Frankreich: Ratlose Etablierte – Starke Extreme

Beitrag verfasst von: Daniela Kallinich

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[analysiert]: Daniela Kallinich über die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der Kommunalwahlen in Frankreich.

Ruhig und gelassen sitzt Marine Le Pen in der „Elefanten-Runde“ des Fernsehsehsenders France 2 anlässlich des ersten Wahlgangs der Kommunalwahlen in Frankreich. Nur hin und wieder streift ein Lächeln das Gesicht der Vorsitzenden des extrem rechten Front National (FN). Entweder dann, wenn eine neue Hochrechnung in einer der fast 40.000 Gemeinden zeigt, dass wieder ein rechtsnationaler Kandidat – teilweise sogar mit den meisten Stimmen – in den zweiten Wahlgang eingezogen ist, oder dann, wenn sich die versammelten Vertreter der als etabliert bezeichneten Parteien gegenseitig beschimpfen. Dabei wird deutlich: Triumphierendes, polterndes Gehabe ist Marine Le Pens Sache nicht. Erst als ihr Parteikollege Steeve Briois – neuer Bürgermeister der einstigen Linken-Hochburg Hénin-Beaumont – im Live-Interview ins Studio geschaltet wird, erscheint ein Strahlen gepaart mit fast mütterlich anmutendem  Stolz auf ihrem Gesicht. Die Gemeinde liegt in ihrem eigenen Wahlkreis und wurde in den letzten Jahren zum Symbol im Kampf um die Arbeiterschaft zwischen links und rechts hochstilisiert.

Das nervöse Verhalten und die hilflosen Reaktionen der anderen Parteivertreter – sie streiten über das „richtige“ strategische Verhalten im zweiten Wahlgang oder die Schuldfrage für das ständige Wachsen des Front National – machen deutlich, wie schwer sich die politische Landschaft in Frankreich mit den stetig wachsenden Erfolgen des Front National tut.

Denn die Partei hat sich nicht nur „entdiabolisiert“, ihrist es auch gelungen, sich auf kommunaler Ebene zu verankern und weitere Wählerschichten für sich zu erobern. Die „Normalisierung“ ist damit in vollem Gange, vielerorts hat sich die Zustimmung zur Partei seit dem spektakulär guten Ergebnis im ersten Gang der Präsidentschaftswahlen 2012 noch erhöht. Von einer Partei, deren Wahl noch vor wenigen Jahren in vielen Schichten als Tabu galt, hat sich der Front National zu einer ernst zu nehmenden Wahlalternative bei Arbeitern, aber auch in der bürgerlichen Mittelschicht gemausert. Dies liegt v.a. am Strategiewechsel unter der  neuen Parteiführung von Jean-Maries Tochter Marine Le Pen: Die neue Vorsitzende greift nicht mehr Juden an oder tut den Holocaust als „Detail der Geschichte“ ab, wie ihr Vater es getan hat, sondern konzentriert sich in ihrer Rhetorik auf eine Art „Sozialnationalismus“. Neue Hauptgegner sind die muslimischen Einwanderer, kritisiert werden Globalisierung und die EU. Die Fremdenfeindlichkeit des FN kommt nun verkappter daher, mehrheitsfähiger und umgänglicher. Le Pen gelingt es, die Ängste vieler Bürger vor Überfremdung und sozialem Abstieg aufzugreifen und für sich und ihre Partei in Wählerstimmen umzumünzen. Während die Partei bislang mangels Mitgliedern kaum lokal verankert war, gelang es ihr bei den Kommunalwahlen 2014 immerhin, 595 Listen zu präsentieren, in circa 230 Kommunen in den  zweiten Wahlgang einzuziehen und einige Kleinstädte direkt zu gewinnen.

Die Beteiligung bei Kommunalwahlen fiel in den letzten vierzig Jahren noch nie so niedrig aus wie bei diesem ersten Wahlgang. Eigentlich, so zeigen es die regelmäßigen Umfragen in der Bevölkerung, gehörten die Bürgermeister und Kommunalpolitiker bislang zu den politischen Repräsentanten, von denen die französische Bevölkerung im Vergleich zu anderen Politikern am wenigsten abgerückt ist: Immerhin 61 Prozent schenkten Bürgermeistern noch im Januar 2014 ihr Vertrauen – im Vergleich waren es nur 25 Prozent für den Premierminister. Nun, im Zuge etlicher politischer und privater Skandale, die sowohl Vertreter der regierenden Parti Socialiste (PS) wie auch die großen konservativen Oppositionspartei Union pour un mouvement populaire (UMP) in Verlegenheit brachten, scheint sich die Bevölkerung auch von der letzten Bastion politischen Vertrauens abzuwenden. Wachsende Arbeitslosenzahlen und die schwächelnde Wirtschaft tun ein Übriges, um die Distanz gegenüber der Politik bzw. der Regierung wachsen zu lassen; besonders Anhänger der PS konnten sich angesichts der sozialistischen Regierungsbilanz scheinbar kaum zum Wahlgang motivieren. Man mag kaum darüber nachdenken, was dies für die anstehenden Europawahlen mit den schon klassisch niedrigen Wahlbeteiligungswerten bedeutet. Ein republikanischer Ruck, wie ihn Premierminister Jean-Marc Ayrault am Wahlabend gefordert hat, scheint derzeit jedenfalls nicht in Sicht. Fast der Hälfte der Wahlberechtigten reagiert mit Wahlenthaltung oder der Wahl von extremen Parteien. Der Vertrauensverlust in Parteien und Institutionen scheint ungebremst weiterzugehen.

Die politische Klasse Frankreichs steht den oben genannten Entwicklungen bzw. den Ergebnissen des ersten Wahlgangs hilf- und fassungslos gegenüber. Besonders die regierende Parti Socialiste, die bis zu den Wahlen Frankreich auf nahezu allen Ebenen dominierte und regierte, muss eine bittere Niederlage einstecken: Landesweit sind die Ergebnisse für die Partei eingebrochen, auch bestverankerte „notables“, also lokale Würdenträger wie der Lyoner Bürgermeister Gérard Collomb, rücken wesentlich weniger selbstverständlich in den zweiten Wahlgang ein als gehofft. Gleichzeitig konnte die UMP trotz einiger symbolischer Siege nicht von der Schwäche der Parti Socialiste profitieren, was bedeutet, dass es dem FN gelungen ist, Stimmen besonders aus dem linken Lager für sich zu gewinnen. In traditionell konservativen Regionen im Süden des Landes dominiert der FN – und nicht die UMP – die Ergebnisse. Kurzum: Die Bürger haben die PS und in etwas geringerem Maße die UMP für ihre nationale Politikperformance abgestraft.

Insbesondere die Parteispitzen der UMP stehen nun vor der Frage, wie im Falle sogenannter „triangulaires“, also bei drei Kandidaten (meist ein Sozialist oder verbündeter Linker oder Grüner, ein Konservativer häufig von UMP oder UDI/MoDem und ein Vertreter des Front National) im zweiten Wahlgang, zu verfahren ist. Ein ähnliches landesweites Bündnis gegen den Front National, wie es noch bei den „Schock-Präsidentschaftswahlen“ von 2002, als Jean-Marie Le Pen in den zweiten Wahlgang eingezogen war, geknüpft worden war, steht nicht in Aussicht. Die UMP ist während der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys  selbst weit nach rechts gerückt und intern bzgl. der Strategie gegenüber dem Front National  zerstritten. Gleichzeitig würden sich viele Parteivertreter lieber die Zunge abbeißen, als eine Wahlempfehlung für die verhasste Linke abzugeben. So verfolgt die Partei derzeit eine Strategie des „ni-ni“, also des „weder-noch“, wie sie bereits vor den Parlamentswahlen propagiert worden war: keine Wahlempfehlung für den FN, aber auch keine für einen linken Kandidaten, um einen FN-Sieg zu verhindern. Auf der linken Seite rufen Vertreter des Front de Gauche und der PS zu einem „pacte républicain“ auf, also zu einem Bündnis, um mögliche FN-Siege zu verhindern. Letztlich könnte die UMP-Strategie dabei den linken Kandidaten sogar nützlich sein, wenn sich die rechten Wähler auf UMP und FN verteilen, so dass der jeweilige linke Kandidat lachender Dritter sein könnte.

So bleibt, obwohl klar ist, dass UMP und PS im zweiten Wahlgang die meisten Rathäuser für sich erobern werden und der Front National „nur“ 4,7 Prozent insgesamt eingefahren hat, nach diesem ersten Wahlgang ein bitterer Nachgeschmack. Massive Wahlenthaltung, „votes blancs“ (ungültiges Wählen) und die hohe Popularität des FN, aber auch die nervösen Reaktionen der Vertreter der etablierten Parteien und der Medien, unterstreichen, wie groß der Vertrauensverlust der französischen Bevölkerung in die etablierte Politik und wie gering deren Fähigkeit ist, dies aufzufangen.

Daniela Kallinich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.