[präsentiert]: Pauline Höhlich über das Kopftuch als Hybrid: zwischen migrationsbedingtem Wandel und Integrationspotential.
Das Kopftuch gilt für viele in Deutschland und in anderen westlichen Gesellschaften als Sinnbild der Repression von Frauen, religiös legitimierter patriarchaler Herrschaft und gesellschaftlicher Abgrenzung. Dass mit diesem Kleidungsstück ein modisches Bewusstsein ausgedrückt werden kann, scheint hierzulande mitunter noch schwerlich vorstellbar. Allerdings kann das Kopftuch genau das sein: ein modisches Accessoire.
Denn seit über einem Jahrzehnt etabliert sich über den Globus hinweg und auch hierzulande ein durch Migration und Globalisierung bedingter Trend, dessen Anhängerinnen einen aufgelockerten und verspielten Umgang mit der Verschleierung pflegen und hierüber einen kulturellen Wandel bezüglich des Umgangs und der Wahrnehmung des vornehmlich religiös konnotierten Kleidungsstücks anstoßen (wollen). Eine große Rolle spielen dabei die sozialen Medien, insbesondere die Fotoplattform Instagram: Hier verbreiten Musliminnen unter den Hashtags #hijabi, basierend auf dem arabischen Begriff Hijab für Verhüllung, und #hijabista Fotos von ihren Outfits, in denen das Kopftuch als Accessoire im Mittelpunkt der modischen und religiös geprägten Selbstinszenierung steht.[1] Hijabista ist das muslimische Gegenstück zur Fashionista, der modebewussten Frau. Insgesamt über sieben Millionen Beiträge haben sich unter diesen Schlagworten bereits angesammelt (Stand: Juni 2018). Auf den Bildern sind zumeist junge Musliminnen zu sehen, die ihre Versionen der Melange aus islamkonformer Bekleidung und zeitgemäßer Mode präsentieren. Mal wird das Kopftuch zum Turban gebunden oder mit Lederjacke und anderen aktuellen Trends kombiniert. Die Stilrichtung nennt man Modest Fashion: Die Wortkreation stammt vom englischen Begriff „modesty“, der übersetzt so viel wie Bescheidenheit, seltener auch Zurückhaltung, Anstand oder Sittsamkeit bedeutet; Werte, die konstituierend sind für diesen international wachsenden Modezweig.[2]
Mediales Aufsehen erregte die selbsternannte Subkultur Mipsterz, das muslimische Pendant des westlichen Hipsters, schon im Jahr 2013, zunächst in den USA und später auch in Deutschland. Den Anstoß gab ein Video, in dem muslimische Frauen mit Kopftuch eng sitzende Jeans, coole Markensonnenbrillen sowie auffälligen Schmuck tragen und mit Skateboard und Turnschuhen durch die Straßen schlendern begleitet durch einen Song des Rappers Jay-Z.[3] Konservative Muslime kritisierten an dem Video, die männlichen Produzenten und weiblichen Protagonistinnen wollten sich „mit einer amerikanisierten Version der muslimischen Frau bei der Mehrheitsgesellschaft anbiedern“[4]. Die Verantwortlichen für den Clip entgegneten indes, dass sie nichts imitierten, da sie schließlich in den USA geboren und aufgewachsen seien. Es handelt sich bei den Protagonistinnen (und Protagonisten) also um in westlichen Gesellschaften aufgewachsene Töchter (und Söhne) muslimischer MigrantInnen. Ihr Anliegen ist es, „aktuelle Modetrends mit den religiösen Einflüssen der Herkunftsländer ihrer Eltern“[5] in Einklang zu bringen.
Dass sich hier ein neuer Absatzmarkt für Mode auftut, ist auch den großen Modemarken, welche die Bedürfnisse muslimischer Kundinnen lange Zeit ignorierten, nicht entgangen. Die Modellabels DKNY und Mango entwarfen Ramadan-Kollektionen für den Nahen Osten[6], das schwedische Unternehmen H&M zeigte im Herbst 2015 in einer Kampagne für teilweise recycelte Kleidung unter vielen diversen Personentypen auch eine Frau mit Kopftuch . Im Jahr 2016 produzierte Dolce & Gabbana eine Hijab-Kollektion für den Mittleren Osten. Diese erstmalige Beachtung muslimischer Frauen wurden von denselben in den sozialen Netzwerken mit Begeisterung aufgenommen.[7]
In den deutschen Massenmedien finden derartige Entwicklungen im Gegensatz zur Kopftuchdebatte bisher wenig Aufmerksamkeit.[8] Nur vereinzelt wird über die muslimischen und in Deutschland lebenden Protagonistinnen dieser Szene berichtet. Eine von ihnen ist die Designerin Meriem Lebdiri aus Germersheim in der Pfalz, die als eine von wenigen Designerinnen in Deutschland Modest Fashion für Muslima entwirft. Ihre Marke heißt Mizaan (Balance). Die Nachfrage scheint so groß geworden zu sein, dass noch im September dieses Jahres die Eröffnung eines Online Shops ansteht. Die gebürtige Algerierin sieht die Angebote der großen Modellabels ambivalent: Einerseits habe sie sich über das neue Angebot gefreut, andererseits hatte es für sie den Anschein, als ginge man von der Bedienung einer Parallelgesellschaft aus, da bspw. die D&G-Kollektion von den herkömmlichen Kollektionen getrennt blieb. Ihr Traum sei vielmehr, „dass Frauen, die sich bedecken möchten, endlich als ganz normal angesehen werden“[9] und nicht länger Beklemmung hervorriefen. Sie kreiert Mode, in der sich Frauen wohl „und zur Gesellschaft zugehörig“[10] (ebd.) fühlen können. Lepdiri zufolge fehle es auf dem deutschen Modemarkt nach wie vor an Diversität, sprich: an Mode, die neben dem Mainstream auch andere Frauen berücksichtige. Muslima, die in den Zeitungsartikeln vorgestellt werden, betonen ihre selbstbestimmte und freie Entscheidung, das Kopftuch und den bedeckenden Kleiderstil als Teil ihrer religiösen Identität zu tragen. Es ginge bei Modest Fashion vor allem um Selbstermächtigung, „ohne Unterdrückung aus den konservativen Lagern ihrer Religion und ohne Vorurteile einer vermeintlich offenen Gesellschaft wie die in Deutschland“[11].
Laut Reina Lewis, Professorin am London College of Fashion, sei das Internet maßgeblich verantwortlich dafür, dass sich nun Angehörige der zweiten und dritten ImmigrantInnen-Generation selbst diesen Raum schaffen können und wirke daher integrationsfördernd. Die Personen mit Migrationshintergrund hätten dadurch verstärkt die Möglichkeit „zum aktiven und vor allem sichtbaren Teil der Konsumgesellschaften, in denen sie leben“[12], zu werden. Frauen können eigene Firmen gründen oder wie die Hijabista und Hipsterz trotz oder gerade mit Kopftuch Teil des weltweiten Modeblogtrends werden. Der abgrenzende Effekt der Verschleierung könne so mitunter aufgehoben werden.
Der kulturelle Wandel rund um die positiv besetzte Kombination aus Kopftuch und Mode bzw. der freien und selbstbestimmten Ausübung des eigenen Glaubens und modischem Bewusstsein ist ein gegenwärtig noch offener Prozess des Zusammenspiels aus Globalisierung und Migration. Erstens existiert die größer werdende Szene der Hijabista und Mipsterz, die ihre religiöse und modische Identität individuell ausleben möchten und diesbezüglich Inspiration bieten und suchen, in den sozialen Netzwerken. Zweitens wächst allmählich die Aufmerksamkeit für eine neue Zielgruppe seitens der großen global vertretenden Modefirmen, die eine noch nicht erschlossene Marktlücke kommerziell bedienen möchten. Und drittens haben wir als ein Zwischenglied zwischen Markt und religiöser Kultur muslimische Migrantinnen, die aus ihrem eigenen Bedürfnis heraus sich selbstständig machen und eine bisher noch nicht gesättigte Nachfrage bedienen – Modest Fashion. All dies sind Anzeichen für eine fortschreitende Veränderung und bietet darüber hinaus ein großes Potenzial für mehr soziale Akzeptanz, Diversität und soziale Teilhabe für muslimische Einwanderinnen in Deutschland und in anderen westlichen Gesellschaften. Einerseits ist die Verknüpfung des Kopftuches mit Mode und Ästhetik ein Zeichen für eine mögliche Lockerung der islamischen Kleiderordnung. Und andererseits könnten diese Entwicklungen im Idealfall in Zukunft dazu führen, dass Menschen beim Anblick einer Frau mit Kopftuch nicht automatisch an Unterdrückung und patriarchale Herrschaft denken, sondern eine selbstbewusste, eigenmächtige und gut gekleidete Frau als normalen Teil der deutschen Gesellschaft sehen.
Pauline Höhlich arbeitet als studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1]Pfannkuch, Katharina: Glaube, Mode, Hoffnung, in: Blumhardt, Olga/Drinkuth, Antje (Hrsg,): Traces. Fashion & Migration, Berlin 2017, S. 160-169, hier S. 163 f.
[2] Müller, Nadine: Designerin Meriem Lebdiri macht Mode mit Kopftuch, in: Brigitte.de, URL: https://www.brigitte.de/mode/trends/designerin-meriem-lebdiri-macht-mode-mit-kopftuch-10826510.html [eingesehen am: 31.08.2018].
[3] Pfannkuch, Katharina: Die muslimischen Hipster kommen, in: Cicero Online, 11.12.2013, URL: https://www.cicero.de/aussenpolitik/szenekultur-hipster-aufgepasst-die-mipsterz-kommen/56616 [eingesehen am 31.08.2018].
[4] Pfannkuch, Katharina: Glaube, Mode, Hoffnung, in: Blumhardt, Olga/Drinkuth, Antje (Hrsg,): Traces. Fashion & Migration, Berlin 2017, S. 160-169, hier S. 165.
[5] Ebd.
[6] Pfannkuch, Katharina: Sie feiern das Kopftuch als modisches Accessoire, in: Welt.de, 18.06.2015, URL: https://www.welt.de/icon/mode/article142610052/Sie-feiern-das-Kopftuch-als-modisches-Accessoire.html [eingesehen am 31.08.2018].
[7] Pfannkuch, Katharina: Glaube, Mode, Hoffnung, in: Blumhardt, Olga/Drinkuth, Antje (Hrsg,): Traces. Fashion & Migration, Berlin 2017, S. 160-169, hier S. 166.
[8] In diesem Zusammenhang stammt die Mehrheit der wenigen deutschen Artikel zu diesem Thema von ein und derselben Autorin – der Islamwissenschaftlerin und freien Journalistin Katharina Pfannkuch.
[9] Müller, Nadine: Designerin Meriem Lebdiri macht Mode mit Kopftuch, in: Brigitte.de, URL: https://www.brigitte.de/mode/trends/designerin-meriem-lebdiri-macht-mode-mit-kopftuch-10826510.html [eingesehen am: 31.08.2018].
[10] Ebd.
[11] Kühne, Gesine: Sie sind jung, modisch – und tragen Kopftuch, in: Deutschlandfunk.de, 26.07.2017, URL: http://www.deutschlandfunk.de/hijabista-sie-sind-jung-modisch-und-tragen-kopftuch.807.de.html?dram:article_id=392017 [eingesehen am: 31.08.2018].
[12] Pfannkuch, Katharina: Glaube, Mode, Hoffnung, in: Blumhardt, Olga/Drinkuth, Antje (Hrsg,): Traces. Fashion & Migration, Berlin 2017, S. 160-169, hier S. 165.