Generationenwechsel, diesmal anders?

[kommentiert]: Jöran Klatt über das neue Duo an der Parteispitze der LINKEN.

Der Göttinger Parteitag ist nicht der erste Versuch der Partei DIE LINKE, einen Generationenwechsel zu wagen. Doch anders als im Falle des Rostocker Parteitages bedeutet die Tagung in der Universitätsstadt auch den zaghaften Versuch einer Kurskorrektur. Neben dem knappen Sieg der Gewerkschafter durch die Wahl Bernd Riexingers, der eher für die Traditionalisten steht, könnte die Partei mit der Wahl der 34-jährigen Katja Kipping ihrem Überalterungsproblem nicht nur in der Führungsspitze entgegenwirken.

Im Vorfeld war viel über den Dualismus von Dietmar Bartsch – dem „Reformer“, der in Göttingen explizit eine „neue Erzählung“ für die Partei forderte – und Oskar Lafontaine – dem „Traditionalisten“, der vor allem die Entstehungsmythen der LINKEN betonte – geredet worden. Von der bevorstehenden Spaltung war mal wieder die Rede und auch die Partei selbst machte diesmal keinen Hehl daraus, dass es Konflikte gibt. Und doch zeigte der Göttinger Parteitag der LINKEN einmal mehr, wie stark sie sich mittlerweile professionalisiert hat. Wenig gelangte nach außen, Twitter-Nachrichten der Delegierten ruhten im Vergleich zum regen Strom, der noch auf dem Erfurter Parteitag zu beobachten gewesen war. Alleine Halina Wawzyniak konnte und wollte die Web-2.0-Darstellung nicht pausieren lassen. Fast ist man geneigt, dies in einem Zusammenhang mit ihrer Abstrafung bei den Vorstandswahlen zu sehen (im Gegensatz zur letzten Wahl scheiterte sie in mehreren Anläufen). Allen war offenbar klar, dass man weniger nach außen tragen sollte. Ähnlich wie in Erfurt versuchte die Partei somit, Geschlossenheit nach außen zumindest zu demonstrieren. So wählte man sich einen Vorstand, der den Lagerkampf entscheiden und möglichst wenig negative Folgen zeitigen soll. Doch wie viel Integrations- und Aussöhnungskraft stecken nun eigentlich in dem neuen Führungsduo Kipping/Riexinger?

Auch wenn Bernd Riexinger sicherlich nicht der reine Traditionalist und typische Gewerkschafter ist, steht er doch eher für das Lager um Oskar Lafontaine und die Sozialistische Linke, damit für den gewerkschaftlichen Flügel der Partei. Mit einer Vorstellungsrede, die Riexinger genauso auf einer Maikundgebung hätte halten können, unterstrich er dies überdeutlich. Ihm wird es daher wohl schwer fallen, die nicht-gewerkschaftlich orientierten Anhänger für sich zu gewinnen. Integrationsaufgaben, die Parteivorsitzenden üblicherweise obliegen, werden somit eher an Kipping hängen bleiben, die „den Wechsel der Tonlage in das Projekt der Partei“ einbringen will.

Kipping selbst bezeichnete ihre Kandidatur, die sie bis zuletzt an die sogenannte Doppelspitze mit der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen gekoppelt hatte, als „Angebot eines dritten Weges“. Ein historischer Vergleich – und dennoch ein nicht unzutreffender, bemerkt man doch, dass in der medialen Darstellung und letztendlich auch tatsächlich auf dem Parteitag die zentrale innerparteiliche Konfliktline jene Bipolarität aus Anhängern des fds (Forum demokratischer Sozialismus) und der SL (Sozialistischen Linken) war. Kipping kann keiner der beiden im Vorfeld aktivsten Strömungen zugeordnet werden. Sie steht für die kleine, jedoch nicht unbedeutende Gruppierung der Emanzipatorischen Linken und damit für nicht weniger als den Versuch, die Partei für neue Wählergruppen und eventuell auch Mitglieder interessant zu machen – mindestens jedoch für den Versuch, die vorhandenen Jüngeren der Partei von der drohenden Abwanderung abzuhalten.

Denn für linkshabituelle und intellektuelle jüngere Menschen ist neben der Nichtwahl und der Abwanderung zu SPD und Grünen in den letzten Monaten die Piratenpartei eine interessante Alternative geworden. Leben sie doch den neuen Politikstil, den Personen wie Kipping seit eh und je fordern, vor. Da sich in den meisten Parteien jedoch die Traditionalisten des politischen Alltags durchgesetzt haben, ist der Erfolg der Freibeuter nicht verwunderlich; sie fischen somit auch im linken Lager. Deshalb bedeutet Kippings Wahl ins höchste Parteiamt die Chance, nicht nur neue inhaltliche Schwerpunkte zu postulieren, sondern diese auch in das Repertoire des politischen Alltags zu integrieren und damit Abwanderungen an diejenige Partei, die den LINKEN den Nimbus des Neuen und Frischen geraubt hat, zu stoppen; auch birgt sie die Aussicht, die Partei darüber hinaus sogar eventuell für zukünftig frustrierte Piratinnen und Piraten als Alternative interessant zu machen.

Doch Kippings zukünftige Aufgaben sind breiter gefächert. Neben einer Kurskorrektur liegt in ihrem Aufgabenbereich auch die Herausforderung, Integrationskraft aufzubringen, an der es Riexinger womöglich fehlen wird – und dabei nicht zuletzt die enttäuschten Bartsch-Anhänger in der Partei zu halten. Dabei muss sie sich gegen Vereinnahmungen beider Lager, der SL und des fds, wehren. Trotz ihres noch jungen Alters kann sie dabei auf eine lange Erfahrung im politischen Geschäft zurückblicken. Schon mit Anfang Zwanzig sammelte sie bereits kommunalpolitische Erfahrung – die wohl zentrale Kompetenz LINKER Politik – und auch im Vorstand ist sie schon lange kein Neuling mehr. Hinzu kommt eine starke intellektuelle Prägung, die ihr in der Vergangenheit oft den Ruf verliehen hat, allzu kompliziert zu reden, zu viele Fremdwörter zu verwenden. Der kleine Hinweis, den sie in ihrer Vorstellungsrede zu diesem Punkt machte („…die Prekarisierung, oder nicht in Fremdwörtern ausgedrückt: die Steuerung unserer Gesellschaft durch Angst“), deutet darauf hin, dass Kipping diese Schwäche reflektiert und sich weiterentwickelt hat. Es bleibt jedoch offen, wer wen mehr ändern wird: Kipping die Partei oder die Partei Kipping.

Riexingers Wahl ist indes eher ein Sieg für das Lager der Sozialistischen Linken. Im Freudentaumel über diesen Triumph ist Teilen des Lafontaine-Lagers dann ein schwerwiegender Fauxpas unterlaufen, stimmten doch einige Delegierte siegestrunken und hämisch die Internationale an. Bartsch und seine Anhänger zogen sich zurück. Ihm fiel es schwer, die Seinen zu beruhigen. Als Ausgleich rügte so mancher Delegierter am nächsten Morgen diese Vorkommnisse und mit großer Mehrheit (80,9 %) wurde Matthias Höhn in das Amt des Bundesgeschäftsführers gewählt, der zwar der einzige Kandidat war, zugleich aber auch ein enger Vertrauter von Bartsch ist. Das war ein schwaches, jedoch deutliches Signal vom Lafontaine-Lager, vor allem auch eine daraus folgende Koch- und Kellner-Regelung, in der das fds-Lager sich einmal mehr mit der Rolle der Organisatoren in der Parteizentrale begnügen muss.

Indes: Sahra Wagenknecht, über deren Spontankandidatur im Vorfeld viel diskutiert wurde, warf letzten Endes ihren Hut nicht in den Ring. Eine kluge Entscheidung, hätte sie damit doch mehr riskiert, als sie zu gewinnen hatte. Sie ist nun Parteivorsitzende für den Fall der Fälle und Fraktionschefin in spe (einen Posten, den sie ohnehin wohl viel lieber haben wollte). Mit ihrer Erklärung schlug sie dann sogar den Medien ein Schnippchen: Sie wolle keine Grabenkämpfe verstärken, so erklärte sie sich – gerade glaubhaft genug, um von dem Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, das auf diesen Graben blickt, nicht zu sehr ausgeleuchtet zu werden.

Jedenfalls: Der Streit in der LINKEN wird wohl weitergehen, nur eben anders als bisher. Riexinger und Kipping signalisierten zwar eine aufeinander zu gerichtete Bewegung; doch das Lager gewerkschaftlicher Puristen ist durch die Delegierung der Anhängerin des bedingungslosen Grundeinkommens auch wieder alarmiert. Für das Lafontaine-Lager wiederum kommt eine Diskussion um das progressive Gesellschaftsmodell Kippings nicht in Frage, wohingegen die Emanzipatorischen Linken und die abgeschlagenen Bartsch-Anhänger kein Kurs-Halten wollen. Dabei wird es im Inneren der Partei keine Schonfrist geben: Wer sich langfristig durchsetzen will, muss Erfolge nach außen vorweisen – und zwar bald.

Jöran Klatt arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.