AfD Sachsen-Anhalt: Zwischen Partei und Bewegung

Beitrag verfasst von: Alexander Hensel
[analysiert]: Alexander Hensel über Entwicklung der AfD-Landespartei in Sachsen-Anhalt und ihren Landesparteitag in Dessau.

Das Gewerbegebiet von Dessau-Roßlau ist am Sonntagmorgen fast menschenleer. Hier trifft sich die AfD Sachsen-Anhalt am 9 September 2018 auf dem von hohen Mauern geschützten Gelände des „Golfparks Dessau“ zum Landesparteitag. Von der Gegendemonstration in der Fabrikeinfahrt auf der anderen Straßenseite ist im Veranstaltungssaal kaum etwas zu hören. Hier findet sich bis zum Mittag mit rund 300 Akkreditierten ein knappes Drittel der AfD-Mitglieder Sachsen-Anhalts ein. Auf der Tagesordnung steht die Wahl von Delegierten zur Europawahlversammlung der Bundespartei im November. Trotz heftiger interner Turbulenzen in den vergangenen Monaten ist die Stimmung bemerkenswert ruhig. Offene Konfrontationen werden weitgehend umschifft, der Ruf nach Einigkeit ist die Losung. Zugleich zeigt sich eine Balance zwischen notwendiger Professionalisierung der Partei und Fortführung der Bewegungspolitik.

Die Historie der struktur- und mitgliederschwachen, aber politisch höchst agilen AfD-Landespartei in Sachsen-Anhalt ist reich an Konflikten und Skandalen.[1] Nachdem die Partei im März 2016 mit einem Rekordergebnis von 24,3 Prozent als stärkste Oppositionsfraktion in den Magdeburger Landtag eingezogen war, mussten rasch Strukturen und Kompetenzen für die parlamentarische Arbeit aufgebaut werden. Der Prozess der Parlamentarisierung ging mit einer – für die Adoleszenzphase aufstrebender Parteien freilich nicht unüblichen – Kaskade teils brachialer Machtkämpfe einher. In diesen konnte sich André Poggenburg, der die AfD als regional hochpopulärer Spitzenkandidat durch den Landtagswahlkampf geführt hatte, als Landes- und Fraktionsvorsitzender durchsetzen.

Sein rabiater Führungsstil mündete allerdings in permanentem Zwist. Immer wieder kam es in der Fraktion zu internen Skandalen, heftigen Zerwürfnissen einstiger politischer Weggefährten und Austritten von Mandatsträgern.[2] Auch in der Landespartei bildeten sich harte Fronten heraus, die zumeist eher persönlich bzw. machtpolitisch als ideologisch motiviert waren. So verwunderte es Anfang des Jahres 2018 wenig, als Poggenburgs Gegner den bundesweit beachteten Skandal um seine fremdenfeindliche Aschermittwochsrede nutzten, um ihm als Fraktionsvorsitzenden das Vertrauen zu entziehen – woraufhin er auch sein Amt als Landesvorsitzender niederlegte.

Der Sturz Poggenburgs eröffnete Raum für Veränderungen. Nach den Landtagswahlen im März 2016 hatte zunächst die neue AfD-Landtagsfraktion die Landespartei dominiert. Als Vorsitzender von Landespartei und Landtagsfraktion hatte Poggenburg zentrale Führungspositionen der AfD in Sachsen-Anhalt besetzt. Überdies hatte der Aufbau der zunächst 25-köpfigen Landtagsfraktion die Ressourcen der 2016 noch relativ mitgliederarmen Landespartei zunächst förmlich aufgesogen, die organisatorische Konsolidierung des Landesverbandes stagnierte. Mit dem kontinuierlichen Wachstum der regionalen Mitgliedschaft auf aktuell etwa 950 Personen und dem Gewinn von vier Bundestagsmandaten im Herbst 2017 entstanden jedoch neue strukturelle Erfordernisse und Machtansprüche, die sich am neuen im Juni 2018 auf dem Magdeburger Parteitag gewählten Landesvorstand ablesen lassen.[3]

Erstens zeigt sich ein Bedeutungsgewinn der AfD-Bundestagsabgeordneten. Bei seiner Neuwahl auf dem Parteitag Anfang Juni in Magdeburg wurde der Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt zum neuen Vorsitzenden gewählt. Der ehemalige Berufssoldat, der nach Mitgliedschaften in der SPD, bei den Republikanern und in der FDP 2015 in die AfD eintrat, hatte sich im Bundestagswahlkampf 2017 mit donnernden Anklagen gegen Angela Merkel präsentiert und eine Ausrichtung der AfD als sozial-patriotische Volkspartei gefordert. Zu seinem ersten Stellvertreter wurde der Bundestagsabgeordnete Andreas Mrosek gewählt. Die AfD-Landtagsabgeordneten Matthias Büttner, Robert Farle, Hannes Loth und Willi Mittelstädt wurden dagegen nur als Beisitzer gewählt.

Zweitens hat sich der auf 13 Personen vergrößerte Landesvorstand auf dem Magdeburger Parteitag im Juni für aufstrebende Akteure geöffnet. So wurden mit Kay-Uwe Ziegler und Steffen Schroeder Vertreter der „Alternativen Mitte“ zum stellvertretenden Vorsitzenden bzw. Schriftführer gewählt. Neu im Vorstand ist ebenso die Landesschatzmeisterin Andrea Mähnert, die sich per Kampfabstimmung gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Parsemann durchgesetzt hatte. Das neu eingeführte Amt des Generalsekretärs, das auf eine weitere Professionalisierung der Landespartei hinweist, wurde mit dem Nachwuchspolitiker Gordon Köhler besetzt, der zugleich im Vorstand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ in Sachsen-Anhalt sitzt.

Drittens haben innerparteiliche rechtsnationale Netzwerke an direktem personellen Einfluss auf den Landesvorstand verloren. Dies gilt für die Kandidaten der „Patriotischen Plattform“ (PP), die dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek nahesteht. Bei den Vorstandswahlen im Juni scheiterten sowohl der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der zugleich als Sprecher der PP amtiert, als auch sein Verbündeter Jan Wenzel-Schmidt, Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation „Jungen Alternative“ (JA) in Sachsen-Anhalt. Zudem ist mit Poggenburgs Abgang die zuvor enge personelle Verbindung zum innerparteilichen Netzwerk „Der Flügel“ gekappt worden, das er bis zuletzt mit dem thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke angeführt hatte und das für die politische Rechtsentwicklung der AfD in den letzten Jahren von hoher Bedeutung war.[4]

Die somit insgesamt erkennbaren Tendenzen, die Führung des Landesverbands zu verbreitern und zu professionalisieren, stehen zugleich im Spannungsverhältnis zum traditionellen Selbstverständnis der AfD Sachsen-Anhalt als Bewegungspartei. Für die – in den vergangenen Jahren oft erstaunlich erfolgreiche – Mobilisierung von Protesten in Sachsen-Anhalt spielten „Der Flügel“, die PP und JA eine wichtige Rolle. Sie bildeten Brücken, aber auch offizielle Abstandshalter zwischen Fraktion, Partei und Protestakteuren, etwa aus der „Identitären Bewegung“. Nach dem Rückzug Poggenburgs und seinem überdies jüngst verkündeten Bruch mit dem „Flügel“[5], stellt sich die Frage, ob und wie die Bewegungspolitik der AfD in Sachsen-Anhalt organisatorisch neu justiert wird.

Fortgesetzt wird der von AfD-Landtagsabgeordneten praktizierte Ansatz, sich als „Anwalt der Bürger“ mit lokalen Protesten zu verbünden. Als Parlamentspartei steht die AfD dabei jedoch vor der Schwierigkeit, einen Umgang mit rechtsextremen Protestakteuren zu finden, wie auch der aktuelle Fall Köthen zeigt.[6] Um den Eindruck einer offenen Kooperation zu vermeiden, hielt die AfD-Landespartei zunächst offiziell Distanz zu den von Rechtsextremen organisierten Protesten. Zwar wurde in Dessau eine Schweigeminute für den gestorbenen Köthener abgehalten, jedoch darauf verzichtet, zur Demonstration im nur 20 Kilometer entfernten Ort zu mobilisieren, die von 2500 Personen besucht wurde. Erst am Folgetag organisierte die AfD in Köthen einen bewusst ruhig gehaltenen „Trauermarsch“, dem sich 550 Personen anschlossen – unter ihnen auch erkennbar rechtsextreme Aktivisten.[7] Am folgenden Wochenende zeigte die AfD Sachsen-Anhalt indes weniger Scheu. Mit Verweis auf die „hohe Bedeutung“ des Protests in Köthen „für die Zukunft unseres Landes“ mobilisierte die AfD zu einer weiteren Demonstration in Köthen – gemeinsam mit der Pegida-Bewegung, der sog. Ein-Prozent-Bewegung und dem Compact-Magazin.[8]

Jenseits der aktuellen Protestpolitik bereitet sich die AfD in Sachsen-Anhalt auf die im Mai 2019 parallel stattfindenden Europa- und Kommunalwahlen vor. Weil vor allem letzte für die regionale Konsolidierung von strategischer Bedeutung sind, sollen beide Wahlkämpfe auch inhaltlich miteinander verzahnt werden. So stellte der finanzpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Robert Farle in seiner Rede in Dessau eine Verknüpfung von Eurokritik und kommunalem Finanznotstand her. Aufgrund des Souveränitätsverlustes an die EU könnten die Bürger über ihr eigenes, aus der EU zurückfließendes Geld nicht mehr frei verfügen, sondern würden vom „goldenen Zügel in Brüssel“ abhängig. Daher könne man mit EU-Geldern zwar „energetische Sanierungen in Schulen durchführen, aber nicht unsere Schulen sanieren“, führte Farle unter Applaus der Mitglieder aus.

Alexander Hensel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und untersucht die Entwicklung der AfD im Zuge ihrer Parlamentarisierung. Er hat an mehreren Studien zur Entwicklung der Landespartei sowie der Landtagsfraktion mitgearbeitet.

 

[1] Zur Entwicklung der AfD Sachsen-Anhalt, vgl.: Hensel, Alexander; Pausch, Robert; Geiges, Lars; Förster, Julika: Die AfD vor den Landtagswahlen 2016. Programme, Profile und Potenziale. Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt a.M. 2016, hier S. 32.ff.

[2] Zur parlamentarischen Entwicklung der AfD im Magdeburger Landtag, vgl.: Hensel, Alexander; Finkbeiner, Florian; Dudek, Philip, Förster, Julika, Höhlich, Pauline: Die AfD vor der Bundestagswahl 2017. Vom Protest zur parlamentarischen Opposition, OBS-Arbeitsheft 91, Frankfurt a.M., hier S. 52ff.

[3] Vgl. Schumann, Jan: Martin Reichardt zum neuen Landeschef gewählt, in: mz-web.de, 9.8.18, URL: https://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/landespolitik/afd-parteitag-in-magdeburg-martin-reichardt-zum-neuen-landeschef-gewaehlt-30592720 sowie ders.: AfD-Basis schlägt zurück, in: ebd., 10.6.18, URL: https://www.mz-web.de/mitteldeutschland/afd-basis-schlaegt-zurueck-drei-prominente-rechtsaussen-bei-wahl-gedemuetigt-30597900 [eingesehen am 12.9.18]

[4] Vgl. Hensel et al. 2017, S. 9 f. a.a.O.

[5] Vgl. Schumann, Jan: Poggenburg verlässt den Flügel, in: mz-web.de, 6.8.18, URL: https://www.mz-web.de/sachsen-anhalt/landespolitik/bruch-mit-bjoern-hoecke-andr%C3%A9-poggenburg-verlaesst-den–fluegel—31070244 [eingesehen am 12.9.18]

[6] Vgl. Bender, Justus; Niendorf, Tim: Wer Gleiches denkt, gesellt sich gern, in: FAZ.net, 11.9.2018, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/koethen-chemnitz-und-die-afd-wer-gleiches-denkt-gesellt-sich-gern-15783138.html [eingesehen am 12.9.18]

[7] Vgl. Bender/Niendorf, a.a.O.

[8] Bartl, Matthias: Großdemo am Sonntag, in: mz-web.de, 13.9.2018, URL: https://www.mz-web.de/koethen/grossdemo-am-sonntag–zukunft-heimat–ist-anmelder–afd-und-pegida-schliessen-sich-an-31259630 [eingesehen am 15.9.2018].