[analysiert]: David Bebnowski über den Fall zu Guttenberg und den Wandel der CDU
Am Ende gab es wohl doch kein Halten mehr. Karl-Theodor zu Guttenberg ist zurückgetreten. Dabei saß er zu Recht im Verteidigungsministerium. Jedenfalls schien die Panzerung Karl-Theodor zu Guttenbergs noch jeden Angriff auf den Minister abwehren zu können. Wie dies jedoch funktionierte, darüber wurde bislang wenig geschrieben. Einige Fragen bleiben: Denn warum ist es dem Verteidigungsminister und seiner Partei gelungen, die Beliebtheitswerte trotz aller Attacken hoch zu halten? Warum kann eine konservativ-bürgerliche Partei einen möglichen Betrug ihres Ministers entschuldigen?
All dies muss nachdenklich stimmen. Im Gewusel der deutschen Medien- und Talkshowlandschaft werden hingegen abermals Oberflächlichkeiten thematisiert. Tiefer gehende Analysen, die einen Wandel des Bürgertums formulieren, entstehen erst allmählich. Dabei zeigen das Verhalten der Union und ihres Ministers Anhaltspunkte dafür, durch welche Strategien es in Zukunft möglich sein könnte, mehrheitsfähig zu werden. Tatsächlich scheint sich die CDU/CSU nicht länger an ihre bürgerlich-konservative Stammklientel zu binden, sondern entdeckt die gegenwärtig grassierende und anwachsende Eliten- und Intellektuellenfeindlichkeit als Erfolgsrezept für sich.
Als Parallele und erfolgreiches Vorbild eines solchen Manövers bieten sich die Republikaner in den Vereinigten Staaten an. Die teilweise waffenstarrende und im besten Sinne unvernünftige Rhetorik von Teilen dieser Partei verdrießt nicht nur europäische Kommentatoren. Auch amerikanische Medien beklagten im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf zaghaft den Niedergang des besonnenen, gebildeten und intellektuellen Republikaners. Diese früheren Vorbilder wurden von einer neuen, geradezu gegensätzlichen Figur abgelöst. Sie entspricht eher zupackend-kumpelhaften Durchschnittsbürgern, eben Typen wie George W. Bush oder Sarah Palin. Kurz gesagt wurde in den USA der Typus des elitären, distinguierten Republikaners durch eine schlichtere, volkstümlichere Version ersetzt, das deftige Barbecue löste das noble Bankett ab.
Tatsächlich hätten Politiker von derart erschreckender Einfältigkeit wie die Ikonen der Tea-Party-Bewegung in den deutschen Parteien wohl kaum Chancen. Auf dem fruchtbaren Boden des American Dream mit seiner weit verbreiteten Staatsphobie können derartige „Mavericks“ (in etwa: „widerständige Einzelkämpfer“) jedoch das Feindbild eines zu regulierungswütigen, von abgehobenen Eliten dominierten Staats beschwören. Ihr Vorwurf lautet immer wieder, dass sich die Politik weit von den Interessen der einfachen Bevölkerung entfernt hätte. Auf diesem Weg scheinen insbesondere diejenigen, die das Ressentiment des „kleinen Mannes“ gegen „die da oben“ artikulieren können, eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung zu erlangen.
Im strategischen Manöver werden der Staat und seine etablierten Repräsentanten häufig unterschiedslos zu einem von den einfachen Leuten getrennten Gebilde stilisiert, das von einer vermeintlich abgehobenen Elite dominiert sei. Interessanterweise wird die Trennlinie zwischen den Gruppen nicht durch Reichtum und Armut, sondern durch Alltagsverstand und Intellektualismus markiert. Auf der einen Seite entsteht so das Bild der aufrichtigen Politiker und Bürger, die sich auf ihren „common sense“ und amerikanische Tugenden verließen. Auf der anderen befinden sich verfemte, vergeistigte Politikeliten, die nichts vom Leben in den eher agrarisch geprägten Teilen des Landes wüssten. Aus diesem antiintellektuellen Populismus erklärt sich der dumpfe, erdverwachsene Furor der Tea-Party-Bewegung. Barack Obama ist in den USA auch deswegen verwundbar, weil er als weltgewandter, links-liberaler Intellektueller all die Kriterien auf sich vereint, die ihn als Vertreter einer nachgerade verhassten Elite ausweisen.
Nun scheint all dies fern von Deutschland zu liegen. Eine derartige Wut wäre hier kaum denkbar, ohnehin ist zu Guttenberg als Adelsstämmiger ein ausgewiesener Teil der deutschen Elite. Aber man sollte hier genauer sein, denn der Verteidigungsminister bezieht seine Integrität und Glaubwürdigkeit mitnichten aus seiner Herkunft. Im Gegenteil: Er ist der Prototyp des Verlässlichen und Bodenständigen. Denn der Verteidigungsminister inszeniert sich mit Rückendeckung der Medien seit dem Beginn seiner bundespolitischen Karriere als Antithese zum stereotypen deutschen Berufspolitiker.
Das Ansehen zu Guttenbergs beruht so vielmehr darauf, dass er es als „Maverick“ einer handlungsunfähigen, in parteipolitische Querelen verstrickten Politikerelite zeigt. Hierdurch können die unverändert hohen Beliebtheitswerte des Verteidigungsministers erklärt werden. Wie groß die Sehnsucht nach derartigen „Outlaws“ ist, zeigte sich bereits letztes Jahr in der Causa Sarrazin. Seine so entstandene Authentizität könnte auch die Begründung dafür liefern, warum der Minister vorbehaltlos über die BILD regiert und nicht müde wird zu behaupten, vieles ganz anders zu machen als sonstige etablierte Politiker. Darüber hinaus tragen all seine umstrittenen Entscheidungen Insignien von Führungsstärke, die vor allem in unteren sozialen Lagen vermisst werden. Hier sind es eben die „Bruce-Willis-Typen der Politik“ (Franz Walter), die ein hohes Ansehen genießen.
Aber im Fall des Plagiators geht es keinesfalls nur um die Einhaltung wissenschaftlicher Standards, sondern vielmehr um die Frage, wie sich die Union zur Wissenschaft positioniert. Und durch die Rückendeckung der Partei für ihren Minister verkommt die Wissenschaft zur Petitesse. Für Karl-Theodor zu Guttenberg spielt sie keine Rolle, vielmehr inszeniert er sich als Antithese zum wissenschaftlichen Betrieb als zupackender Mann aus dem Volk. Auch hier kann er sich auf ein antiintellektuelles Ressentiment in der Bevölkerung verlassen. Denkbar ist, dass Guttenbergs Beliebtheit auf Grundlage dieser besonderen Authentizität durch das Plagiat erneut gesteigert würde, hätte er doch erneut gegen die Standards „der Elite“ verstoßen.
Unterdessen gerät im Strudel dieser Inszenierungen die Wissenschaft selbst zum Spielball politischer Interessen. Dass sich der Minister angesichts des im Raum stehenden Vorwurfs des Betrugs gar als Vorbild gerieren kann, spricht dafür, dass wissenschaftliche Argumente längst keine Rolle mehr für die Politik spielen. Die Wissenschaft ist somit schlichtweg entwertet. Ohne zu viel Pathos sollte man sich daran erinnern, dass sie die Grundlage der Aufklärung, somit auch des modernen Staatswesens bildet.
Man ist offenbar bereit, dieses Opfer zu bringen, um in der Wählergunst zu reüssieren. Der adelsstämmige Verteidigungsminister ist für die CDU/CSU ein Türöffner. Er ist der Zugang zu den Enttäuschten, zu denjenigen, welchen die Politik seit langem Zumutungen präsentiert. Er ist der Anker in die Milieus, die zu wissen meinen, dass „die da oben“ ohnehin tun und lassen, was sie wollen. Deswegen hielt die CDU bis zum Schluss an ihrem Minister fest und macht sich dabei genau des Verhaltens schuldig, welches man „denen da oben“ so häufig unterstellt.
Unterdessen wird man in deutschen Talkrunden weiterhin über Oberflächlichkeiten diskutieren. Dabei wird übersehen, dass die CDU in ihrem Verhalten für eine gewandelte Bürgerlichkeit stehen könnte, die ein gefährliches Ressentiment gegen ein Feindbild aus intellektuellen und politischen Eliten wendet. Man sollte dies im Gedächtnis behalten, wenn der nächste Guttenberg arglos hoch geschrieben wird. Die Entwicklungen in den USA taugen wahrlich nicht zum Vorbild.
David Bebnowski ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.