„Marx aus dem Keller holen“?

Beitrag verfasst von: Milena Fritzsche

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[Gastbeitrag]: Milena Fritzsche über sozialdemokratischen Vorbehalte gegen einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen.

Im Osten des Landes stehen Wahlen an. Besonders Thüringen ist dabei von bundesweitem Interesse, da es hier bald „Bodo, den Ersten“[1] geben könnte: Bodo Ramelow, den vielleicht ersten linken Ministerpräsidenten der Bundesrepublik. Denn in Thüringen sind die Mehrheitsverhältnisse ein wenig anders als im Rest des Landes. Seit der Wiedervereinigung stellen die Christdemokraten den Ministerpräsidenten, zweite Kraft sind traditionell Die Linken und erst auf dem dritten Platz folgt die SPD, die hier kaum den Anschein einer Volkspartei macht. Während die Sozialdemokraten lediglich auf 19 Prozentpunkte kommen, liegt die Linkspartei in Umfragen derzeit bei etwa 26 Prozent.[2] Allerdings: Ein linker Ministerpräsident in Thüringen bedürfte eines sozialdemokratischen Koalitionspartners, doch – trotz der Enttäuschung über den von Affären gebeutelten derzeitigen CDU-Koalitionspartner – beäugt dieser seine mögliche künftige Rolle noch mit äußerst gemischten Gefühlen.

Es waren Sozialdemokraten, die in Baden-Württemberg als Juniorpartner dem ersten grünen Ministerpräsidenten ins Amt verhalfen, als auch dort die Genossen einer maroden CDU die Macht vereiteln wollten. Aber nun ist man sich in der SPD unsicher, ob man wirklich noch einmal derart Geschichte schreiben möchte und in einer historisch bedeutsamen Stunde den ersten linken Ministerpräsidenten krönen soll. Bodo Ramelow, einen Linken, Mitglied der Nachfolgepartei von SED und PDS. So sehen ihn jedenfalls nicht wenige kritische Genossen. In einem offenen Brief warnten einige von ihnen vor einem möglichen rot-roten Bündnis, würde dies die SPD doch langfristig in ihren „Grundfesten erschüttern“.[3]

Dass auf den ersten zehn Listenplätzen der Linkspartei zwei Postkommunisten kandidieren, die im real-existierenden Sozialismus einst mit der Staatssicherheit zusammenarbeiteten, ist zumindest für einen Teil der Sozialdemokraten unfassbar und schließt in ihren Augen eine gemeinsame Regierung aus. Erste langjährige Parteimitglieder haben bereits gar ihren Austritt beantragt oder kündigten diesen für den Fall einer Koalition an.[4] Inzwischen hat Bodo Ramelow zwar angekündigt, dass es keine linken Regierungsmitglieder geben werde, die eine Stasi-Vergangenheit aufweisen, aber das geht manch einem nicht weit genug. Schließlich verlange die Linkspartei in ihren Programmen klar eine Überwindung des jetzigen Systems und das sei ein Affront gegenüber allen demokratischen Parteien sowie dem Grundgesetz und erinnere nur allzu stark an das DDR-Regime.[5] Außerdem habe die Linkspartei noch immer nicht Position zur DDR als Unrechtsstaat bezogen.

In der Vergangenheit erhielten SPD und Linke (teilweise zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen) bereits mehrfach eine rechnerische Mehrheit, um eine Koalition auf (vor allem ostdeutscher) Landesebene zu bilden. Doch die Sozialdemokraten schlugen diese Möglichkeiten oftmals aus – so auch in Thüringen vor fünf Jahren –, da sie noch immer historische und personelle Vorbehalte gegen ein Linksbündnis hegten.[6] In Brandenburg, wo 2009 die Sozialdemokraten dann doch ein solches Bündnis wagten, wurde die Linkspartei dann in der Tat von der Vergangenheit eingeholt, als sich in ihren Reihen mehrere Abgeordnete als ehemalige Stasi-Spitzel entpuppten und die gesamte rot-rote Landesregierung ins Wanken geriet.[7]

Doch in Thüringen sind von den linken Führungspersonen systemfeindliche Parolen derzeit nicht zu vernehmen, im Gegenteil. Als Bodo Ramelow kürzlich bei einer Wahlkampfveranstaltung dafür warb, man solle „Marx aus dem Keller holen“, bezog sich dies lediglich auf eine Karl-Marx-Büste, die seit der friedlichen Revolution in den Kellern der Universität Jena verweilen muss.[8] In Thüringen ist Die Linke keine Splitterpartei, vielmehr spricht sie breite Bevölkerungsschichten an. Während die Sozialdemokratie in Ostdeutschland 1946 durch die Gründung der SED zerschlagen wurde, ihr Milieu nach der jahrzehntelangen Diktatur nicht mehr existierte und nach 1989 nur mühsam die SPD wiederaufgebaut wurde,[9] avancierte Die Linke zur ostdeutschen Volkspartei .

Die Linke vertritt in Thüringen ein dezidiert sozialdemokratisches und gewerkschaftsnahes Programm. Sie steht gemeinsam mit den thüringischen Christdemokraten auf der Straße gegen Rechtsextremismus und hat im Erfurter Parlament die CDU-Initiative für einen Mindestlohn unterstützt. Zu dieser Offenheit trägt sicherliche auch Ramelows Biografie  bei: 1990 kam er, der gläubige Protestant, als Gewerkschafter aus Hessen nach Thüringen.[10] Eine Verbindung zur SED ist bei ihm daher auszuschließen und das erklärt zumindest einen Teil seines Erfolgs. Politisch bezeichnet er sich zwar als demokratischen Sozialisten, agiert aber äußerst staatsmännisch; dabei redet er gar nicht so, „als wolle er Ministerpräsident werden. Er redet so, als sei er es schon.“[11]

Es ist nach der Wahl aller Voraussicht an den Sozialdemokraten zu entscheiden, ob es einen ersten linken Ministerpräsidenten in Thüringen geben wird oder nicht. Die Basis soll darüber urteilen und zeigt sich dabei gespalten. Die Parteispitze schließt ein rot-rotes Bündnis keineswegs mehr aus, begrüßt es zwar auch nicht gerade allzu offen; es ist aber eine realistische Option. Inhaltlich schwerwiegende Differenzen zwischen SPD und Linkspartei gibt es in Thüringen jedenfalls kaum und die außenpolitischen Ansichten, bei denen beide Parteien derzeit nicht zueinander finden würden, sind landespolitisch erst einmal nicht von Bedeutung. Die Bilanz von Regierungsbeteiligungen der Linken zeigt zudem: Die Linkspartei hat Verantwortung in Regierungsämtern übernommen, weiß durchaus pragmatisch zu agieren, indem sie beispielsweise im überschuldeten Berlin eine rigide Sparpolitik vertritt.[12]

Die Auferstehung des Sozialismus müssen die Genossen von der SPD daher nicht befürchten. Vielleicht aber zieht mit Ramelow dann doch immerhin noch eine Marx-Statue mit in die Staatskanzlei ein.

Milena Fritzsche studiert Politikwissenscahft an der Uni Göttingen.

[1]  Machowecz, Martin: Bodo, der Erste, in: Die Zeit, 02.05.2014, online einsehbar: http://www.zeit.de/2014/18/bodo-ramelow-linke-thueringen-wahl/komplettansicht [Zugriff: 20.08.2014].

[2]  Umfrage zur Landtagswahl in Thüringen von INSA, 08.08.2014, online einsehbar: http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/thueringen.htm [Zugriff 20.08.2014].

[3]  Hier zitiert nach: Kaczmarek, Hartmut: SPD-Wendepolitiker warnen vor Links-Koalition, in: Thüringische Landeszeitung, 08.07.2014.

[4]  Vgl. Sommer, Gerlinde: „Wenn die SPD mit Linken regiert, ist sie nicht mehr meine Partei.“ Eisenacher Sozialdemokratin der ersten Stunde wendet sich gegen die Steigbügelhalter Ramelows, in: Thüringische Landeszeitung, 22.08.2014, S. 11.

[5]  Siehe den Aufruf: „Gegen eine SPD-Unterstützung eines SPD-Ministerpräsidenten! Appell an die SPD-Führung in Thüringen“, online einsehbar: http://aufruf2014.wordpress.com/ [Zugriff: 22.08.2014].

[6]  Vgl. Oppelland, Torsten/ Träger, Hendrik: Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei, Baden-Baden 2014, S. 82.

[7]  Siehe u.a. O.A.: Rot-Rot in Brandenburg. Neuer Stasi-Fall belastet Potsdams Linke, in: Spiegel online, 02.12.2009: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/rot-rot-in-brandenburg-neuer-stasi-fall-belastet-potsdams-linke-a-664776.html [Zugriff: 20.08.2014].

[8]  Vgl. den Bericht zur Veranstaltung: Sommer, Gerlinde: Ramelow: „Ich achte Kommunisten. Ich bin demokratischer Sozialist“, in: Thüringische Landeszeitung, 21.08.2014, S.3.

[9]  Weiterführend dazu: Walter, Franz/ Dürr, Tobias/ Schmidtke, Klaus: Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora. Untersuchungen auf lokaler Ebene vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Bonn 1993.

[10]  Vgl. u.a. Reinecke, Stefan: Ich, sagt Bodo Ramelow, in: die tageszeitung, 23.08.2014, S.8-9.

[11]  Wyssuwa, Matthias: Ein Mann setzt auf Rot, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.08.2014, online einsehbar: http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-thueringen/bodo-ramelow-ein-mann-setzt-auf-rot-13079522.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 [Zugriff: 22.08.2014].

[12]  Oppelland, Torsten/ Träger, Hendrik: Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei, Baden-Baden 2014, S. 221.