[Gastbeitrag]: Christoph Mohamad-Klotzbach und Tanja Wolf über die verwirrenden Bezeichnungen europäischer Parteien rechts der Mitte.
Mit der Europawahl 2014 gelangten nicht nur der französische Front National (FN) und die Dänische Volkspartei, sondern auch eine Reihe von kleineren rechten Parteien ins Parlament. Allerdings ist diese Gruppe von Parteien rechts der Mitte, die sich von der deutschen Alternative für Deutschland (AfD) bis zur griechischen Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) sowie von nationalliberalen bis zu rechtsextremen Parteien spannt, in sich recht heterogen. Entsprechend weit gefächert ist die politische Einordnung durch die Medien, welche zwischen ‚rechtsextrem‘, ‚rechtspopulistisch‘, ‚EU-feindlich‘ oder auch ‚europaskeptisch‘ changiert. Liegt dieser Zuordnung von ‚Labels‘ zu einzelnen Parteien eine Systematik zugrunde? Oder anders: Wie ordnen Medien die zum Teil neuen politisch nunmehr relevanteren Parteien ideologisch-programmatische ein? Diese Fragen werden im folgenden Beitrag anhand ausgewählter deutscher Medien untersucht.
Unsere Analyse umfasst die wichtigsten Nachrichtensendungen auf ARD (Tagesschau; Tagesthemen) und ZDF (heute; heute-journal) sowie der Meldungen, Artikel und Kommentare in den Politik-Ressorts der FAZ[1] und der SZ jeweils in der Woche vor und nach der Europawahl (19. Mai bis 1. Juni 2014). Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 24 verschiedene europäische Parteien erwähnt und mit 21 ideologisch-programmatischen Labels zu insgesamt 170 wertenden Nennungen verknüpft (vgl. Abb. 1).
Eigene Darstellung.
Die Auswertung bestätigt die Vermutung, dass keine einheitliche Einstufung der zahlreichen europäischen „rechts* Parteien“ zu beobachten ist. Es zeigt sich, dass die Labels ‚rechtspopulistisch‘ und ‚rechtsextrem‘ knapp die Hälfte aller verwendeten Parteibeschreibungen ausmachen, während die 19 weiteren Bezeichnungen in wesentlich geringerem Maße verwendet wurden. Die Fokussierung auf die acht meistgenannten Parteien reduziert dieses babylonische ‚Label‘-Gewirr kaum (vgl. Abb. 2).
Es wird deutlich, wie vielfältig die ideologisch-programmatische Einordnung der Parteien in der medialen Berichterstattung tatsächlich ist. Die Klassifizierung der NPD ist als einzige stringent, wobei dies sicherlich auf die äußerst geringe Zahl der Erwähnungen (4) zurück zu führen ist, die überdies alle aus der Süddeutschen Zeitung stammen.[2] Die UKIP wurde hingegen 31 Mal genannt und erhielt insgesamt 10 verschiedene Labels, die von ‚rechtskonservativ‘ bis hin zu ‚europafeindlich‘ und ‚EU-feindlich‘ reichten.
Eine genauere Betrachtung des Front National, der insgesamt 45 Mal und damit am häufigsten ‚gelabelt‘ wurde, verdeutlicht zweierlei: Erstens wird die Partei Marine Le Pens von den vier untersuchten Medien mit unterschiedlichen Bezeichnungen versehen; zweitens unterscheiden sich die ideologischen oder programmatischen Bezeichnungen auch innerhalb der einzelnen Medien. Aus Abbildung 3 geht hervor, dass die ARD und die SZ eher dazu neigen den FN als rechtsextrem zu bezeichnen, wohingegen die Tendenzen der FAZ deutlich in Richtung rechtspopulistisch gehen.[3] Gleichzeitig nutzen ARD und FAZ zur Beschreibung des FN eher traditionelle Bezeichnungen wie ‚rechtsextrem‘ und ‚rechtspopulistisch‘ während insbesondere die SZ insgesamt sechs verschiedene Labels für den FN hat, deren konkrete inhaltliche Bedeutung in der Hälfte der Fälle relativ unklar bleibt.
Dass die Verwendung unterschiedlicher Beschreibungen auch innerhalb der Medienlandschaft diskutiert wird, zeigt die Aussage von Claus Kleber im heute-journal vom 26. Mai 2014. Er erläutert, dass Labels wie ‚radikal‘ oder ‚extremistisch‘ in der heute-Redaktion keineswegs willkürlich vergeben werden. Dabei verweist Kleber auf einen Beitrag auf heute.de unter dem Titel „Radikale sind noch keine Extremisten“[4], der als ein „Wegweiser“ für das Begriffs-Dickicht verstanden werden soll.[5] Jedoch ist die dort präsentierte Zusammenstellung genauso diffus und unvollständig wie die reguläre Berichterstattung. Insbesondere die höchst problematische Verwendung von Labels wie ‚EU-feindlich‘, ‚eurofeindlich‘ und ‚europafeindlich‘ wird völlig ignoriert. Dabei wäre gerade in diesem Fall eine eindeutige Differenzierung wünschenswert. Dem Namen nach wäre eine EU-feindliche Partei weiter rechts anzusiedeln als eine eurofeindliche Partei, da letztere lediglich den Euro und nicht die gesamte EU als kritisch betrachten würde. Wo jedoch eine europafeindliche Partei, also eine Partei die gegen Europa als geografisches Konstrukt ist, im rechten Spektrum anzusiedeln ist bleibt der Phantasie der Bürger überlassen.
Die enorme Bandbreite an medialen Labels für europäische Parteien rechts der Mitte mag einem journalistischen Streben nach sprachlicher Abwechslung geschuldet sein, ist jedoch problematisch. Eine leichtfertige und willkürliche Verwendung von politischen Labeln stiftet nicht nur politische Verwirrung, sondern führt auch zur Gleichsetzung von ideologisch durchaus unterschiedlichen Parteien. Hierdurch können Parteien zu Unrecht in die rechte Ecke verbannt werden oder sich, wie im Fall der AfD, umso leichter einer politischen Einordnung rechts der Mitte entziehen, eben weil die begriffliche Unschärfe so augenfällig ist.
Die begriffliche Verwirrung ist zum jetzigen Zeitpunkt nachvollziehbar und sicher auch kaum vermeidbar. Mit Blick auf die für die Stabilität der EU alarmierenden Wahlergebnisses der letzten Europawahl ist eine eindeutigere, differenziertere und allgemein anerkanntere Klassifizierung dieses Parteienspektrums jedoch anzumahnen. An dieser Stelle ist die politikwissenschaftliche Parteienforschung natürlich besonders gefragt, um Klarheit in die verwirrende Vielfalt der politischen Wirklichkeit der Europäischen Union zu bringen.
Christoph Mohamad-Klotzbach und Tanja Wolf sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg.
[1] Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) wurde nicht in die Analyse mit einbezogen.
[2] In der FAZ wurde die NPD zwar ebenfalls ein paar Mal erwähnt, jedoch immer ohne Label. Es ist zu vermuten, dass die Journalisten davon ausgegangen sind, dass ihre Leser wissen, welcher politischen Richtung die NPD angehört und dies nicht noch extra betont werden muss.
[3] Hier kann ein Zusammenhang zwischen der ideologischen Ausrichtung einzelner Medien und der jeweiligen Verwendung der rechten Labels vermutet werden, der jedoch noch genauer zu prüfen wäre.
[4] Siehe: Radikale sind noch keine Extremisten, heute.de vom 26.05.2014; http://www.heute.de/rechtsextreme-rechtsradikale-und-rechtspopulisten-sind-nicht-das-gleiche-33332680.html (Zugegriffen 28.05.2014)
[5] Zitat Kleber: „Orientierung für Sie [d.h. die Zuschauer], Maßstab für uns.“