Der Freiherr und die Exzellenz

[kommentiert]: David Bebnowski kritisiert das „Geistessterben“ in der „Bildungsrepublik“

„Möglicherweise aber halten Sie unseren Beitrag zur Gesellschaft schlicht für vernachlässigenswert. Dann möchten wir Sie aber bitten, in Zukunft nicht mehr von der von Ihnen selbst ausgerufenen „Bildungsrepublik Deutschland“ zu sprechen.“ (Ende des offenen Briefs der Doktoranden an die Bundeskanzlerin)

Das „Möglicherweise“ kann man streichen. Dann, so muss man leider sagen, trifft dieses Zitat den Nagel auf den Kopf. Denn im Fall zu Guttenbergs wird etwas Offensichtliches deutlich, das in einer meritokratischen Gesellschaft nicht sein darf: Bildungstitel zählen nichts mehr. Der laxe Umgang mit wissenschaftlichen Standards seitens des Verteidigungsministers ist keinesfalls nur eine persönliche Verfehlung, sondern ebenso ein Symptom für den Wandel der Einstellungen gegenüber dem Geistesleben.

Es ist zwar nur wenig überraschend, dass die Aufregung der akademischen Eliten in den letzten Tagen aufbrandete. Gleichzeitig kann man jedoch nicht ernsthaft davon sprechen, dass den Universitäten und Bildungspolitikern bis dahin nicht bewusst gewesen wäre, dass der Doktortitel und mit ihm die akademische Arbeit als solche entwertet sind. Und unbeteiligt waren Bildungspolitik und die Hochschulen an dieser Entwicklung ganz sicher nicht. Vielmehr trägt der Wissenschaftsstandort Deutschland, mit seinem Wunsch die Elite von morgen in Exzellenzinitiativen auf kommende Aufgaben vorbereiten zu wollen, eine erhebliche Mitschuld an diesem Verfall.

Denn was wurde in den letzten Jahren nicht an Eliteförderungen und Forschungsclustern angeschoben. Endlich wollte man aufschließen zu den renommierten angelsächsischen Bildungsinstitutionen. Der Dschungel Akademias wurde unter dem Dach der Exzellenz effizient gemacht, verschlankt und an fragwürdige internationale Standards angeglichen. Ganze Fachbereiche wurden abgewickelt, ihr Wissen wurde im schnellen 21. Jahrhundert angeblich nicht mehr gebraucht. Dabei galt die breite Fächervielfalt jahrzehntelang als Gütekriterium für Forschung und Bildung schlechthin.

Spätestens mit den Bologna-Entschlüssen der 90er Jahre jedoch wurde sie zum bekämpfenswerten Übel. Bildung, so hieß es allerorten, sei keineswegs mehr gleichzusetzen mit freigeistigen Gehversuchen, sondern sollte die Absolventen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Unter heftiger Fürsprache der Wirtschaft, die versprach, in teilprivatisierten Unis Drittmittel bereitzustellen, nickte die Bildungslandschaft viele dieser Ideen ab.

Und nun zu Guttenberg. Es ist erstaunlich, in welcher kristallinen Klarheit der Fall des ehemaligen Verteidigungsministers vorführt, wohin die Bemühungen der vergangenen Jahre geführt haben. Die Initiativen von Politik und Wissenschaft kommen als Bumerang zurück. Sie zeigen nun, dass akademische Meriten längst nichts mehr zählen und ihre Standards schnödes Beiwerk sind. Daneben – und dies scheint ebenso schwer zu wiegen – existiert aber auch kaum mehr ein Bewusstsein dafür, wie wichtig Bildung und ein weit verzweigtes Geistesleben sind. Der Kulturwissenschaftler Pierangelo Maset hat hierfür den Begriff Geistessterben eingeführt. Das Geistesleben wird zusehends ökonomischen Nutzenkalkülen unterworfen, Menschen können ihr Leben auch ohne Rückgriff auf „den Geist“ bestreiten, er spielt schlicht keine Rolle mehr.

Aber eben an dieser Entwicklung waren Teile der wissenschaftlichen Elite dieses Landes beteiligt. Denn die Bildungspolitik und auch die von den Wirtschafts- und Naturwissenschaften dominierten Universitäten haben sich geradezu eines intellektuellen Verbrechens schuldig gemacht: Auch sie übernahmen das Plädoyer der Alternativlosigkeit für eine ökonomischere Ausrichtung und höhere Effizienz der Universitäten. Sozial- oder Kulturwissenschaftliche „Orchideenfächer“, so Kurt von Figura, der ehemalige Präsident der Universität Göttingen, selbst ein Naturwissenschaftler, könne man sich schlichtweg nicht mehr leisten. Das Verständnis für die Notwendigkeit des Geisteslebens und einer Wissenschaft als Anker der neuzeitlichen Aufklärung scheinen selbst in Reihen der Forscher, die ihre Hüter sein sollten, auf den Hund gekommen zu sein.

Aber leider, so muss man schmerzlich lernen, belohnt die Ideologie freier Märkte hohe Bildung nur sehr bedingt. Um Profite zu erzielen, und darum geht es mindestens den Unternehmen, wird sie nicht benötigt. Vielmehr hängt sie den Absolventen als ineffizientes Nebenerzeugnis wie ein unnützlicher Klotz am Bein. Lieber verstecke man seinen Doktortitel, bevor man sich fragen lasse, ob er sich denn (ent)lohnen würde.  Das Nutzenkalkül der Bildungspolitik schlägt also recht unerbittlich auf sie selbst zurück. Sehr zum Schaden des bürgerlichen Staats, denn sein Motor, der soziale Aufstieg über Bildungszertifikate, kommt ins Stottern.

Aber auch dies sollte wenig verwundern. Eigentlich ist doch längst bekannt, dass die Meritokratie wenig von dem hält, was sie verspricht. Bildung ist eben keine Eintrittskarte zu einem besseren gesellschaftlichen Leben mehr, garantiert keineswegs wirtschaftlichen Aufstieg oder soziale Absicherung. Aus diesem Blickwinkel ist es beinahe rührend, wie Wissenschaft und Politik versuchen, diesen Glauben zu verteidigen.

Es ist vielmehr so, dass im Zeitalter des Finanzmarktkapitalismus alle menschlichen Regungen und Handlungen seinem Diktat unterworfen sind. Die Volkswirtschaften werden durch mathematische Rechenoperationen bestimmt, nennenswerte Wertschöpfung geschieht auf Grundlage von Spekulation an elektronischen Finanzmärkten. Wohin dies führt, sieht man derzeit eindrücklich an der wachsenden sozialen Ungleichheit. Auf der einen Seite können die Reichen ihr Geld für sich arbeiten lassen, werden reicher, kommt es zur „Refeudalisierung“. Auf der anderen Seite entsteht das Prekariat, dessen akademische Ausprägung die Generation Praktikum bildet. Sie hechelt, getrieben von der eigenen Unsicherheit, den Konjunkturen der Arbeitsmärkte hinterher und erwirbt weiterhin wertlose Bildungszertifikate, wie beispielsweise Doktortitel.

Dabei führt ein dauerhaft kriselnder Arbeitsmarkt, der zum Anhängsel hochspekulativer Finanzmärkte verkommt, beinahe logisch hierzu. Denn natürlich versuchen Bewerber sich im freien Spiel der Kräfte bestmöglich auf ihren späteren Job vorzubereiten. Das Kalkül der Exzellenz geht also auf. Da jedoch kaum Stellen existieren – hierfür trägt schließlich die unsichtbare Hand der Wirtschaft selbst Sorge – resultiert dieser Versuch in einer Endlosschleife. Weiterbildung und lebenslanges Lernen unter gleichzeitigen Flexibilitätsanforderungen werden zum unausweichlichen Imperativ. Dieses Resultat ist geradezu zwingend, denn ohne adäquate Stellen,wird die Bildungslandschaft selbst zum Auffangbecken für überzählige Bewerber. Es geht unter den harten Bedingungen am Arbeitsmarkt darum, eine Zusatzqualifikation zu erreichen, die die eigene Person von der Masse abhebt, und sie, wie gefordert, zur Elite schlägt. Die Abschlüsse, auch der Doktorgrad, werden hierdurch jedoch aufgrund der blanken Masse zusätzlich entwertet.

Man sollte sich also nicht darüber wundern, wenn die Bildung und ihre Zertifikate als genau das behandelt werden, was sie sind: Entwertete Versprechen einer vergangenen, meritokratischen Epoche. Und die nach Exzellenz heischende Wissenschaft? Sie sieht ihre Felle wegschwimmen und erst jetzt, nach dem Teile von ihr dieses Problem mit erschaffen haben, erfolgt der Aufschrei der Entrüstung, der aufgrund der Vorgeschichte wie Katzenjammer wirkt. Dabei hätte es Alternativen zum Imperativ der effizienten Exzellenz gegeben, sie bestehen bekanntlich immer. Heute noch könnten die hier skizzierten Trends unterbrochen werden. Dass jedoch der politische Wille hierzu besteht, erscheint aufs höchste zweifelhaft. Fans von zu Guttenberg jedenfalls werden dies nur wenig bedauern.

David Bebnowski ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.