[kommentiert]: Daniela Kallinich über den Beginn der Amtszeit des neuen französischen Präsidenten und die wechselnden Erwartungen der Franzosen.
Die Gnadenfrist von François Hollande ist vorbei. Nach den ersten Schritten auf dem internationalen Parket, den Wahlen zur Nationalversammlung, ersten Reformansätzen und der großen Sommerpause sind die Erwartungen an den neuen französischen Präsidenten nun groß. Die „Rentrée“, der traditionelle Neubeginn des öffentlichen Lebens nach der Sommerpause, scheint für Hollande zur Bewährungsprobe zu werden, da bereits erste kritische Stimmen angesichts seiner Amtsführung laut werden.
Als Nicolas Sarkozy 2007 zum neuen Präsidenten gewählt wurde, hatte die Begeisterung für den zunächst frenetisch bejubelten neuen Mann an der Spitze Frankreichs kein halbes Jahr angehalten. Eine positive 100-Tages-Bilanz konnte nicht verhindern, dass sich seine Beliebtheitswerte binnen sechs Monaten fast halbierten. Die Trennung von seiner damaligen Frau Cécilia, die neue Liebe zu Carla Bruni und die permanente mediale Anwesenheit sorgten dafür, dass ihm die Franzosen spätestens im Januar 2008, überdrüssig geworden waren.
Im Laufe der Legislaturperiode, so suggerierten es zumindest die Umfragen, sehnten sich unsere Nachbarn dann nach einem „normalen“ Präsidenten, also einer Person, die das wichtigste politische Amt in Frankreich angemessen und würdig ausfüllen würde. Dass Sarkozy, der Hyper-Präsident, nach den Fehlern der ersten Monate dazu gelernt hatte, einige (wenn auch nicht alle versprochene) wichtige Reformen anstieß und Frankreich halbwegs aufrecht durch die Wirtschaftskrise brachte, war nebensächlich geworden. Und auch, dass die Maßstäbe, an denen ein Präsident gemessen wird, durchaus wandelbar sind, spielte in der Beurteilung Sarkozys keine Rolle mehr.
So war es ja dann auch keine allzu große Überraschung, dass François Hollande, förmlich als Inbegriff von Normalität, im Frühjahr dieses Jahres ins Amt des französischen Staatspräsidenten gewählt wurde. Für sein Image als „Normalo“ musste Hollande zunächst wenig tun. Über Jahre hinweg galt der biedere Technokrat als solider Politiker, der sich in seinem Wahlkreis und an der Spitze der Parti Socialiste den Ruf eines fleißigen Parteisoldaten und ausgleichenden Vermittlers erarbeitet hatte. Wohlgemerkt: Normalität war zu einer Zeit, als man sich noch nach dem agilen Sarkozy im Amt sehnte, mit Langeweile übersetzt worden.
Die Neubesetzung und Umdeutung dieses Images gelang Hollande während einer sogenannten „traversée du désert“, wie man in Frankreich eine Karrierepause nennt. Am Tiefpunkt seines persönlichen Images angelangt, hatte er 2007 seiner damaligen Noch-Lebensgefährtin Ségolène Royal den Vortritt bei der Präsidentschaftskandidatur überlassen und sich wenig später völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Aus dieser Zeit stammt sein Spitzname „Flamby“ (etwa Wackelpudding): Ihm wurden die in der Politik nötigen Eigenschaften wie Machtbewusstsein, Ehrgeiz und Härte abgesprochen. Erst zu den parteiinternen Vorwahlen der Parti Socialiste im Frühjahr 2011 tauchte er wieder auf. Schlanker, dynamischer und in Rhetorik geschult wirkte er auf einmal wie eine plausible Alternative zum immer stärker kritisierten Amtsinhaber. Seine biedere Normalität gewann im Gegensatz zum „Duracell-Häschen“ Sarkozy an Attraktivität.
Natürlich war sein Glück, dass der wesentlich beliebtere Dominique Strauss-Kahn durch die New Yorker Sex-Affäre aus dem Rennen geworfen wurde. Doch es spielte sich bei der Wahl Hollandes ein Phänomen ab, das häufig in der Politik zu beobachten ist: die Sehnsucht nach dem anderen Politikertypus an der Macht. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gibt es viele: Auf den großväterlichen, zurückgezogen agierenden französischen Präsidenten Chirac war 2007 der junge dynamische Sarkozy gefolgt. In Deutschland wurde der polternde Gerhard Schröder von der zurückhaltenden Angela Merkel ersetzt.
Hollande und sein Team gelang es meisterlich, den Typenunterschied zu Sarkozy als Charaktervorzug Hollandes zu inszenieren. So wurde er dann auch als Gegenteil von Sarkozy gewählt; weniger seine Inhalte (in nahezu allen relevanten Kategorien wurden Sarkozy stärkere Kompetenzen zugesprochen), sondern vielmehr der Stil des Wahlkampfs und die damit einhergehenden expliziten und impliziten Versprechungen überzeugten die französischen Wählerinnen und Wähler.
Und seitdem? Die Bilanz der ersten hundert Tage Hollandes im Amt fällt gemischt aus. Zwar hat er einige Marken in der Europapolitik gesetzt, zu besonderer medialer Aufmerksamkeit hatte aber v.a. die sogenannte Twitter-Affäre um seine Lebensgefährtin geführt. Diese hatte, anstelle der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und Ex-Lebensgefährtin Hollandes, einen Konkurrenten Royals im Wahlkampf für die Nationalversammlungswahlen unterstützt. Größere politische Meilensteine wurden bislang nicht in Angriff genommen; zudem blieb Hollande dem versprochenen Stil der Zurückhaltung weitestgehend treu.
Während Sarkozy die Medien auch während seiner Ferien stets unterhalten hatte (Sarkozy auf dem Rennrad, Sarkozy in Disneyland, Sarkozy auf einer Yacht), verbrachte Hollande seinen Urlaub eher zurückgezogen und unaufgeregt. Auch seine Minister und der Ministerpräsident hielten sich während der traditionellen Pariser Sommerpause auffällig zurück. Dies führte umgehend zu Kritik: Wichtige Themen wie die Syrien- oder die Eurokrise seien nicht behandelt worden. Erste Kommentatoren sprechen von strategischen Fehlern. Obwohl in den letzten Jahren immer wieder die ostentative Zurschaustellung Sarkozys beanstandet worden war, wird nun die zuvor herbeigesehnte „Normalität“ Hollandes gerügt.
Hollande wiederfährt damit die gleiche Kritik wie Sarkozy vor fünf Jahren: Es sei ihm noch nicht gelungen, sich an das Amt des Präsidenten zu gewöhnen und seinen persönliche Stil dem neuen Amt anzupassen. Dies ist eine überraschende Entwicklung, macht sie doch deutlich, wie stark Sarkozy das Amt des Präsidenten in Frankreich geprägt und verändert hat. Er war für seine als unwürdig und nicht angemessen wahrgenommene drängende und clowneske Art kritisiert worden. Denn diese stand in besonders starkem Kontrast zu seinen Amtsvorgängern und der von de Gaulle formulierten Rolle als im Hintergrund agierenden Schiedsrichter. Doch nun scheint sich durch seine Amtszeit der Anspruch der Franzosen an ihre zukünftigen Präsidenten geändert zu haben. Unsere Nachbarn werden sich in Zukunft nicht mehr mit einem bequem und zurückgezogen aus dem Hintergrund moderierenden Staatspräsidenten zufrieden geben, der im Elysee-Palast die Fäden spinnt, ohne sich in den politischen Alltag einzumischen. Doch hatte Hollande den Franzosen genau dieses – von ihnen während Sarkozys Amtszeit so ersehnte – „normale“ Amtsverständnis versprochen.
Damit steht Hollande vor einem ähnlichen Dilemma wie Sarkozy vor fünf Jahren. Während sein Amtsvorgänger wegen seiner Agilität und Aggressivität, seiner Medienpräsenz und Dynamik im Wahlkampf bewundert und gewählt worden war, wurde ihm genau dies im Amt zum Verhängnis. Hollande könnte unter umgekehrten Vorzeichen das gleiche Schicksal blühen.
Daniela Kallinich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.