Merkel-CDU (5): „Cool, dynamisch, urban“

Beitrag verfasst von: Kai Wegner

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[Gastbeitrag]: CDU-Politiker Kai Wegner über Krise und Perspektiven der Union in den Großstädten

Siebzig Jahre nach ihrer Gründung steht die CDU insgesamt gut da. Davon zeugen eine beliebte Bundeskanzlerin, der die Menschen vertrauen, zehn Jahre erfolgreiche Regierungsarbeit im Bund und stabile Umfragewerte über vierzig Prozent. In den Großstädten jedoch musste die Union in den letzten Jahren manche schmerzhafte Niederlage verzeichnen. Derzeit wird keine der fünfzehn größten Städte Deutschlands von einem christdemokratischen Oberbürgermeister oder einer christdemokratischen Oberbürgermeisterin regiert. Derartige Entwicklungen bedürfen sowohl Erklärungen als auch Antworten.

Wer aber in Großstädten keine politische Verantwortung trägt, kann sich auch seiner Stellung in geringer besiedelten Gebieten nicht dauerhaft sicher sein; denn schon immer haben die großen Städte in Deutschland mit Impulsen in die ländlichen Räume hineingewirkt. Dies gilt umso mehr, als dass es die großen Städte sind, die sich rasant entwickeln und auch in Zukunft weiter wachsen werden. Was also ist aus Sicht der CDU zu tun?

Politik beginnt immer mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Zur Erklärung der derzeitigen Schwäche der Union beim Kampf um die Rathäuser der großen Städte reicht daher nicht, auf ein alternierendes Wahlverhalten im Vergleich zur Bundesebene zu verweisen oder mit dem Einfluss starker Gegenkandidaten und lokaler Besonderheiten zu argumentieren. Am Anfang einer ehrlichen Analyse der Situation der CDU in großen Städten muss vielmehr die Erkenntnis stehen, dass die Lebensrealität in Großstädten häufig eine andere ist als in Regionen, die kleinstädtisch und ländlich geprägt sind.

Da sind zunächst die Bewohner: Große Städte sind Orte der Vielfalt. Hier leben besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund, hier finden sich die verschiedensten Lebensmodelle, Präferenzen und Interessen. Diese vielfältige Bevölkerungsstruktur muss sich auch in der Mitgliedschaft der CDU besser abbilden; denn ohne eine ständige Erneuerung ihrer Mitglieder wird eine Partei von der Lebenswirklichkeit der urbanen Milieus abgeschnitten. Um ihrem Anspruch als letzte verbliebene Volkspartei auch in Zukunft gerecht zu werden, muss die CDU mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte, mehr Junge und mehr Frauen für sich gewinnen.

Gerade die junge Generation steht für neue Ideen und ist Motor der Veränderung. Deshalb muss die Union politisch interessierten jungen Menschen vermitteln, dass junge Themen bei ihr Gehör finden. Hierzu müssen innovative Arten der Mitgliederwerbung und Entscheidungsfindung hervorgebracht werden. Gerade die digitale Revolution bietet hier noch viel Potenzial.

Ich wünsche mir eine CDU, die so bunt ist wie die Städte, für die sie Politik macht. Es ist richtig und wichtig, dass die kommunalen Entscheidungsträger der CDU hervorragende Kontakte zu den Industrie- und Handelskammern und den Innungen haben. Genauso selbstverständlich sollte aber auch die Vernetzung mit dem Hebammenverband, mit sozialen Trägern oder den Künstlervereinigungen sein. Notwendig ist eine unideologische Politik, die die Probleme der Menschen pragmatisch einer Lösung zuführt. Hierfür muss sich die CDU als Kümmerer profilieren und die Menschen dort abholen, wo sie sind. Die breite Verankerung in der vielfältigen Stadtgesellschaft ist die beste Gewähr dafür, nah bei den Menschen zu sein und zeitnah auf die Bedürfnisse der großstädtischen Klientel eingehen zu können.

Auf die Eigenarten der großen Städte muss die CDU aber auch in ihrer programmatischen Ausrichtung reagieren. Hier erwarten die Menschen in den großen Städten Antworten von der Politik; und die CDU muss Antworten geben, um gewählt zu werden. Zu den spezifischen Herausforderungen in großen Städten gehören der Kampf gegen Armut, die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, die Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen, die gerechte Verteilung des knappen, bereits stark verdichteten Raumes, bedarfsgerechte Angebote für neuartige Lebens- und Familienmodelle, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine nachhaltige Verkehrspolitik, aber auch die Reintegration der Natur in die bebaute Umwelt.

Allgemein genießen unter urbanen Wählern Fragen der Lebensqualität, des gelingenden und gerechten Lebens und der moralischen Politik einen hohen Stellenwert. Auf diese Erwartungshaltung muss die Union noch besser reagieren. Die Menschen sollen bei der Wahl der Christdemokraten ein so gutes Gefühl haben, wie wenn sie fair gehandelte Schokolade im Biomarkt kaufen. Sie müssen wissen, dass sie mit ihrem Kreuz bei der CDU eine ökologisch nachhaltige, ethisch korrekte und soziale Politik unterstützen, die beim lokalen Handeln globale Herausforderungen mitdenkt. Das fängt beim Klimawandel an und führt über bedrohte Tierarten bis hin zu den Arbeitsstandards in Textilfabriken der Dritten Welt.

Eng verbunden mit diesen neuen inhaltlichen Schwerpunkten ist das Image der Partei. Der Ruf der CDU in den großen Städten ist – übrigens durchaus zu Unrecht! – häufig grau, verstaubt und unmodern. Dieses Image gilt es zum Positiven zu verändern. Die CDU muss sich darstellen als eine Partei auf der Höhe der Zeit. Ihr muss gelingen, dass die Menschen in den Städten „CDU“ buchstabieren als cool, dynamisch, urban. Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber in der Übertreibung liegt immer auch die Verdeutlichung.

Wie aber kann die CDU ihr Image erweitern? Dazu nötig sind ein frischer Auftritt, moderne Formen der Kommunikation und eine Politikvermittlung, die mutige und unkonventionelle Wege nicht scheut. Die CDU muss spannend sein statt langweilig, innovativ statt altbacken, bunt statt grau. Es gilt, gute Inhalte auch ansprechend zu verpacken. Ein Image-Relaunch ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Baustein, um den Anspruch als Gestaltungskraft in der Großstadt sinnfällig zu untermauern und neue Anziehungskraft auch bei denjenigen Wählerinnen und Wählern zu entwickeln, die nicht zur christdemokratischen Stammklientel gehören.

Bei der Attraktivität der CDU für urbane Wählergruppen spielt das Spitzenpersonal eine bedeutende Rolle, denn in Zeiten abnehmender Parteibindungen gewinnt der Persönlichkeitsfaktor weiter an Gewicht. Immer mehr Menschen wählen Köpfe statt Parteien. Die Union muss daher bei Wahlen mit authentischen Stadtpersönlichkeiten antreten, die das Lebensgefühl der jeweiligen Stadt glaubwürdig repräsentieren. Ole v. Beust, Petra Roth oder auch Eberhard Diepgen wurden auf diese Weise weit über die CDU-Stammklientel hinaus gewählt. Das Programm muss zur Person passen, die Person zum Programm und beide gemeinsam zur Stadt.

Das heißt: Zwar besteht in den großen Städten für die CDU an manchen Stellen Veränderungsbedarf; doch ihre Kernkompetenzen sind dort zugleich gefragt. Zu Recht schreiben die Menschen der CDU hohe Kompetenz bei der Inneren Sicherheit zu. Das ist ein Pfund, mit dem die Union wuchern kann. Denn gerade in großen Städten gibt es teilweise Verwahrlosungen und stark kriminalitätsbelastete Orte. Das bewusste Ignorieren gesellschaftlicher Regeln und Normen erschwert das friedliche Zusammenleben. Extremisten von rechts und links sowie Islamisten sind insbesondere in städtischen Verdichtungsräumen anzutreffen. Hier muss die CDU also klare Kante zeigen, denn gelebte Vielfalt muss auf sicheren Fundamenten ruhen.

Auch sollte die CDU ihre Wirtschafts- und Finanzkompetenz selbstbewusst herausstellen. Denn wie keine andere Partei steht die CDU für eine Politik, die unternehmerische Tätigkeit nicht aus ideologischen Gründen behindert, sondern pragmatisch fördert. Dauerhafte Solidität in der Haushalts- und Finanzpolitik gibt es nur mit der CDU. Die Union muss klarmachen, dass solide Stadtfinanzen und erfolgreiche Unternehmen mit ihren sicheren und gutbezahlten Arbeitsplätzen die Grundpfeiler sind, auf denen die Lebensqualität in den großen Städten ruht. Nur eine Stadt, die wirtschaftlich stark ist, kann sich auch stark für Menschen in prekären Lebenslagen engagieren. Große Städte sind Laboratorien des Zusammenlebens in einer sich wandelnden Gesellschaft. Wie unter einem Brennglas konzentrieren sich hier gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen – von Integration über den demografischen Wandel bis zu Klimaschutz und urbaner Mobilität. Gleichzeitig liegen hier aber auch die innovativen und kreativen Potenziale zur Bewältigung dieser Herausforderungen.

Die Union sollte eine soziale und liberale Großstadtpolitik mit einer klaren Ordnungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik zu einem einzigartigen Politikangebot verbinden. Das ist dann nicht mehr CDU pur, sondern CDU plus. Und das ist zugleich die Gewähr dafür, dass die CDU auch in den nächsten siebzig Jahren die prägende politische Kraft in Deutschland bleibt.

Kai Wegner ist Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Spandau und Charlottenburg Nord. Er ist Generalsekretär der Berliner CDU und Metropolenbeauftragter der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Dieser Text ist Teil unserer Blogreihe über die Entwicklung der Christdemokratie unter Angela Merkel.