dass die Erweiterung – und nicht etwa, wie einige Medien irrtümlich berichteten, die Gründung – des maßgeblich von Le Pen und dem FPÖ-Europaabgeordneten Franz Obermayr geführten Bündnisses „Europäische Allianz für die Freiheit“ (EAF) um Wildersʼ Partij voor de Vrijheid (PVV) und andere rechtspopulistische Parteien zur Europawahl Ende Mai, wie Le Pen meinte, in dieser Hinsicht allerdings einen „Wendepunkt“ markieren wird, [1] ist durchaus fragwürdig. Vieles deutet im Gegenteil darauf hin, dass das „europaskeptische“ Lager trotz seiner zu erwartenden Zugewinne bei der Wahl am 25. Mai künftig ähnlich zersplittert sein wird wie bislang.
Im Europäischen Parlament sind die Parteien rechts von den „Europäischen Konservativen und Reformisten“ (EKR) derzeit in drei Gruppierungen gespalten: ganz außen die „alte“ extreme Rechte, die aus neofaschistischen Parteien wie der ungarischen Jobbik und der britischen National Party besteht und in einer nahezu bedeutungslosen Europäischen Partei mit dem Namen „Allianz der europäischen nationalen Bewegungen“ zusammengeschlossen ist; dann die bereits erwähnte EAF, der außer FPÖ- und FN-Abgeordneten auch Europaparlamentarier des Vlaams Belang und anderer rechtspopulistischer Parteien angehörten; doch am weitesten in der politischen Mitte befindet sich ein lockeres Bündnis aus rechtskonservativen bzw. -populistischen Parteien, das, bislang angeführt von der italienischen Lega Nord und der britischen UK Independence Party, von den genannten Gruppierungen als einzige Fraktionsstatus besitzt. Die EFD („Europa der Freiheit und Demokratie“) liegt mit derzeit 31 Abgeordneten zwar deutlich über der vom Parlament beschlossenen Mindestanzahl zur Bildung einer Fraktion (25 Mitglieder aus sieben Staaten), allerdings sind schon mehrere Abgeordnete aus der EFD ausgetreten – weil sie ihre Kollegen mittlerweile entweder als zu radikal oder als zu europafreundlich einstuften.
Die Gründe für die ständigen internen Konflikte und für die Spaltung des rechten Lagers insgesamt liegen auf der Hand: Erweist sich die internationale Kooperation nationalistischer Parteien seit jeher als schwierig, so nehmen die gegenseitigen Ressentiments in einer EU, die drei Osterweiterungen hinter sich hat, noch zu – die kurzlebige rechtsradikale Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ etwa, der auch Marine Le Pen angehörte, musste sich 2007 auflösen, weil Abgeordnete der rumänischen PRM aus Protest gegen fremdenfeindliche Äußerungen über rumänische Migranten von Seiten der Italienerin Alessandra Mussolini austraten. Meist haben sich die Meinungsverschiedenheiten jedoch am Thema europäische Integration entzündet, zu dem es sowohl in der EFD als auch innerhalb der EAF sehr unterschiedliche Positionen gibt: Während z.B. der FN einen Austritt Frankreichs aus der EU anstrebt, haben sich die FPÖ-Abgeordneten Andreas Mölzer und Franz Obermayr – zwei Mitstreiter Le Pens in der EAF – in erster Linie für eine Rückführung von Gesetzgebungskompetenzen an die Nationalstaaten und eine Modifizierung des „europäischen Superstaates“ nach dem vagen Modell eines „Europas der Regionen“ ausgesprochen. In der EFD dasselbe Bild: Die UKIP hat seit jeher für den Austritt getrommelt, während die Fraktionskollegen von der Lega Nord (LN) ebenfalls lange Zeit von einer radikalen Reform der EU sprachen.
Im Zuge der Krise der Währungsunion haben sich die Parteien beim Streitthema Europa wieder aufeinander zubewegt. Die Wahrnehmung der EU als gemeinsames Feindbild hat ein neues Gefühl der Einigkeit geschaffen. Der neue LN-Vorsitzende Matteo Salvini, der den Euro als ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet,[2] hat zu Beginn dieses Jahres einen „eisernen Pakt“ mit Le Pen geschlossen, wonach seine Partei, deren sieben EP-Abgeordnete derzeit noch Mitglieder der EFD-Fraktion sind, nach der Wahl der EAF beitreten werde.[3] Auf dem LN-Parteitag in Turin im Dezember 2013 waren neben Wilders und FPÖ-Chef HC Strache auch der Vlaams Belang-Vorsitzende Gerolf Annemans und ein Vertreter des FN anwesend, um Einigkeit zu demonstrieren. Auch die Schwedendemokraten (SD), die gute Chancen haben, zum ersten Mal ein oder zwei EP-Mandate zu gewinnen, haben sich nach anfänglichem Zögern entschieden, der Allianz beizutreten. Wie fragil dieser Zusammenschluss ist, lässt sich jedoch am Beispiel des jüngsten Skandals um Andreas Mölzer aufzeigen, der zunächst Spitzenkandidat der FPÖ zur Europawahl war, seine Kandidatur jedoch nach langem Ringen zurückziehen musste, als er nicht mehr leugnen konnte, bei einer Podiumsdiskussion die EU als ein „Negerkonglomerat“ bezeichnet zu haben. In Reaktion darauf hat der SD-Reichstagsabgeordnete Kent Ekeroth, der auch im Vorstand der EAF sitzt, gedroht, die Allianz wieder zu verlassen, sollte Mölzer seine Kandidatur und sein Amt als Beisitzer im EAF-Vorstand nicht niederlegen.
Dennoch ist das erfolgreiche Werben Le Pens und Wildersʼ um weitere Bündnispartner Ausdruck einer stillen Zeitenwende des westeuropäischen Rechtspopulismus, die maßgeblich durch die Wahl Marine Le Pens zur FN-Vorsitzenden im Januar 2011 ermöglicht wurde. Ihr Vater war der letzte Repräsentant jener markigen Elterngeneration rechtspopulistischer Führer, deren Geltungsdrang und regelmäßige rassistische und geschichtsrevisionistische Entgleisungen das Außenbild ihrer Parteien bestimmten, die sie zwar immer wieder zu neuen Erfolgen führten, welche aber oft auch – wie nach dem überraschenden Triumph Le Pens in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2002 – in langanhaltende Phasen des Niedergangs mündeten. Inzwischen ist eine neue Generation von Demagogen herangewachsen, die nicht mehr – wie etwa Le Pen oder Haider – den Ruf von Antisemiten haben, die weniger exzentrisch, dafür aber pragmatischer und strategischer auftreten, die nach Wegen suchen, das zahlreichen empirischen Studien zufolge umfangreiche latent extremistische Wählerpotential in der sogenannten „Mitte“ so weit wie möglich abzuschöpfen, ohne für die Stammwählerschaft unglaubwürdig zu werden. Natürlich müssen rechtspopulistische Parteien diesen Spagat immer und überall einüben; auf europäischer Ebene gestaltet er sich aber besonders schwierig, denn zumindest aus Sicht der gemäßigteren unter ihnen bringt eine Assoziierung mit radikaleren EP-Fraktionskollegen in ihren jeweiligen Heimatländern letztlich mehr Nachteile als auf europäischer Ebene Vorteile mit sich. Mit der (vermeintlichen, weithin so perzipierten) Deradikalisierung des FN als einem der Gravitationszentren des westeuropäischen Rechtspopulismus reduziert sich dieses Problem. Der Besuch von Le Pen in Den Haag war auf Anfrage von Wilders zustande gekommen, der vor allem aufgrund antisemitischer Äußerungen Jean-Marie Le Pens bislang auf Distanz zu dessen Partei gegangen war.
Man kann also festhalten, dass der harte Kern des westeuropäischen Rechtspopulismus vor der Europawahl stärker zusammenwächst. Ob das auch für die Zeit nach der Wahl gelten wird, ist schwer zu sagen. Aber wenn der FN tatsächlich die in Umfragen prognostizierten 20 Prozent erreicht, ist es so gut wie sicher, dass auch die EAF nach den Wahlen über genügend Abgeordnete verfügen wird, um Fraktionsstatus zu erhalten. Zudem ist nicht auszuschließen, dass die Wahren Finnen oder auch – trotz ihrer ablehnenden Bekundungen – die Dänische Volkspartei, deren Abgeordnete bislang in der EFD organisiert sind, aber u.a. aufgrund ihrer islamfeindlichen Ausrichtung starke Affinitäten zum FN, zur PVV und FPÖ aufweisen, im Verlauf der nächsten Legislaturperiode in das Lager der EAF wechseln. Die EFD könnte dann personelle Probleme bekommen. Ebenso wenig wie die zur Mitte strebenden Europaskeptiker werden die Parteien der extremen Rechten aus dem Europaparlament verschwinden. Zwar haben die Zugewinne moderater EU-skeptischer Parteien in westeuropäischen Ländern wie Großbritannien (UKIP) und Deutschland (AfD) dazu geführt, dass die dort ohnehin marginalisierten Konkurrenten der extremen Rechten in die völlige Bedeutungslosigkeit abgerutscht sind, aber in einigen süd- und osteuropäischen Ländern wie Ungarn (Jobbik) und Griechenland (Goldene Morgenröte) haben neofaschistische Parteien bei den vergangenen Wahlen beachtliche Erfolge erzielt. Insgesamt werden solche Gruppierungen im EP jedoch wieder nur sehr wenige Abgeordnete stellen und es ist fraglich, ob sie sich in einer europäischen Partei organisieren werden. Doch eines ist klar: Die derzeitige Spaltung in drei Lager wird, trotz einiger Verschiebungen, auch nach der Wahl bestehen bleiben.
Danny Michelsen ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Zitiert nach: Benjamin Dürr, Europas Rechtspopulisten wollen Brüssel entmachten, in: Spiegel online, 13.11.2013.
[2] Zitiert nach: Nick Squires, Independence for Northern Italy and an end to euro, says Northern League leader, in: telegraph.co.uk, 16.12.2013.
[3] Zitiert nach der Meldung auf euronews.it: “European Parliament Elections: the Italian Lega Nord chooses Le Pen’s extreme right-wing party”, 15.01.2014 (http://www.eunews.it/en/2014/01/15/european-parliament-elections-the-italian-lega-nord-chooses-le-pens-extreme-right-wing-party/11867)