Gleichheit der Geschlechter?

[analysiert:] Teresa Nentwig über die Stellung der Frau in der französischen Politik

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diese Formel verbindet man mit Frankreich wie das Bild des Franzosen mit Baskenmütze und Baguette unterm Arm. Gerade der zweite Begriff – die égalité – sorgt in unserem Nachbarland jedoch immer wieder für Diskussionen. Denn in einem Bereich lassen sich noch immer eklatante Ungleichheiten feststellen: in der Politik. Sie ist auch heute noch größtenteils eine Männerdomäne.

Was die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im politischen Raum betrifft, war Frankreich von Anfang an ein Nachzügler. Während in Deutschland Frauen erstmals 1919 wählen durften, erhielten ihre Geschlechtsgenossinnen in Frankreich erst 1944 das Wahlrecht. In der Folgezeit schufen sich die Französinnen langsam einen Platz in der Politik: 1947 wurde mit Germaine Poinso-Chapuis erstmals eine Frau Ministerin; 1974 trat zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentschaftswahl an: Arlette Laguiller für die trotzkistische Partei Lutte Ouvrière; 1991 bekam Frankreich mit Édith Cresson die erste Premierministerin. Weitere Beispiele ließen sich nennen.

Die Politik blieb trotzdem eine Männerbastion – die allerdings immer umstrittener wurde. Mitte der 1990er Jahre konnten sich die Politiker deshalb nicht mehr dem Thema Parität verschließen; 1995, anlässlich des Präsidentschaftswahlkampfes, wurde die Stellung der Frau in politischen Instanzen erstmals ein Wahlkampfthema. Jacques Chirac, am 7. Mai 1995 zum Staatspräsidenten gewählt, schuf mehrere Monate später das „Observatorium der Parität zwischen Frauen und Männern“, dessen Aufgabe auch heute noch u. a. darin besteht, die Geschlechterungleichheiten im politischen Bereich zu analysieren und Vorschläge zur Durchsetzung der Parität auszuarbeiten.

Bis die politische Gleichberechtigung rechtlich verankert wurde, sollten jedoch weitere Jahre vergehen. 1999 schließlich ergänzte die Regierung Lionel Jospin den Artikel 1 der Verfassung um das Prinzip der politischen Parität zwischen Frauen und Männern. Ein Jahr später – ebenfalls unter der Regierung Jospin – trat das „Gleichstellungsgesetz“ (la loi sur la parité) in Kraft, das die paritätische Besetzung der Listen für die Europawahl, Regionalwahl, Kommunalwahl (nur in Gemeinden mit über 3.500 Einwohnern) und – in einigen Fällen – für die Senatswahl vorsieht. Kandidieren auf einer Liste nicht zu gleichen Teilen Frauen und Männer, wird sie zurückgewiesen.

Das „Gleichstellungsgesetz“ legt zudem finanzielle Strafen fest: Parteien, die zur Parlamentswahl nicht mindestens 50 Prozent Frauen präsentieren, wird die öffentliche Finanzierung gekürzt. Das Gesetz sorgte für hitzige Debatten. Von vielen Seiten wurde es gelobt, von anderen dagegen kritisiert. So war häufig zu hören, dass die Gefahr bestehe, dass Frauen nicht aufgrund ihrer Qualifikation aufgestellt würden, sondern allein wegen der Quotenregelung. Nach und nach verstummte die Kritik.

Nun, am 6. Juni dieses Jahres, hat das „Gleichstellungsgesetz“ seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Die Bilanz fällt ambivalent aus. In der Nationalversammlung ist der Frauenanteil noch immer äußerst gering: Nur 18,9 Prozent der Abgeordneten sind weiblich. Zum Vergleich: Im deutschen Bundestag sitzen zu 32,8 Prozent Frauen. Anders ausgedrückt: In Frankreich verzichten die Parteien lieber auf Geld, als sich zu „feminisieren“. Der Regierungspartei UMP wird die Nichtbeachtung der Parität in der Legislaturperiode 2007-2012 schätzungsweise mehr als 20 Millionen Euro kosten, der Sozialistischen Partei mehr als 2,5 Millionen.

Der Senat, die zweite Kammer der Legislative, wird ebenfalls weiterhin von männlichen Abgeordneten dominiert: Er zählt nur 21,5 Prozent weibliche Mitglieder. Zugleich lassen sich aber auch positive Entwicklungen feststellen: Gab es 1977 unter zwei Prozent Bürgermeisterinnen, so sind es jetzt zumindest über 13 Prozent. Saßen 1995 noch 21,7 Prozent Frauen in den Gemeinderäten, so waren es 2008 bereits 35 Prozent. In den Regionalräten, Selbstverwaltungsorgan der Regionen, stieg die Zahl der Frauen von 27,5 Prozent im Jahr 1998 auf heute 48 Prozent. Dennoch: Von Gleichheit kann nur im letzten Fall gesprochen werden. Schaut man sich die lokalen Exekutivfunktionen an, zeigt sich ebenso eine noch immer bestehende männliche Dominanz. So sind z. B. nur 7,7 Prozent der Regionalratspräsidenten weiblich.

Angesichts der insgesamt mageren Bilanz der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit in der Politik überrascht es nicht, dass das zehnjährige Bestehen des loi sur la parité dazu geführt hat, dass in Frankreich derzeit wieder eifrig über das Thema Gleichberechtigung diskutiert wird – auch im Parlament selbst. So stand im Mai in der Nationalversammlung ein von den Sozialisten erarbeiteter Gesetzentwurf auf der Tagesordnung, der eine noch stärkere Kürzung der staatlichen Mittel für die Parteien vorschlug, die die Parität zwischen Männern und Frauen unterlaufen. Zudem bestimmte der Gesetzentwurf, dass es nicht ausreiche, die Frauen nur auf den Listen zu präsentieren. Stattdessen müssten sie von jetzt an auch gewählt werden, was damit ausschließt, dass für Frauen Wahlkreise reserviert werden, die sie von vornherein nicht gewinnen können. Dem Gesetzentwurf war jedoch kein Erfolg beschieden: Nach einer lebhaften Debatte stimmten 290 Abgeordnete gegen ihn, 213 dafür.

Die Parti socialiste (PS) wird daher in Zukunft auch intern versuchen, ihre weiblichen Mitglieder stärker zu fördern. Zur Parlamentswahl 2012 beispielsweise möchte sie mindestens 50 Prozent Frauen als Kandidaten aufstellen. Zugleich hat sich die PS das Ziel gesetzt, dass von 2012 an die Hälfte ihrer Parlamentsabgeordneten weiblich sein soll. Dies zu erreichen, wird nicht einfach, denn bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2007 gab es 46,5 Prozent Frauen, die für die PS angetreten sind, wobei nur knapp 30 Prozent von ihnen gewählt wurden. Das Problem ist immer noch, dass Frauen oft in aussichtslosen Wahlkreisen antreten müssen. Eine Frau mehr ist eben immer ein Mann weniger. Man darf also gespannt sein, ob die Nationalversammlung tatsächlich „femininer“ wird.

Langfristig gibt es eine weitere Perspektive: Zum ersten Mal müssen Studierende Kurse besuchen, die die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in der Politik, auf dem Arbeitsmarkt, in der Familie usw. thematisieren. Betroffen von dieser Regelung sind die etwa 9.000 Studentinnen und Studenten der renommierten Elitehochschule Sciences Po. Die Kurse, die u. a. in Jura, Geschichte, Soziologie und Ökonomie stattfinden sollen, werden erstmals ab dem im Herbst beginnenden Semester angeboten, ein Jahr darauf sollen sie für alle Studierenden verpflichtend sein. Fragen, die in den Seminaren behandelt werden, sind z. B.: Inwiefern trägt die innere Funktionsweise von Parteien dazu bei, dass Frauen in politischen Ämtern unterrepräsentiert sind? Wie entstehen in der Schule Geschlechterstereotype? Das Ziel des Programms, das den Organisatoren zufolge weltweit einzigartig ist, besteht darin, die Reflexion der Studierenden über geschlechtsspezifische Diskriminierungen zu vertiefen. Die Vermutung ist, dass sie für dieses Thema derart sensibilisiert werden, dass sie sich eines Tages, wenn sie selbst Verantwortung übernehmen, für Gleichberechtigung einsetzen.

Von Jacques Chirac und Lionel Jospin über Boutros Boutros-Ghali und Jean-Claude Trichet bis zur derzeitigen Vorsitzenden der französischen Sozialisten Martine Aubry und der ersten Präsidentin des Europäischen Parlaments Simone Veil – sie alle haben ein Studium an Sciences Po gemeinsam. Steigen die heutigen und zukünftigen Studierenden der Pariser Eliteuniversität eines Tages in solch hohe Positionen auf, wird die égalité in Bezug auf die Geschlechter also vielleicht doch noch zur Blüte gelangen. Weitere Baustellen warten jedoch: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Frankreich, verglichen mit ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung, in politischen Ämtern deutlich unterrepräsentiert. Es bleibt also noch viel zu tun!

Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Politische Führung im deutschen Föderalismus – Die Ministerpräsidenten Niedersachsens„. Darüberhinaus beschäftigt sie sich mit der politischen Lage in Frankreich.