[analysiert]: Anne-Kathrin Meinhardt über die Erfolgschancen von Emmanuel Macron bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2017
Bereits seit zwei Jahren sind in Frankreich Medienstimmen vernehmbar, die Emmanuel Macron zutrauen, bei den kommenden Präsidentschaftswahlen den amtierenden Präsidenten François Hollande herauszufordern und sogar zu übertreffen. Seit Mittwoch letzter Woche steht fest: Emmanuel Macron tritt als parteiunabhängiger Kandidat bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 an. Damit reiht sich der erst 38 Jahre junge Macron in eine Reihe von Präsidentschaftskandidaten ein, die versucht haben, ohne eine Partei im Rücken das höchste politische Amt Frankreichs zu erringen. Wer also ist Macron und wie stehen seine Erfolgschancen?
Aufgewachsen ist Macron als Arztsohn im nordfranzösischen Amiens. Die gut bürgerliche Stellung seiner Familie verschaffte ihm den Vorteil, eine der besten Ausbildungen Frankreichs zu absolvieren: Jesuitenschule in Amiens, Elitegymnasium Henri IV in Paris, Philosophie-Studium an der renommierten Sciences Po in Paris, Elitehochschule der Verwaltung ENA in Straßburg. Bis dahin verkörpert Macron einen Werdegang, der bei sehr vielen französischen Spitzenpolitikern zu beobachten ist und folglich als hilfreiches Kriterium für eine Politikkarriere in Frankreich verstanden werden kann – insbesondere in der Ecole nationale d’administration (ENA) entstehen enorm wichtige soziale Netzwerke.
Nach dem Studium ging es für die Karriere des heutigen Millionärs Macron schnell weiter bergauf. Er arbeitete für den Philosophen Paul Ricoeur und wurde Direktor der Finanzinspektion[1]. Anschließend wechselte er in die freie Wirtschaft und wurde Investment-Banker bei der Pariser Rothschild Bank. Der nächste Schritt führte ihn schließlich in die Politik – erst als stellvertretender Generalsekretär des Elysée-Palasts und schließlich als wirtschaftspolitischer Berater von Präsident Hollande.[2] Dieser ernannte ihn dann 2014 zum Wirtschaftsminister, als der sich Macron – insbesondere im Gegensatz zur sozialistischen Partei – sehr wirtschaftsliberal zeigte. Noch während seiner Amtszeit gründete er im April 2016 seine politische Bewegung En Marche!, bis er schließlich im August 2016 sein Ministeramt aufgab.[3] Doch warum gibt seit seinem Auftauchen im Licht der Öffentlichkeit Stimmen, die ihm die Präsidentschaft zutrauen?
Macron sei sehr intelligent – man habe ihm auch eine Pianisten-Karriere zugetraut –, ist jung, wirkt sympathisch und charmant.[4] Trotz seines klassischen Karrierewegs wird Macron immer wieder als anders, gar als Ausnahmeerscheinung der französischen Politik bezeichnet. Nach Jahren, in denen zwischen Angehörigen der politischen Elite hohe Posten verteilt worden sind, scheint Macron neuen Schwung in die Politik zu bringen. Privat wird dieser Nonkonformismus – er selbst bezeichnet sich als „anti-système“[5] – besonders deutlich: Er ist mit einer zwanzig Jahre älteren Frau verheiratet, die er als seine Lehrerin kennengelernt hat.
Und auch seine Strategie für die Eroberung des Elysée-Palasts unterstreicht seinen Exotenstatus: En Marche! (dt: vorwärts, in Bewegung) wurde als Bewegung, nicht als Partei gegründet und ist damit organisatorisch vergleichsweise flexibel und anpassungsfähig. Hinzu kommt: Der sozialliberale Reformpolitiker Macron ordnet seine politische Bewegung weder rechts noch links ein – was im bipolaren politischen System Frankreichs immer noch ungewöhnlich ist – und hebt insbesondere die Werte Arbeit, Freiheit, Treue und Offenheit hervor.[6] Gegründet habe er En marche!, um das Land zu bewegen, zu verändern, zu entwickeln und den jetzigen Stillstand zu überwinden. Mit diesem Wunsch der Erneuerung kritisiert er zugleich seinen ehemaligen Chef, den Staatspräsidenten Hollande. Sein ehemaliger Förderer wird dadurch zu einem seiner größten Gegner im Wahlkampf, weshalb das sozialistische Lager erheblich aufgewühlt ist.
Kann sich Macron nun also tatsächlich gegen die etablierten, parteiabhängigen Präsidentschaftskandidaten durchsetzen? Welche Möglichkeiten gibt es für ihn bei der Wahl im Frühjahr 2017? Tatsache ist, dass von den wenigen bisherigen parteilosen Präsidentschaftskandidaten in der französischen Geschichte noch keiner den Sprung ins Amt geschafft hat.[7] Schließlich sind Parteipolitik und Kandidatur in Frankreich eng miteinander verknüpft. Häufig führt die Präsidentschaftskandidatur über den Parteivorsitz, da die Parteien „Schlüsselakteure für die Machterlangung und Machtausübung“[8] sind und die oder den Kandidat/in z.B. finanziell und organisatorisch unterstützen. Macron aber ist noch nie in ein politisches Amt gewählt worden, obwohl dies als Voraussetzung für politischen Erfolg auf der höchsten Ebene gesehen wird. Hinzu kommt, dass die Kandidaten die Unterschriften von 500 gewählten Politikerinnen und Politikern, die sie unterstützen – die sogenannten parrainages –, benötigen. Die Personenwahl de jure ist somit de facto eine Parteienwahl.
Allerdings haben sich in den letzten Jahren in Frankreich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern Perspektivlosigkeit und eine Leere breitgemacht, die nun von Emmanuel Macron gefüllt werden könnte.[9] Schon seit Langem zeigen Umfragen seine hohen Popularitätswerte. Zuletzt hieß es im September auf die Frage, welche Persönlichkeit einen guten Staatspräsidenten abgebe, dass Macron mit 36 Prozent auf Platz zwei aller abgefragten potenziellen Kandidaten käme.[10] Solche Ergebnisse sollten jedoch (man denke nur an die Wahl von Donald Trump in den USA) mit Vorsicht betrachtet werden – denn niemand weiß, ob sie der Realität entsprechen. Dazu kommt, dass auch einige von Macrons Vorgängern in der Rolle des parteilosen Außenseiters ihre Kandidaturen auf anfänglich hohe Umfragewerte aufgebaut haben – um danach an etablierten Parteiangehörigen zu scheitern. Fraglich ist in diesem Zusammenhang zudem, inwieweit Macron wirklich eine Wählerbasis hat und nicht bloß als medial sehr präsenter Kandidat auftritt.[11]
All dies könnte allerdings auch Macrons größte Chance sein: Die Popularität des Bewerbers auf das höchste politische Amt macht einen wichtigen Anteil des Erfolges aus – schließlich zeigen zahlreiche Studien, dass die Präsidentschaftswahl in Frankreich immer noch eine Personenwahl ist. Die Parteizugehörigkeit ist für den Erfolg der Präsidentschaftskandidatur nur nachrangig relevant.[12] Fest steht auch, dass politische Bewegungen es generell besser haben, wenn sie einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen und eigene Projekte hervorbringen.[13]
Somit gründen sich Macrons Chancen insbesondere auf den Charakter seiner Bewegung, die Tatsache, dass er schon viele Spenden gesammelt hat, und die derzeit intensive Elitenkritik in Frankreich, bei der ein neues Gesicht eine Perspektive darstellt. Aus der Erfahrung der V. Republik heraus hat Macron demnach keine Chance – aber offenbar leben wir ja im Moment nicht in normalen Zeiten.
Anne-Kathrin Meinhardt arbeitet als studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Siehe Klimm, Leo: Lässiger Mozart aus dem Élysée-Palast, in: sueddeutsche.de, 27.08.2014, URL: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/neuer-franzoesischer-wirtschaftsminister-laessiger-mozart-aus-dem-lysee-palast-1.2105724 [eingesehen am 20.11.2016].
[2] Siehe Wüpper, Gesche: Junger Wirtschaftsminister darf Frankreich verführen, in: welt.de, 27.08.2014, URL: https://www.welt.de/wirtschaft/article131660614/Junger-Wirtschaftsminister-darf-Frankreich-verfuehren.html [eingesehen am 20.11.2016].
[3] Siehe o.V.: Emmanuel Macron will Präsident werden, in: Zeit Online, 16.11.2016, URL: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/frankreich-emmanuel-macron-praesidentschaftskandidatur [eingesehen am 20.11.2016].
[4] Siehe Heyer, Julia Amalia: Frankreich verliebt sich gerade in diesen Mann, in: Spiegel Online, 22.04.2016, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/emmanuel-macron-fran-ois-hollandes-groesster-rivale-a-1088772.html [eingesehen am 20.11.2016].
[5] Ebd.
[6] Siehe Association En Marche: En Marche , in: URL: https://en-marche.fr/emmanuel-macron/ [eingesehen am 20.11.2016].
[7] Vgl. Pütz, Christine: Parteienwandel in Frankreich: Präsidentschaftswahlen und Parteien zwischen Tradition und Anpassung, Wiesbaden 2004, S. 251.
[8] Ebd., S. 86.
[9] Siehe Huertas, Hubert: Cinquième République: des Macron plein les tiroirs, in: mediapart.fr, 17.11.2016, URL: https://www.mediapart.fr/journal/france/171116/cinquieme-republique-des-macron-plein-les-tiroirs?utm_source=article_offert&utm_medium=email&utm_campaign=article_offert&xtor=EPR-1013 [eingesehen am 20.11.2016].
[10] Siehe Bretton, Laure: Macron, jugé le plus présidentiable à gauche … mais pas vraiment de gauche, in : liberation.fr, 03.10.2016, URL: http://www.liberation.fr/france/2016/10/03/macron-juge-le-plus-presidentiable-a-gauche-mais-pas-vraiment-de-gauche_1519359 [eingesehen am 20.11.2016].
[11] Siehe o.V.: Emmanuel Macron: Französischer Ex-Minister verkündet Präsidentschaftskandidatur, in: Focus online, 16.11.2016, URL: http://www.focus.de/politik/ausland/emmanuel-macron-franzoesischer-ex-minister-verkuendet-praesidentschaftskandidatur_id_6213824.html [eingesehen am 20.11.2016].
[12] Vgl. Pütz, Christine: Parteienwandel in Frankreich: Präsidentschaftswahlen und Parteien zwischen Tradition und Anpassung, Wiesbaden 2004, S. 52.
[13] Vgl. ebd., S. 51.