[gastbeitrag]: Franziska Schmidtke über die Aktivität rechtspopulistischer Abgeordneter im Europäischen Parlamen.
Vor fast zwei Jahren, im Mai 2014, wählten die Bürger in der Europäischen Union das Europäische Parlament (EP). Im Vorfeld fand einer der ersten europäischen Wahlkämpfe statt, der gerade durch die Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr und die Vergemeinschaftung im politischen System der EU verdeutlichte. Das Wahlergebnis jedoch war Ausdruck eines nationalistisch geprägten Wahlverhaltens unter den Bürgern Europas: Der rechtspopulistische Front National gewann in Frankreich die meisten Stimmen, die rechtspopulistische UKIP Großbritanniens verzeichnete erhebliche Zugewinne und sogar rechtsextreme Parteien wie die deutsche NPD, die ungarische Jobbik und die griechische Goldene Morgenröte erzielten ebenfalls (einzelne) Mandate. Angesichts dieser Ergebnisse reagierten Medien und Politik erschrocken, doch nur selten klangen in der Empörung Hinweise auf die lange Tradition von rechtspopulistischen Parteien und Fraktionen im Europäischen Parlament an. Ein genauerer Blick lohnt sich hier aber durchaus.
In der Tat gehören rechtspopulistische Parteien gewissermaßen zum Inventar des Europäischen Parlaments und auch Fraktionsbildungen unter ihnen sind seit den 1980er Jahren parlamentarische Realität. Eine gemeinsame Fraktion hatten auch die Parteivorsitzenden vom Front National, der Lega Nord und der niederländischen PvV während des Wahlkampfes angekündigt und angesichts ihres Ergebnisses schienen die Aussichten vielversprechend. Doch für eine Fraktion im Europäischen Parlament bedarf es nicht nur eines Quorums von Abgeordneten, sondern auch einer Mindestanzahl von Mitgliedsländern, was zunächst eine unüberwindbare Hürde für das rechtspopulistische Parteientrio darstellte. Erst ein gutes Jahr nach der Parlamentswahl, im Juli 2015, waren genug Abgeordnete aus nun acht Mitgliedsländern bereit, sich der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) anzuschließen (zur Zusammensetzung siehe Tab.1).
Neben der 38-köpfigen Fraktion gelang es auch einer anderen Parteienformation mit rechtspopulistischen Vertretern, eine Fraktion zu bilden. „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EEFD) umfasst 45 Abgeordnete, bestehend vor allem aus der britischen UKIP und der italienische Fünf-Sterne-Bewegung sowie den Schwedendemokraten und einigen weiteren kleinen Parteien. Dagegen fanden die klar rechtsextremen drei Vertreter der griechischen „Goldenen Morgenröte“ und Udo Voigt von der NPD keine Fraktion, die bereit war sie aufzunehmen, sodass diese Abgeordneten weitgehend isoliert als Fraktionslose im Europäischen Parlament sitzen.
Tabelle 1: Zusammensetzung der Fraktion „Europa der Nationen und Freiheit“ (38 MdEPs)
Tabelle 2: Zusammensetzung der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (45 MdEPs)
Angesichts der Tatsache, dass zwei rechtspopulistisch orientierte Fraktionen im Europäischen Parlament aktiv sind, überrascht die nur spärliche Berichterstattung darüber, was diese Fraktionen dort eigentlich tun, wie sie auftreten, welche inhaltlichen Vorschläge sie unterbreiten und ob von ihnen eine Gefahr für das parlamentarische System der EU ausgeht. Aktuelle Forschungsergebnisse des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus an der FSU Jena geben allerdings erste Hinweise auf ihre Performance.[1]
Abgeordnete rechtspopulistischer Parteien nehmen aktiv an der Parlamentsarbeit teil
Deutschland konnte bereits in einigen Länderparlamenten Erfahrungen mit dem Verhalten rechtsextremer Parteien im parlamentarischen Kontext sammeln. Dabei hat sich gezeigt, dass NPD-Abgeordnete in Schwerin und Dresden zwar in der Regel das Rednerpult für den kalkulierten Konflikt nutzten – in den äußerst relevanten Ausschusssitzungen allerdings kaum Interesse an der parlamentarischen Arbeit zeigten.[2] Lässt sich dieses Muster auf rechtspopulistische Akteure im Europäischen Parlament übertragen? Nur zum Teil.
Die Abgeordneten der beiden im Fokus stehenden rechtspopulistischen Fraktionen nehmen in der Tat etwas seltener (EFDD 88,4 Prozent, ENF 82,2 Prozent, Parlamentsdurchschnitt neunzig Prozent) als ein durchschnittlicher Europaabgeordneter (MdEP) an den Abstimmungen im Plenum teil.[3] Nichtsdestoweniger ist ihre Anwesenheitsrate hoch; die Abgeordneten beider Fraktionen sind in über achtzig Prozent aller Parlamentssitzungen anwesend und zudem aktiv am parlamentarischen Geschehen beteiligt. Betrachten wir die Formen parlamentarischer Arbeit, die mehr Initiative als die bloße Anwesenheit benötigen, verstärkt sich der erste Eindruck sogar noch: Wortmeldungen etwa nutzen Abgeordnete rechtspopulistischer Fraktionen deutlich häufiger als andere Parteivertreter. Gerade die Mitglieder der ENF und unter ihnen vor allem die Abgeordneten der Lega Nord und der FPÖ melden sich im Plenum geradezu unaufhörlich zu Wort, sodass die Fraktion seit Beginn der Legislaturperiode durchschnittlich 266 Wortmeldungen pro Abgeordnetem auf sich vereint. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf parlamentarische Anfragen, die die rechtspopulistischen Parteivertreter ebenfalls extensiv und überdurchschnittlich nutzen. Ein Abflachen ihres Aktivitätsmaßes tritt erst bei den Entschließungsanträgen ein, die nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern von Fraktionen oder mindestens vierzig MdEPs vorgelegt werden müssen. Hier ist das gemeinsame Handeln innerhalb der Fraktionen gefragt. Abgeordnete müssen sich untereinander abstimmen können und dabei kompromissfähig sein, was das Aktivitätsmaß der Rechtspopulisten offenbar ein wenig zügelt, aber zumindest im Fall der ENF den Durchschnittswert im EP erreicht.
Bis hierhin wird deutlich: Die rechtspopulistischen Abgeordneten wirken im Plenum am parlamentarischen Geschehen mit – mitunter sogar sehr aktiv. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie, ähnlich wie in den deutschen Landesparlamenten, an der entscheidenden Arbeit in den Ausschüssen weniger Interesse zeigen. In der Tat ist die Anwesenheitsquote hier mit durchschnittlich 59 Prozent deutlich geringer als bei den Abstimmungen im Plenarsaal. Dennoch kann man auch hier nicht von einer Verweigerungshaltung sprechen. Und auch in Bezug auf die in den Ausschüssen erstellten Berichte fällt das Urteil schwer. Ja, hier sinkt das Aktivitätsmaß erheblich; kaum ein rechtspopulistischer Abgeordneter erhält das Vertrauen der Ausschüsse, einen der wichtigen Berichte zu verfassen und die damit übertragenen Rechte auszuüben. Allerdings kann bisher nicht beantwortet werden, ob rechtspopulistische Fraktionen an dieser Art der parlamentarischen Arbeit nicht interessiert sind oder ob ihre Inaktivität durch Blockaden der anderen Fraktionen begründet ist. Dies bleibt eine offene Forschungsfrage und insofern muss das Urteil lauten: Rechtspopulistische Fraktionen nehmen aktiv an der Parlamentsarbeit teil.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse gilt es zukünftig mit einem stärker inhaltlichen Fokus zu untersuchen, welche Inhalte rechtspopulistische Fraktionen gemeinsam in den parlamentarischen Prozess einbringen und in welchen policy-Bereichen sie gemeinsame Haltungen entwickeln. Sollten sich die quantitativ gezeigten Schnittmengen auch qualitativ bestätigen, wäre eine thematische Annäherung der Parteien zu befürchten und ihre Zusammenarbeit nicht nur für das Europäische Parlament eine Herausforderung.
Franziska Schmidtke koordiniert das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie promoviert im Fachbereich Politikwissenschaft zu den Landespräventionsstrategien gegen Rechtsextremismus und forscht darüber hinaus zum Parlamentsverhalten rechtpopulistischer und rechtsextremer Abgeordneter im Europäischen Parlament.
[1] Vgl. Schmidtke, Franziska/Oppelland, Thorsten: Parlamentsaktivitäten der Rechtsaußenparteien im Europäischen Parlament, Bonn 2015..
[2] Siehe etwa zur Parlamentsarbeit der NPD in Mecklenburg-Vorpommern Niemann, Laura, 2008. Die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Parlamentsarbeit im ersten Jahr. (Politikwissenschaftliche Arbeitspapiere aus dem Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte) Greifswald.
[3] Die Daten beziehen sich auf eine Auswertung auf Grundlage des Blogs votewatch vom 2.Febraur 2016.