[präsentiert]: Saskia Richter über die neue Biografie über Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück ist bereits als Bundesfinanzminister in die Geschichte eingegangen, als er im Oktober 2008 neben Angela Merkel in der tiefsten Krise die Spareinlagen der Bundesbürger garantierte. Mit diesem prominenten Ausschnitt aus dem Leben des gebürtigen Hamburgers (*1947) beginnt die Biografie von Daniel Friedrich Sturm über den potentiellen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Das anschaulich geschriebene Buch erschien im Frühjahr 2012, als Sozialdemokratie und Öffentlichkeit erstmals diskutierten, wer neben dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und dem ehemaligen Kanzleramtschef und Außenminister Frank-Walter Steinmeier Kanzlerkandidat der SPD werden soll.
Wer ist dieser Politiker, der wortgewandt und manchmal arrogant daher kommt? Die Frage nach der Herkunft ebenso wie die Frage nach politischen Fähigkeiten und Positionen beantwortet der Welt-Journalist Daniel Friedrich Sturm auf knapp 300 Seiten. Sehr früh werden Charaktereigenschaften hergeleitet: Im Klappentext ist zu lesen, dass Steinbrück sein Taschengeld bereits als 14-Jähriger aufbesserte; im Unterkapitel „Familie“ wird beschrieben, dass Peer immer gewinnen wollte und viel las. Er sei bürgerlich aufgewachsen, anders als Gerhard Schröder ohne Not. Stark wird das Buch, wenn der Landespolitiker Steinbrück in die Strukturen der Sozialdemokratie und Landesministerien in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingeordnet wird.
Ab 1970 studiert Steinbrück in Kiel Volkswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften. Er sucht bei seinem Professor Reimut Jochimsen und in seiner Wohngemeinschaft die Nähe zum wenig politisierten sozialdemokratischen Milieu. Die Nachbarn beurteilen die acht Mitbewohner als radikal und zeigen sie bei der Polizei an, die eine Razzia durchführt – ein prägendes Ereignis, das den Einstieg in die Politik fast verhindert. Steinbrück ist an Politik interessiert, bewundert wie andere Willy Brandt, engagiert sich aber nicht in der Hochschulpolitik. Auch als Mitglied der SPD hält er Distanz: Er besucht keinen Ortsverein, klebt keine Plakate. Sitzungen langweilen ihn.
Die Liebe zieht Steinbrück in die Hauptstadt. Dort übernimmt er einen Werkvertrag des Bauministeriums. Eine erste Festanstellung darf er nicht antreten, weil er in den Akten des Verfassungsschutzes gelistet ist. Seine Frau, die Biologin Gertraud Isbary, erwartet ihr erstes von drei Kindern; er blickt mit einer begonnenen Promotion unsicher in die Zukunft. Parteifreunde aus Schleswig-Holstein unterstützen ihn. Letztlich tritt er eine Stelle als Hilfsreferent im höheren Dienst in der Planungsgruppe im Forschungsministerium an. Dies ist der Einstieg ins politische Geschäft und hier lernt er das Handwerkszeug der Exekutive.
Steinbrück wird persönlicher Referent des Forschungsministers. 1977 von Hans Matthöfer, 1978 von Volker Hauff, dann von Andreas von Bülow. Er ist ein effizienter, intelligenter Mitarbeiter, organisiert besser als andere, schreibt pointierte Redemanuskripte. Mit 31 Jahren wird er verbeamtet; im Spiegelreferat des Forschungsministeriums im Kanzleramt lernt er Helmut Schmidt kennen. Nach zwei Jahren eher langweiliger Opposition geht Steinbrück 1985 nach Nordrhein-Westfalen ins Umweltministerium unter Klaus Matthiesen. Ende 1986 wechselt er zu Johannes Rau in die Staatskanzlei und verfasst im kleinen Kreis das Programm der SPD zur Bundestagswahl, in der die SPD jedoch wenig erfolgreich abschneidet.
1990 wechselt Steinbrück nach Schleswig-Holstein. Er macht einen Karrieresprung und wird Staatssekretär im Umweltministerium. Seinen Chef, Berndt Heydemann, findet er schrecklich. 1992 wird Steinbrück Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr. Nach dem Sturz von Björn Engholm erhält er ein Ministeramt am 19. Mai 1993 unter der ersten weiblichen Ministerpräsidentin Heide Simonis. „Nun ist er endgültig Politiker.“ (S. 79) Mit Simonis kommt Steinbrück nicht zurecht. Ihn nerven ihre Inszenierungen als Frau, er verachtet ihre Emotionalität und hält sie für intellektuell nicht ebenbürtig. Ob Ursache dafür allein ihre „Hüte und Ketten“ waren (S. 92) oder ob Steinbrück Vorurteile gegenüber Frauen in der Politik hatte, bleibt fraglich (vgl. auch S. 114). Erst als Minister im Kabinett von Angela Merkel wird er eine Chefin akzeptieren.
Mit wehenden Fahnen wechselt Steinbrück 1998 ins Kabinett Clement nach Nordrhein-Westfalen, um dort das Amt des Wirtschaftsministers zu übernehmen. Längst „versteht [er] sich als Akteur von bundesweiter Bedeutung“ (S. 107) und treibt Deregulierung und Privatisierung voran. Er will kleine und mittlere Unternehmen entlasten und dies mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren. Mit der wirtschaftsfreundlichen Politik schießt er gegen den Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine und brüskiert die SPD-Bundestagsfraktion. In seinem ersten Spiegel-Interview wiederholt er diese Forderungen und spielt von nun an in der politischen Bundesliga. Steinbrück macht sich noch mehr Feinde, als er Kombilöhne fordert, bei denen der Staat befristet Sozialabgaben übernehmen soll. Sein Ziel ist nichts weniger als „verkrustete Strukturen in der Beschäftigungs- und Tarifpolitik aufzubrechen“ (S. 109).
Bundeskanzler Gerhard Schröder will Steinbrück bereits 1999 zum Bundesverkehrsminister ernennen, doch Clement lehnt ab. Dort wird Steinbrück nach der „Flugaffäre“ im Februar 2000 zum Finanzminister berufen – und übernimmt damit die zweitmächtigste Position im Kabinett. Es dauert nicht lange, bis er die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs fordert. 2002 wechselt Clement als Minister nach Berlin. Steinbrück wird Ministerpräsident. Gemeinsam mit Roland Koch legt er im Herbst 2003 ein Papier zum Subventionsabbau vor – ein ungewöhnlicher Vorstoß zweier ungleicher Politiker, die von niemandem beauftragt wurden und Vorarbeit für die spätere Große Koalition auf Bundesebene leisteten. Steinbrück setzt Themen – und forciert einen Konflikt mit den Grünen. Bundespolitisch wird er zum Verfechter der Agenda 2010, was ihm die Loyalität des Altkanzlers Gerhard Schröder einbringt. Dennoch, „unter seiner Führung gehen“ am 22. Mai 2005 „fast vier Jahrzehnte SPD-Herrschaft in NRW zu Ende“ (S. 175).
Trotzdem gelingt ihm der Sprung auf die Bundesebene: 2005 wird Steinbrück Finanzminister der Großen Koalition. Unter Angela Merkel wird er 2008 zum wichtigsten Krisenmanager der Bundesregierung, mit seinem einflussreichen Berater, dem Finanzmarktexperten Jörg Asmussen, verhandelt er die Rettungsschirme für die Banken und erobert internationales Parkett, er garantiert mit Merkel die Spareinlagen der Bürger – eher eine rhetorische Versicherung. Es ist diese Zeit in der Bundespolitik, in der sich Steinbrück eine hohe Reputation erarbeitet, mit der er sich als Kanzlerkandidat der SPD empfiehlt.
Gleichzeitig verabschiedet er sich nach dem Ende der Großen Koalition aus der ersten Reihe der Politik. Er bleibt Abgeordneter und wird nicht müde, die SPD zu kritisieren und ihr öffentlich Wirtschafts- und Finanzkompetenz abzusprechen. Er gliedert sich ein in die Reihe der Hinterbänkler. Als Aufsichtsrat von ThyssenKrupp erzielt er hohe Einkünfte, ebenso als Redner mit Honoraren über 7.000 Euro. Er wird zum Anti-Politiker im politischen Berlin (S. 282). Sigmar Gabriel bringt Steinbrück als Kanzlerkandidat ins Gespräch, weil er dem parteiintern mächtiger werdenden Frank-Walter Steinmeier etwas entgegensetzen möchte. Demnach ist die Diskussion um die SPD-Troika und die K-Frage in der SPD hausgemacht.
Die Biografie über Peer Steinbrück basiert auf über 100 Interviews mit Wegbegleitern und Presseinterviews sowie auf langjähriger SPD-Expertise. Der wissenschaftlich geschulte Leser vermisst Belege und Fußnoten, die dem Buch nicht geschadet hätten. Gleichzeitig wird Leben und Arbeit fundiert in Parteigeschichte und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet. Zudem versteht es der Autor, Details über politische Konstellationen und Personalien in den Text fließen zu lassen und Steinbrück in Nuancen und Facetten zu beschreiben, ohne vorschnell zu urteilen. An wenigen Stellen wird die Einschätzung pointiert: Steinbrück sei aufgrund des Unbehagens, die ihm volkstümliche Termine bereiten, für die Aufgaben eines Regierungschefs nicht geeignet (S. 161), die Rücksichtslosigkeit des Politikers löse Faszination und Fassungslosigkeit aus (S. 286). Dem Autor gelingt so ein solides und meinungsstarkes Porträt eines SPD-Politikers, der 2013 Kanzlerkandidat werden könnte.
Dr. Saskia Richter ist Dozentin für Politik an der Universität Hildesheim, einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind die Grünen. 2010 hat sie die Biographie „Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly“ veröffentlicht.
Rezension zu:
Daniel Friedrich Sturm: Peer Steinbrück. Biografie, München. Deutscher Taschenbuch Verlag 2012