[analysiert]: Robert Lorenz über den Kandidaten um den Parteivorsitz der Linken.
Dietmar Bartsch, einer der Kandidaten für den im Juni 2012 zu vergebenden Doppel-Parteivorsitz der LINKEN, stand im Verlauf seiner Karriere schon oft an Weggabelungen, die ihn ins politische Abseits hätten führen können, ihn stattdessen aber immer weiter hinauf beförderten, vorwärts brachten. Damit hat seine Vita bislang die ebenfalls wechselvolle Entwicklung der PDS bzw. LINKE verkörpert. Könnte mit Bartschs Rückkehr in die Parteiführung also auch die LINKE wieder in die Erfolgsspur gelangen?
In den 1980er Jahren befand sich Bartsch, Jahrgang 1958, auf dem Weg in die Nomenklatura der DDR. Er hatte als Fallschirmjäger der NVA gedient, war in die SED eingetreten, hatte ein Wirtschaftsdiplom gemacht, promovierte an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften und beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in Moskau, arbeitete im Verlag Junge Welt. Die „Wende“ unterbrach seine Karriere, er musste sich neu orientieren – so wie die SED, die in Teilen in der PDS fortlebte. Zu diesem Zeitpunkt war Bartsch politisch unbelastet, hatte er sich innerhalb des SED-Regimes doch nichts zuschulden kommen lassen. So standen ihm im wiedervereinigten Deutschland alle Karrierepfade offen. In der Bundesrepublik arbeitete er zunächst als Geschäftsführer des Verlags Junge Welt GmbH. 1991 begann dann als Bundesschatzmeister sein Aufstieg in der PDS – Bartsch war da gerade einmal Anfang dreißig und profitierte vom Umbruch. Schuldlos gebliebene Leute wie ihn suchte die postsozialistische Partei damals händeringend.
Bartsch kam also gerade recht, um die Ankunft und den weiteren Werdegang der Demokratischen Sozialisten in der Bundesrepublik zu managen. Bald schon war er Protagonist einer innerparteilichen Gruppe, die gemeinhin als „Reformer“ bekannt war und die die vorwiegend ostdeutsche Partei bundesweit politik- und regierungsfähig machen wollte. Ohne DDR-Nostalgiker und Ex-SEDler aus der Partei zu werfen – sie wurden für Mitgliedsbeiträge und Mitgliederstatistiken benötigt –, sollten doch zumindest deren politische Ansichten und Geschichtsverständnis nicht das Ansehen der Partei beeinträchtigen. Mauer, Stasi, Honecker – all das musste zweifelsfrei als Bestandteil einer verabscheuungswürdigen Diktatur gelten. Auch das offizielle Bekenntnis zum Grundgesetz musste vorbehaltlos ausfallen. Solchermaßen geläutert, so hofften die Reformkräfte, müsste die PDS eine Politik der sozialen Gerechtigkeit betreiben und sich damit Mandate in den Stadträten, Kreis- und Landtagen, schließlich im Bundestag erobern.
Doch die nostalgische Verbundenheit zur DDR und auch politische Ansichten, die in den Medien und von anderen Parteien als stalinistisch, leninistisch oder wenigstens marxistisch charakterisiert wurden, hielten sich hartnäckig. Bartsch, Gysi und Bisky hatten jedenfalls alle Hände voll zu tun, die PDS nicht als Sammelbecken politischer Extremisten, als Zufluchtsort ehemaliger Stasi-Agenten und Mauerschützen erscheinen zu lassen. Die Imagearbeit beschäftigte Bartsch praktisch die gesamten 1990er Jahre über – und schulte seine Fähigkeiten. Doch als Gysi und Bisky sich zurückzogen, konnte sich auch der Bundesgeschäftsführer Bartsch nicht mehr lange halten; 2001 misslang sein Versuch, den Parteivorsitz zu übernehmen mit einer Parteitagsniederlage, woraufhin er sich zurückzog, zunächst als Unternehmensberater in der freien Wirtschaft arbeitete und 2003 schließlich als Geschäftsführer beim Neuen Deutschland anheuerte.
Bartschs Mission war unvollständig geblieben. Unter ihrer neuen Vorsitzenden Gabriele Zimmer driftete die PDS führungslos durch die Parteienlandschaft. Niemand hätte sich seinerzeit gewundert, wäre sie im Äther der Geschichte entschwunden. Doch mit Bisky kehrte 2003 ein Mann an die Parteispitze zurück, der einen organisationserfahrenen und politisch versierten Parteifreund wie Bartsch brauchte. 2005 wurde Bartsch daher wieder Bundesgeschäftsführer der nunmehrigen Linkspartei.PDS; im Oktober desselben Jahres bezog er als Abgeordneter ein Büro auf dem Bundestagsareal.
Zwischen 2005 und 2007 verschmolzen Linkspartei und WASG zur LINKEN. Während dieses Fusionsprozesses übernahm Bartsch diverse Funktionen, mit denen er den Zusammenschluss vorantrieb. Dazu gehörte die Fähigkeit zur rhetorischen Attacke und Provokation. Bartsch führte rege Hintergrundgespräche mit den Medien, tauchte hier und da mit Zeitungs- und Fernsehinterviews auf. Als effektheischender Wahlkampfredner brauchte er nicht durch die Republik zu tingeln – dafür gab es Gysi und Lafontaine. Stellvertretend für viele seiner Parteifreunde, die sich von den Sozialdemokraten belächelt und herabgesetzt sahen, stichelte er gegen die SPD: So unterstellte er in siegesgewisser Pose den Sozialdemokraten „große Nervosität“[1], triumphierte nach der Bundestagswahl 2009, die „Sozialdemokraten werden sich „neu orientieren müssen, sonst werden sie eine kleine CDU“[2]; den Selbstanspruch der Linkspartei, bei den sachsen-anhaltinischen Landtagswahlen stärkste Partei zu werden, fand er nicht größenwahnsinnig, sondern im Gegenteil „sehr ehrgeizig, aber […] nicht unrealistisch“[3]. Im Übrigen verbuche seine Partei auch „einen gewissen Zulauf von ehemaligen Wählern der SPD“[4]. Bartsch verstand es, selbstbewusst und scharfzüngig die flüchtige Zeit von Wahl- und Organisationserfolgen der Linkspartei auszunutzen und das Projekt als politisches Spektakel auf Kosten der SPD zu inszenieren.
Damit auch ja keine Zweifel am Aufwind des neuen Linksbündnisses aufkamen, reklamierte Bartsch politische Erfolge, wo es nur ging, und stärkte damit das Selbstbewusstsein seiner Partei. Ohne die LINKE, sprach er in die Mikrofone der Journalisten, hätte es „die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I nie gegeben, und die Deutsche Bahn wäre längst verschleudert“[5]. Man habe nichts Geringeres als „die politisch-kulturelle Landschaft […] verändert“[6]. Und die LINKE, nicht irgendeine andere, sei schließlich die „Partei mit den größten Mitgliederzuwächsen“[7]. Mit seinen Statements, die er nahezu überall in der deutschen Medienlandschaft streute, verkörperte Bartsch den Status einer erfolgreichen, selbstsicheren Partei: „Unser Wählerpotenzial liegt bundesweit bei 20 Prozent.“[8]
In der Tat gab es Stimmenzuwächse nun nicht mehr bloß in den ostdeutschen Bundesländern, sondern auch im Westen. Bremen (2007: 8,4 Prozent), Hamburg (2008: 6,4 Prozent), Hessen (2008: 5,1 Prozent), Niedersachsen (2008: 7,1 Prozent), Schleswig-Holstein (2009: 6,0 Prozent), Saarland (2009: 21,3 Prozent), Nordrhein-Westfalen (2010: 5,6 Prozent). Nun konnte Bartsch Stimmung machen, die Euphorie anheizen, den Parteiapparat auf Hochtouren bringen – wann immer die Linkspartei bzw. die LINKE in ein vormals völlig unzugängliches Parlament einzog, war Bartsch wortgewandt zur Stelle, um diesen Erfolg auch alle Welt wissen zu lassen.
Anzeichen von Streit und Unstimmigkeiten im jungen Parteiprojekt, die damals schon von den Medien als problematische Querelen gedeutet wurden, spielte Bartsch einfach heiter herunter, bezeichnete sie als natürliche und Bestandteile und begrüßenswerte Eigenschaften einer „neue[n] Phase“, in der es „die innerparteiliche Debatte über unsere politische und strukturelle Entwicklung [zu] beleben“ gelte – außerdem hätte der skandalumwitterte Landesverband in Nordrhein-Westfalen „etwas Brillantes geschafft: Noch nie wurde ein Landtagswahlprogramm der LINKEN so im ganzen Land diskutiert“.[9] Was Streitereien anbelangte, über die in den Medien so viel zu hören war, gab er zu bedenken: In „jeder Partei hat man immer auch Exoten“.[10] Bartsch zufolge werde die LINKE vollauf ihrem Selbstanspruch gerecht, pluralistische Partei mit großer Meinungsvielfalt zu sein, wovon schließlich allein schon die 1000 Parteitagsanträge zeugen.
Unermüdlich betonte Bartsch zudem die Politik- und Bündnisfähigkeit der LINKEN, die ja von Kommentatoren ebenfalls regelmäßig in Zweifel gezogen wurde: „Wir müssen regieren wollen“, ermahnte er seine Partei, eine vollständige Umsetzung der politischen Ziele sei „zwar eine schöne Vorstellung, aber unrealistisch“.[11] Es gab faktisch keinen Ort, an dem Bartsch nicht die Politikfähigkeit der Linkspartei verkündete: „Wir müssen regieren wollen“, erschallte es sogar aus der SUPER ILLU. Nicht die LINKE, sondern die anderen Parteien seien kooperationsunfähig und verschlössen sich einer politischen Zusammenarbeit. Während sich andere Parteien an machtbezogenen Personalfragen aufhängten, mache die LINKE laut ihres Bundesgeschäftsführers ihre Koalitionsbereitschaft allein von politischen Inhalten abhängig.
In den drei Jahren, in denen zwischen 2004 und 2007 WASG und PDS/Linkspartei miteinander verschmolzen, war Bartschs öffentlicher Kampf gegen die Zweifel wichtig. Zugleich kümmerte er sich um den Ausbau der westdeutschen Landesverbände. Mit Argusaugen verfolgte er den Werdegang der neuen Filialen. Außerdem gelang ihm mehrfach eine souveräne Wahlkampfleitung. Routiniert dirigierte Bartsch im „WahlQuartier“ der LINKEN die Bundestagswahlen 2005 und 2009.
Bartsch war kein Polit-Entertainer wie Gysi, kein aufbrausender Tribun wie Lafontaine, auch kein gutmütiger Patron wie Bisky, sondern ein energischer Funktionär, der Probleme schnell erfasste und anschließend nach ebenso raschen Lösungen strebte, überdies ein großartiger Kommunikator, der den Umgang mit den Medien beherrschte.
2010 gab er allerdings sein Amt als Bundesgeschäftsführer im Konflikt mit dem Lafontaine-Lager auf. Sein langjähriger Weggefährte Gysi hatte ihn gar der Illoyalität bezichtigt, in den Verdacht gestellt, Lafontaine mit Gerüchten über eine Affäre mit Sahra Wagenknecht als notorischen Ehebrecher vorzuführen. Dieser Vorwurf war tückisch, denn wie hätte Bartsch ihn außer mit dem Verweis auf seine persönliche Integrität jemals entkräften sollen? Es half ihm auch nicht, dass die kontroverse Information bereits im Sommer 2009 in der Jungle World aufgetaucht war, also deutlich bevor der vermeintlich von Bartsch inspirierte Spiegel darüber berichtete. Statt seinen Rückhalt in den ostdeutschen Landesverbänden für eine Machtprobe zu nutzen, zog sich Bartsch zurück. Auf diese Weise entging er der anschließenden Phase zahlloser Rückschläge, die auf die fulminante Gründungszeit der Partei folgte.
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Aber inwiefern könnte Dietmar Bartsch in der gegenwärtigen Situation ein nützlicher Parteivorsitzender sein? Erstens ist er als Repräsentant Kopf all jener als Reformer bekannten LINKE-Politiker, die offenbar am liebsten in allen Parlamenten der Republik mit der SPD koalieren und in den Augen vieler dabei prinzipienlosen Verrat an den politischen Idealen der Partei begehen würden – zwar ein Feindbild für manche, hingegen Sachwalter sehr vieler Funktionäre in den östlichen Parteifilialen. Zweitens betont Bartsch den hohen Stellenwert ostdeutscher Probleme, ist Garant, dass die Befindlichkeiten der Menschen in den neuen Bundesländern – wo die Organisation ihr Fundament hat – in der Partei nicht in Vergessenheit geraten. Drittens steht er für die Bündnisfähigkeit der LINKEN in Richtung der SPD. Viertens trägt er durch seinen vorübergehenden Rückzug aus der Parteiführung keine Verantwortung für die Turbulenzen der vergangenen zwei Jahre. Fünftens zeichnet ihn eine Souveränität aus, mit der die Partei wieder Ruhe und Selbstbewusstsein gewinnen könnte. Bartsch verhielt sich in Momenten des Triumphs ebenso wie der Niederlage stets bemerkenswert gelassen. Insgesamt könnte er damit, in einer Mischung Anführer und Geschäftsführer, die Partei stabilisieren. Freilich könnte er mit seinem Gegensatz zu Lafontaine genauso gut die Kluft in der Partei vertiefen; auch würde ihm vermutlich ein Moderator wie Bisky fehlen. Insofern kommt es darauf an, wem die Position der Ko-Vorsitzenden zufällt.
Robert Lorenz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er hat die Studie „Parteibildung der Kärrner und Charismatiker“ veröffentlicht, welche sich mit den Führungskräften der Linkspartei beschäftigt.
[1] Zitiert nach ddp-Interview vom 08.03.2006.
[2] Zitiert nach o.V. (Interview mit Dietmar Bartsch): „Wir beobachten die SPD sehr aufmerksam“, in: Märkische Allgemeine, 30.09.2009.
[3] Zitiert nach Eubel, Cordula/Meisner, Matthias (Interview mit Dietmar Bartsch): „Was nutzt eine Partei, die edel und gut ist, aber nichts bewirkt“, in: Der Tagesspiegel, 09.01.2006.
[4] Zitiert nach Eubel, Cordula (Interview mit Dietmar Bartsch): „Wir erleben einen gewissen Zulauf von SPD-Wählern“, in: Der Tagesspiegel, 08.01.2009.
[5] Zitiert nach Büchner, Gerold (Interview mit Dietmar Bartsch): „Der Lagerwahlkampf ist eine Fiktion“, in: Berliner Zeitung, 24.01.2009.
[6] Zitiert nach Heilig, René (Interview mit Dietmar Bartsch): Viele haben Dank verdient, in: Neues Deutschland, 28.01.2008.
[7] Zitiert nach o.V. (Interview mit Dietmar Bartsch): „Linkes Profil nicht sichtbar geworden“, in: Thüringer Allgemeine, 17.01.2009.
[8] Bartsch zitiert nach Robers, Norbert (Interview mit Dietmar Bartsch): 20 Prozent Wählerpotenzial, in: Westdeutsche Allgemeine, 15.04.2008.
[9] Zitiert nach Oertel, Gabriele/Reents, Jürgen (Interview mit Dietmar Bartsch): Auf der Suche nach dem weiten Zeithorizont, in: Neues Deutschland, 27.10.2009.
[10] Zitiert nach Wehner, Markus (Interview mit Dietmar Bartsch): „Es wird keinen Alleinherrscher geben“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.03.2007.
[11] Zitiert nach Eubel, Cordula/Meisner, Matthias (Interview mit Dietmar Bartsch): „Was nutzt eine Partei, die edel und gut ist, aber nichts bewirkt“, in: Der Tagesspiegel, 09.01.2006; siehe auch o.V. (Interbiew mit Dietmar Bartsch): „In der DDR gab es Unrecht“, in: Leipziger Volkszeitung, 05.06.2009.