Die doppelte Krise der LINKEN

[analysiert]: Jonas Rugenstein sucht nach den Ursachen der Parteikrise und möglichen Auswegen.

Einer gewissen Ironie entbehrt diese Situation nicht. Vor rund sieben Jahren war es die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die Gerhard Schröder zu einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestages veranlasste und damit quasi den Entstehungsprozess der Partei Die LINKE zwar nicht einleitete, aber wesentlich beschleunigte. Nun ist es wiederum eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, welche die Existenz der LINKEN in Frage stellt. Viele professionelle Beobachter scheinen sich einig, dass es eng wird für die Partei links neben der Sozialdemokratie, die seit 2005 eine fulminante Karriere im deutschen Parteiensystem hingelegt hat. Aber nicht nur von außen, sondern auch in der Partei selbst ist von einer existenziellen Krise die Rede.

Kurz vor dem Parteitag in Göttingen, auf dem eine neue Führung gewählt werden soll, sind die Symptome dieser Krise nicht zu übersehen. Die Frage nach den richtigen Parteivorsitzenden hat sich zu einer Glaubensfrage entwickelt, die die Zerrissenheit der Partei abbildet. Dabei zeichnet sich die Debatte weniger durch die Solidarität aus, für die die Partei gerne stehen würde, sondern durch offenes Misstrauen und Verbissenheit.

Sicher, die LINKE wird nicht gleich morgen mit einem großen Knall verschwinden. In den neuen Bundesländern verfügt sie trotz Einbußen bei den letzen Landtagswahlen noch über eine intakte Verankerung in der Gesellschaft. Aber das, was die LINKE von der PDS bisher unterschied, waren die Erfolge im Westen der Republik; und gerade diese stehen – das zeigen die jüngsten Landtagswahlen mit aller Deutlichkeit – derzeit immer mehr in Frage.

Die LINKE befindet sich momentan in doppelter Hinsicht in einer Krise: Auf der einen Seite wird sie von dem internen Dauerstreit zwischen den verschiedenen Fraktionen gelähmt. Dabei ist der Streit deswegen so fundamental, weil er die Frage nach der Funktion der Partei betrifft. Auf der anderen Seite geht der Partei zusehends der Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern verloren. Die Mobilisierung, die vor fünf Jahren noch funktionierte, scheint momentan nicht mehr zu gelingen. Beide Krisen – und das macht die jetzige Situation zu einer existenzbedrohenden – hängen eng miteinander zusammen und verstärken sich gegenseitig.

Bereits im Parteigründungsprozess wurden die unterschiedlichen Vorstellungen vom Aufbau und Funktion einer Partei, die durch die WASG und die PDS vertreten wurden, als großes Hindernis und möglicher Fallstrick für die LINKE gesehen. Anfangs gelang es jedoch, die heterogenen Teile der Partei mittels der berauschenden Wirkung der Euphorie, die sich bei jedem neuen Einzug in einen westdeutschen Landtag einstellte, zusammenzuführen. Als dieses Bindemittel jedoch aufgrund erster Misserfolge nachließ und außerdem eine gruppenbildende Abgrenzung gegenüber dem politischen Hauptfeind, der SPD, aufgrund deren neuer Rolle in der Opposition nicht mehr möglich war, nahmen auch die Spannungen in der Partei wieder zu.

Bei diesen Auseinandersetzungen wurden oft traditionsreiche Grundsatzkonflikte der deutschen Linken wieder neu ausgetragen. Menschen aus verschiedensten politischen Zusammenhängen, die sich in der Vergangenheit oft genug in der Auseinandersetzung mit anderen linken Gruppen erprobt hatten, trafen in der neuen Partei aufeinander. Folglich waren die Kontrahenten bei diesen Konflikten nicht fähig, das alte Lagerdenken zu überwinden und die vielfältigen Meinungen produktiv zu nutzen. Den Konflikten in der LINKEN fehlen daher oft die internen Stoppmechanismen. Auch die gemeinsame Verabschiedung eines Parteiprogramms konnte diese Konflikte nur vorübergehend befrieden.

Die mangelnde Fähigkeit zur Mobilisierung ist auch eine Folge der internen Streitereien, die oft genug auch in den Landesverbänden ausgetragen wurden und für ein desolates Erscheinungsbild der Partei sorgten. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise haben sich während der letzten Legislaturperiode mehr als ein Drittel der Fraktionen der LINKEN in den Kommunen aufgelöst. In Schleswig-Holstein, dem Saarland und Bayern haben einzelne Funktionäre in höheren Ämtern die Partei verlassen. Darüber hinaus gelang es aufgrund der internen Zerstrittenheit nicht, nach außen zu wirken und Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Bei diesem Prozess spielt das Vertrauen der Menschen in die Partei eine wichtige Rolle. Dieses Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, dass dauerhafte Bindungen zwischen der Wählerschaft und der Partei entstehen. Die LINKE steht dabei vor der besonders schweren Aufgabe, das Vertrauen derjenigen Wählerinnen und Wähler zu erhalten, die zuvor aufgrund eines Vertrauensbruchs mit anderen Parteien zur LINKEN gekommen waren. Die Selbstbeschäftigung, eine mangelnde Strategie und die unzureichende Arbeit vor Ort führten jedoch dazu, dass das nötige Vertrauen nicht weiter gehalten wurde. Die gescheiterten Wiederwahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigen, dass von einer festen Stammwählerschaft bei der LINKEN in den westdeutschen Bundesländern nicht die Rede sein kann. Vielfach gingen die Wählerinnen und Wähler dahin zurück, wo sie noch bei der letzen Wahl hergekommen waren – zur Sozialdemokratie oder in das Lager der Nichtwähler.

Zwischen den internen Spannungen und der Fähigkeit der Mobilisierung besteht also ein enger Zusammenhang: Auf der einen Seite gewinnen die Konflikte in der Partei immer dann an Intensität, wenn die Partei eine Niederlage erlitten hat; auf der anderen Seite hängt die erfolgreiche Mobilisierung für Wahlen entscheidend davon ab, ob die Partei mögliche interne Konflikte schnell löst. Die Niederlagen der LINKEN bei den Landtagswahlen haben diesen Teufelskreis wieder ein Stück weiter eskalieren lassen.

Nicht weniger, als dieses fatale Wechselspiel von interner und externer Krise zu durchbrechen, ist die Aufgabe, vor der die LINKE auf ihrem Parteitag an diesem Wochenende steht. Dabei wird eine solch große Aufgabe bei einer so komplexen Organisation wie einer Partei nicht über Nacht geschehen können. Vielmehr wird es für die LINKE darauf ankommen, die Bedingungen dafür zu schaffen, um aus der Abwärtsspirale ausbrechen zu können. Ein entscheidender Schritt hierzu wäre die Beendigung der heftigen internen Konflikte. Für die neue Parteiführung, die auf dem Göttinger Parteitag gewählt wird, ist das keine leichte Aufgabe. Die einzelnen Teile der Partei müssen zu einem funktionierenden Ganzen zusammengebunden werden. Dies kann sicherlich nicht funktionieren, indem alle Differenzen und Unterschiede einfach einer große Leitlinie untergeordnet werden. Vielmehr wird es darum gehen, einen Modus zu finden, in dem die unterschiedlichen Ansätze und Vorstellungen innerhalb der Partei nebeneinander existieren können, ohne sich gegenseitig zu blockieren. Nur dann kann die LINKE wieder darauf hoffen, auch nach außen zu wirken und Menschen für sich zu gewinnen. Und wichtiger noch: Wahlniederlagen würden dann nicht mehr automatisch dazu führen, dass die Partei mit einer solchen Feindseligkeit streitet, wie es momentan geschieht. Gelingt dies aber nicht, werden wohlmöglich diejenigen, die bereits jetzt das Totenglöckchen läuten, am Ende recht behalten.

Jonas Rugenstein arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.