„Im Zweifel für die Freiheit“

[nachgefragt]: Frauke Schulz berichtet im Interview über den sozialliberalen Vordenker Werner Maihofer.

Frauke Schulz hat in ihrer Magisterarbeit die politische Karriere des Seiteneinsteigers Werner Maihofer untersucht. Ihre Studie erschien nun im Ibidem-Verlag unter dem Titel: Werner Maihofer. Im Zweifel für die Freiheit. Sie hatte bei ihrer Recherchen die Möglichkeit, Werner Maihofer wenige Monate vor seinem Tod zu interviewen.

Warum hast du dich für eine Magisterarbeit über Werner Maihofer entschieden?

Die Idee kam ursprünglich von Franz Walter. Ich hatte ihm gegenüber erwähnt, dass ich mich für die 60er und 70er Jahre, also die Zeit des politischen Wirkens von Werner Maihofer, interessiere. Er hatte wohl ein Gespür dafür,  dass mir das biographische Arbeiten besonders liegen würde.

Was war besonders spannend an der Untersuchung Maihofers?

Die Untersuchung seiner politischen Biographie war für mich vor allem daher sehr reizvoll, da man angesichts der heutigen FDP kaum noch vermuten würde, dass in der Partei einst Maihofers ideologische Standpunkte, also im weitesten Sinne der Sozialliberalismus, die politische Richtung bestimmten. Außerdem fand ich es spannend, seine Karriere unter dem Blickwinkel des Seiteneinstiegs zu analysieren. Denn die Karriereverläufe von Quereinsteigern sind zumeist besonders interessant.

Wie hast du deine Untersuchung angelegt?

Ich habe mich beim Aufbau der Arbeit an der klassischen Dramentheorie orientiert. Dies heißt jedoch nicht, dass ich versucht habe, die Biographie Maihofers unbedingt in eine Schablone zu pressen. Vielmehr hat sich diese Struktur fast natürlich ergeben, als ich seinen Karriereverlauf genauer betrachtete habe. Maihofers Wirken in der Politik war nicht nur sehr kurz, sein Aufstieg und sein anschließender Abstieg  verliefen dazu noch  außergewöhnlich  steil. Inhalt und Struktur meiner Arbeit konnten sich durch dieses Modell meiner Meinung nach gut ergänzen. Damit bin ich zudem den Forderungen der neuen Biographieforschung gefolgt, die einen pointierten Umgang mit den untersuchten  Lebensgeschichten verlangt.

Kannst du dann anhand deiner Theorie kurz den Karriereverlauf Maihofers darstellen?

Wichtig ist, dass er erst 1969, mit 51 Jahren,  in die Politik einstieg. Er war zu dieser Zeit eigentlich Hochschulrektor in Saarbrücken und wurde von Walter Scheel, seinem Mentor und Protektor in der Partei, für die FDP gewonnen. Noch im selben Jahr beförderte dieser ihn ins Präsidium der Partei und in ein Ministeramt. Relativ zügig kam ihm auch ein gewisser Einfluss zu, da er federführend an den Freiburger Thesen von 1971 beteiligt war, die als theoretisches Fundament der sozialliberalen Koalition von Seiten der FDP galten. Allerdings hatte er damit im Grunde für die Partei seine Funktion auch schon erfüllt und es ging anschließend mit seiner politischen Karriere bergab –  obwohl seine Position durch die Berufung zum Innenminister im Jahr 1974 eigentlich formal aufgewertet wurde. Doch die zeithistorische Entwicklung, das strategische Interesse seiner Partei und auch die  Personenkonstellation in seinem Umfeld änderten sich von nun an drastisch, und zwar zu seinem Nachteil. Schließlich wurde er von der eigenen Partei fallengelassen und trat 1978 als Innenminister zurück. Hier liegt eine weitere Parallele zur Dramentheorie: Sie geht davon aus, dass die spätere Katastrophe bereits in der aufsteigenden Handlung vorgezeichnet ist. Genauso deutet sich auch Maihofers Fall  schon während der Zeit seines Erfolgs an.

Woran genau ist Maihofer dann aber gescheitert? Sein moralischer Einfluss schien doch recht hoch zu sein.

Die FDP brauchte Ende der 1960er Jahre  Köpfe, die die sozialliberale Koalition glaubhaft verkörperten. Der linkslibertäre Zeitgeist sowie die Konkurrenz im rechten Milieu durch die neu gegründete NPD hatten die Stoßrichtung der FDP nach links gerückt. „Echte“ Sozialliberale wie Werner Maihofer galten als Beweis für diesen Kurswechsel. Diese Ideologie konnte sich jedoch nie tief in bei den Liberalen verankern. Die Freiburger Thesen gelten bis heute als reines „Schaustück in der Ausstellungsvitrine der FDP“ und auch ihr geistiger Vater Maihofer wurde fallengelassen, als die Partei sich nach 1974 neu ausrichtete und er für sie keinen strategischen Wert mehr besaß.  Hier zeigt sich das typische Schicksal eines Seiteneinsteigers in der Politik: Sein Protektor Scheel hatte als neuer Bundespräsident innerparteilich an Einfluss verloren und so machte sich plötzlich das Fehlen von Netzwerken, Seilschaften und einer eigenen Hausmacht Maihofers in der FDP bemerkbar.

Hatte Maihofer trotz dieser Instrumentalisierung einen bestimmten Einfluss auf die FDP?

Zur Zeit seines politischen Wirkens war er definitiv wichtig für seine Partei. Er hatte eine doppelte Funktion: Einerseits brachte er der Partei Prestige ein, man brüstete sich mit ihm; Scheel zeigte sich auch öffentlich gern mit ihm. Gleichzeitig war er als Minister für Besondere Aufgaben eine Art allgemeine Beratungsinstanz der Koalition. Brandt und Scheel  beratschlagten sich oft mit ihm.

Eigene inhaltliche Schwerpunkte als Minister gelangen ihm aber kaum. Für das Innenministerium, das einen vielseitigen Polit-Manager an der Spitze braucht, war Maihofer einfach nicht geschaffen. Als Justizminister hätte er wahrscheinlich wirkungsvoller arbeiten können.  Auch wirkte das politische Klima der späten 1970er Jahre gegen ihn: In Zeiten des RAF-Terrors konnte man kaum liberale Innenpolitik betreiben.

Heute wird in der FDP nach wie vor gerne betont, dass man einmal Männer wie Karl-Hermann Flach, Ralf Dahrendorf oder eben auch Werner Maihofer in den eigenen  Reihen  hatte. Doch  ihr inhaltlicher Einfluss auf die aktuelle Politik ist sehr gering. Es bleibt abzuwarten, ob die aufstrebende Generation der Liberalen sich wieder stärker an dieser Phase der Geschichte ihrer Partei orientieren wird.

Du hast dich auch intensiv mit der Persönlichkeit Maihofers auseinandergesetzt. Wie lässt er sich charakterisieren?

Man nannte ihn den „sanften Riesen“:  Er hatte die Statur eines Leistungssportlers. Sportarten wie Skifahren, Tennis, Schwimmen oder Segeln waren seit der Kindheit in Konstanz Teil seines Alltags. Zeitweise gehörte er sogar dem deutschen Olympiateam im Eislaufen an. Die Zeit, die ihn diese Hobbies kosteten,  holte er wieder auf, indem er schon als Jugendlicher jeden Morgen um vier Uhr aufstand, um sich auf die Schule vorzubereiten und seine Hausaufgaben zu erledigen. Diesen disziplinierten Tagesrhythmus  behielt er auch als Professor und Minister, sogar bis ins hohe Alter, bei. Das „Sanfte“ war geprägt durch seine Vorliebe für Musik – er spielte Bratsche –  und sein frühes Interesse an der Philosophie.  Er war ein leidenschaftlicher Jurist und schon vor dem Eintritt in die FDP politisch engagiert. Zu den politischen Ereignissen in Deutschland bezog er schon als Professor öffentlich Stellung und nahm so aktiv Einfluss auf die Politik. Beispielsweise setzte er  sich während der Spiegel-Affäre 1962 mit einer Stellungsnahme in der FAZ vehement für Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit ein. Als Unirektor in Saarbrücken profilierte es sich dann durch sein offenes Ohr für den studentischen Protest, er diskutierte sogar öffentlich mit Rudi Dutschke.

Und wie war der Politiker Maihofer?

Als Politiker zeichnete ihn ein starker Glaube an das sozialliberale Projekt aus. Er passte sich kaum an die Anforderungen des politischen Tagesgeschäfts an, es fehlte ihm wohl auch an Machtinstinkt.  Stattdessen war es sein Ziel, abseits der Öffentlichkeit gemeinsam mit Willy Brandt Visionen für ein dauerhaftes Fundament zur Zusammenarbeit von FDP und SPD zu gießen.

Das Interview führte Daniela Kallinich.

Frauke Schulz ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt Politische Führung im deutschen Föderalismus. Im Februar erschien ihr Buch „Im Zweifel für die Freiheit“. Aufstieg und Fall des Seiteneinsteigers Werner Maihofer in der FDP im Ibidem-Verlag.