Die Bundestagswahl habe der CDU „nicht den notwendigen Rückenwind gegeben“[1]. Mit dieser Diagnose wartete der Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU, Bernd Althusmann, am Wahlsonntag in der „Tagesschau“ auf. Gewiss: Es war auch der negative Bundestrend für die CDU, der dazu beitrug, dass die Christdemokraten in Niedersachsen bei der Landtagswahl 2017 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 erzielten. Doch daneben gibt es weitere wichtige Ursachen für den Dämpfer, den die niedersächsische CDU erlitten hat. Diese sind zum einen im Wahlkampf der Partei und zum anderen beim politischen Hauptgegner, aufseiten der SPD also, zu finden.
Zunächst einmal fehlte dem Wahlkampf von Bernd Althusmann die notwendige Professionalität. So schaffte es sein Team, dass er einen Live-Auftritt im NDR-Magazin „Das!“ verpasste, weil man glaubte, dass die Sendung im Landesfunkhaus Hannover gedreht werden würde. Tatsächlich aber wurde – und wird – sie in Hamburg produziert. Als dies Althusmanns Team auffiel, habe man zwar noch versucht, rechtzeitig in die Hansestadt zu kommen, dies aber aufgrund von Baustellen nicht mehr geschafft.
Doch anstatt den Irrtum einzugestehen, schob der Ministerpräsidentenkandidat seinen verpassten TV-Auftritt allein auf die baustellenbedingt verursachten Staus. Spott in den sozialen Medien und bei den gegnerischen Parteien war die Folge. „Wer es nicht schafft, das eigene Fehlverhalten und die zu späte Abfahrt aus Hannover zu benennen und stattdessen die Baustellen in Hannover verantwortlich für Verspätungen macht, handelt aus meiner Sicht unredlich“[2], schrieb die Grünen-Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz, während der Generalsekretär der niedersächsischen SPD, Detlef Tanke, Althusmann „mal wieder beim Flunkern erwischt“[3] sah.
Auch Althusmanns Hin und Her in Sachen Koalitionsaussagen zeugte nicht gerade von einem professionell geführten, stringenten und glaubwürdigen Wahlkampf: Wiederholt rückte er vorsichtig von seinem zunächst kategorischen Nein zu einer Koalition mit den Grünen ab. Althusmanns Wahlkampf mangelte es zudem an regionaler Ausgewogenheit. In Südniedersachsen zeigte er bspw. keinerlei Präsenz. Um die lokalen CDU-Landtagskandidaten zu unterstützen, kam wenige Tage vor der Wahl nicht etwa Althusmann nach Göttingen, sondern der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.[4]
Althusmann weilte stattdessen lieber im Norden und in der Mitte Niedersachsens. Mit Angela Merkel trat er auf Großveranstaltungen in Harburg, Hildesheim, Osnabrück, Stade und Vechta auf. Haustür-Wahlkampf betrieb Althusmann in seinem Wahlkreis Seevetal (bei Hamburg) mit einer Karte, auf der die CDU-Hochburgen verzeichnet waren: Er wollte in erster Linie die eigenen Wählerinnen und Wähler aktivieren,[5] anstatt neue zu gewinnen.
Eine landesweite Präsenz wäre aber umso wichtiger gewesen, als viele Niedersachsen nicht viel bzw. hauptsächlich negative schulpolitische Meldungen mit Althusmann verbanden. Da er seit 2013 kein Landtagsmandat mehr innehatte und – nach einem dreijährigen Intermezzo in Namibia – erst 2016 wieder in die Landespolitik zurückgekehrt war, klebte an ihm auf der einen Seite das Manko der Unbekanntheit. Auf der anderen Seite dürften gerade Eltern schulpflichtiger Kinder die schlechte Bildungsbilanz des Landes Niedersachsen auch Althusmann persönlich angelastet haben, war er doch von 2010 bis 2013 selbst als Kultusminister für die Schulen zuständig gewesen. Die Lehrer, die gegenwärtig fehlten, hätten zu seiner Amtszeit eingestellt werden müssen, argumentierte denn auch die SPD während des Wahlkampfes.[6] Mit Erfolg: Laut einer am 29. September 2017 veröffentlichten Umfrage[7] sprachen lediglich 28 Prozent der befragten Niedersachsen der CDU die größte Kompetenz in der Bildungspolitik zu; auf die Sozialdemokraten setzten hingegen 37 Prozent.
Wenige Tage vor der Landtagswahl kam dann noch eine schlechte Nachricht für Althusmann hinzu: Landespolizeipräsident Uwe Binias kündigte an, aus der CDU auszutreten, weil er das Verhalten seiner Partei im Untersuchungsausschuss des Landtages zu islamistischen Gefahren für nicht korrekt halte. Schlagzeilen wie „Oberster Polizeichef verlässt die CDU“[8] oder „Binias bricht mit der CDU: ‚Bin zutiefst enttäuscht‘“[9] dürften der CDU nicht gerade einen Zuwachs an neuen Wählerinnen und Wählern verschafft haben, im Gegenteil.
Schließlich: Dass die CDU bei der Landtagswahl mit einem historisch schlechten Ergebnis abschnitt, hat auch mit dem überraschenden Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU Anfang August 2017 zu tun. Durch ihn verlor die rot-grüne Regierung ihre Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag; durch ihn wurden vorgezogene Neuwahlen notwendig. Unmittelbar nach Bekanntwerden von Twestens Fraktionsübertritt wurde gemutmaßt, sie habe dafür Zusagen hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft bekommen. Ihr früherer Fraktionskollege Helge Limburg gab gar an, Twesten habe ihm gegenüber im Juni 2017 von einem „unmoralischen Angebot der CDU“[10] gesprochen. Doch obwohl es für die Käuflichkeit der bisherigen Grünen-Abgeordneten bis heute keine Beweise gibt und Althusmann derartige Vorwürfe scharf zurückwies, haftet ihm seitdem in den Augen vieler Wählerinnen und Wähler der „Ruch eines Dunkelmanns“[11] an.
Natürlich ist das schlechte Abschneiden der CDU bei der niedersächsischen Landtagswahl nicht nur hausgemacht. Es lässt sich auch und v.a. mit einem starken Gegenkandidaten in Gestalt des amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil erklären. Während des Wahlkampfes kam immer wieder der Eindruck auf, dass Weil durch den Fraktionswechsel von Elke Twesten an Energie und Kampfeslust gewonnen hatte: Mehr denn je wollte er seinen Posten verteidigen.
Während seines Wahlkampfes setzte Stephan Weil dann auf Veranstaltungen, bei denen der Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern im Mittelpunkt stand: Mit seinem Format „Auf ein Wort mit Stephan Weil“ tourte er durch ganz Niedersachsen: von Göttingen und Osterode im Harz über Hildesheim und Wolfsburg bis nach Oldenburg und Wilhelmshaven. Weil stellte sich als Kümmerer dar, als jemand, der den Menschen zuhört, der nah dran ist an ihren Wünschen und Bedürfnissen.
Mit diesem Auftreten dürfte Weil zahlreiche bisherige CDU-Wählerinnen und -Wähler für sich gewonnen haben. Insgesamt 58.000 von ihnen sollen am Sonntag zur SPD gewechselt sein.[12] Die noch nicht lange zurückliegenden Vergabeaffären innerhalb zweier Ministerien und der Staatskanzlei, die Diskussion um Weils Rolle bei VW und das Kreuzfeuer der Kritik, in dem seine Kultusministerin Frauke Heiligenstadt immer wieder gestanden hatte: All das war kurz vor der Wahl fast vergessen.
Alles in allem hat die niedersächsische CDU wohl zu sehr an ihren Sieg geglaubt. Trotz ihres schlechten Abschneidens bei der Landtagswahl gibt es für sie aber Hoffnung. Denn nach dem Muster zahlreicher US-Bundesstaaten bei den Präsidentschaftswahlen lässt sich das Land Niedersachsen als Swing State bezeichnen: Zuletzt gab es hier ungefähr alle zehn bis 15 Jahre Regierungswechsel. Und es spricht einiges dafür, dass die Wählerinnen und Wähler auch zukünftig mal zu den Roten und mal zu den Schwarzen neigen werden[13] und Niedersachsen damit ein „Land der knappen Mehrheiten“[14] bleibt. In diesem Zusammenhang ist abschließend nicht zu vergessen, dass Christian Wulff ganze drei Anläufe benötigte, ehe er es im Jahr 2003 schaffte, in das Amt des Niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Bernd Althusmann sollte also noch nicht den Mut verlieren.
Dr. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Tagesschau, 15.10.2017, 20:00 Uhr, URL: http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-22241.html [eingesehen am 16.10.2017].
[2] Zitiert nach o.V.: NDR-Besuch: „Täuscht Althusmann bewusst die Öffentlichkeit?“, in: gruene-niedersachsen.de, 02.10.2017, URL: https://www.gruene-niedersachsen.de/althusmann-ndr/ [eingesehen am 16.10.2017].
[3] Zitiert nach o.V.: Detlef Tanke: „CDU-Kandidat mal wieder beim Flunkern erwischt“, in: spdnds.de, 30.09.2017, URL: https://www.spdnds.de/pressemitteilungen/ [eingesehen am 16.10.2017].
[4] Vgl. Heinzel, Matthias: „Schlachten aus der Steinzeit“, in: goettinger-tageblatt.de, 11.10.2017, URL: http://www.goettinger-tageblatt.de/Region/Bouffier-zu-Besuch-bei-Goettinger-CDU [eingesehen am 16.10.2017].
[5] Vgl. Hamann, Christoph: Der Sprint – Niedersachsen wählt neu, 09.10.2017, 22:45–23:15 Uhr, in: NDR, URL: https://www.ndr.de/fernsehen/Der-Sprint-Niedersachsen-waehlt-neu,sendung694548.html [eingesehen am 16.10.2017].
[6] Vgl. Teevs, Christian: Was in Niedersachsen auf dem Spiel steht, in: Spiegel Online, 30.09.2017, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahl-in-niedersachsen-das-muessen-sie-wissen-a-1170436.html [eingesehen am 16.10.2017].
[7] Siehe o.V.: Umfrage: Welche Partei löst welche Probleme?, in: ndr.de, 29.09.2017, URL: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/landtagswahl_2017/Umfrage-Welche-Partei-loest-welche-Probleme,niedersachsentrend278.html [eingesehen am 16.10.2017].
[8] O.V.: Oberster Polizeichef verlässt die CDU, in: Nordwest-Zeitung, 11.10.2017.
[9] Randermann, Heiko: Binias bricht mit der CDU: „Bin zutiefst enttäuscht“, in: Göttinger Tageblatt, 10.10.2017.
[10] Zitiert nach o.V.: Twesten soll „unmoralisches Angebot“ der CDU erhalten haben, in: Spiegel Online, 06.08.2017, URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/elke-twesten-ex-gruene-soll-von-cdu-unmoralisches-angebot-erhalten-haben-a-1161581.html [eingesehen am 16.10.2017].
[11] Bingener, Reinhard: Image-Suche im Merkel-Dilemma, in: faz.net, 12.10.2017, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-niedersachsen/cdu-kandidat-bernd-althusmann-sucht-das-richtige-image-15242021-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_1 [eingesehen am 16.10.2017].
[12] Siehe o.V.: Wählerwanderungen, in: wahl.tagesschau.de, URL: http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-10-15-LT-DE-NI/analyse-wanderung.shtml#11_Wanderung_SPD [eingesehen am 16.10.2017].
[13] Vgl. Klecha, Stephan: Wahlen und Wahlverhalten in Niedersachsen, in: Nentwig, Teresa/Werwath, Christian (Hrsg.): Politik und Regieren in Niedersachsen, Wiesbaden 2016, S. 79–104, hier S. 104.
[14] Nentwig, Teresa: Politik und Regieren in Niedersachsen: zusammenfassende und weiterführende Anmerkungen, in: ebd., S. 401–416, hier S. 405.