Die AfD in Niedersachsen: Profil, Wählerschaft und soziokulturelle Einbettung

[präsentiert]: Florian Finkbeiner und Niklas Schröder mit Studienergebnissen zum Sozialprofil und den politischen Einstellungen von AfD-Wählern in Niedersachsen.

Der elektorale Erfolg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gibt weiterhin Rätsel auf. Bis vor kurzer Zeit hielt sich hartnäckig das Wunschdenken, die neue Rechtsaußenpartei werde das gleiche Schicksal ereilen wie zuvor die Piraten-Partei, die nach einem kurzen Aufflackern relativ schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit versank. Doch entgegen dieser Erwartung konnte sich die AfD weitgehend im Parteiensystem etablieren, ihr gelang schließlich der Einzug in den Bundestag und alle Landtage, teilweise sogar als zweitstärkste politische Kraft.

Während die politische Öffentlichkeit deshalb zuletzt erschrocken auf die hohen Wahlergebnisse der AfD in Thüringen, Brandenburg und Sachsen reagierte, scheint man in Niedersachsen ob der lediglich einstelligen Prozentpunkte für die AfD im Land bislang relativ unbesorgt. Jedoch kann diese Haltung trügerisch sein. Schließlich findet sich auch zwischen Göttingen und Aurich kaum ein Landkreis, in dem die AfD die wichtige Fünf-Prozent-Hürde bei den letzten Wahlen nicht überschreiten konnte. Zudem: Die vergangenen Ergebnisse bei den Bundestags-, Landtags- oder Europawahlen sind nur ein Baustein in der Betrachtung des langfristigen Potenzials der Partei in Niedersachsen. Denn auch abseits von Prognosen und Wahlergebnissen dürfte kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass sich das politische Klima – nicht nur, aber eben auch – in Niedersachsen in den letzten Jahren verändert hat. Die AfD als Wahlpartei ist dafür zentraler Indikator und zugleich Ausdruck für diese gesellschaftlichen Veränderungen und den möglichen Mentalitätswandel. Die Wahl der AfD ist zunächst einmal vor allem ein gesellschaftliches, kulturelles und soziales Symptom. Schließlich gehen dem Wahlverhalten und sichtbaren Veränderungen im Parteiensystem in der Regel langjährige Verschiebungen im politischen Fühlen und Denken der Bürger voraus.[1]

Grund genug, sich dem Profil der Partei, den Vorstellungswelten ihrer Wählerschaft und ihrer soziokulturellen Einbettung im Land zu widmen, um einen Eindruck der Entwicklungschancen der AfD zu erhalten. Der FoDEx-Arbeitsbereich Rechtsradikalismus hat nun erstmals für Niedersachsen Daten und Material zusammengetragen, um systematisch zu untersuchen, von wem die AfD in Niedersachsen unterstützt wird, wo sie gewählt wird, worin die Ursachen hierfür liegen und welche Wahlmotive sich dahinter verbergen können. Die Basis für diese Analyse stellt der Niedersächsische Demokratie-Monitor (NDM) 2019 dar.[2] In dieser repräsentativen Umfrage wurden die Politik- und Gesellschaftsvorstellungen der niedersächsischen Bevölkerung untersucht. Das hierfür erhobene Material wurde nun ausführlicher unter dem Gesichtspunkt des politischen Wählerpotenzials der AfD in Niedersachsen analysiert.

Parallel zu dieser Sekundärauswertung wurden hypothesengeleitet andere aktuell diskutierte Erklärungsansätze für die AfD-Wahl aufgegriffen und für den Niedersachsen-Fall empirisch überprüft. Gerade hier hat sich gezeigt, dass in der Öffentlichkeit kursierende Vermutungen wie etwa die Modernisierungsverlierer- oder die Protestwähler-These viel zu kurz greifen. In systematisch-vergleichender Perspektive wurden auch Daten anderer Umfragen und statistischer Erhebungen in die Analyse miteinbezogen, um dabei auch die Fragen zu beantworten, wo die Partei in Niedersachsen aus welchen Gründen elektoral mehr oder weniger Erfolg hat und welches sozioökonomische und soziokulturelle Profil den AfD-Wähler in Niedersachsen auszeichnet.

Die nun vorliegende Studie Die AfD und ihre Wähler in Niedersachsen. Eine Fallanalyse zum Sozialprofil der Wählerschaft und ihrer politischen Einstellungen am Beispiel von Niedersachsen kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen, die hier schlaglichtartig pointiert zusammengefasst werden:

1.) Es gibt nicht den AfD-Wähler, zumindest gibt es in Niedersachsen kaum Anzeichen dafür, dass sich die AfD-Wählerschaft hinsichtlich ihrer Sozialstruktur und politischen Einstellungen besonders von anderen Partei-Wählern unterscheidet. Der Vergleich der Daten aus dem NDM offenbart stattdessen nur in wenigen Fragestellungen (Ausnahme ist etwa die Problemwahrnehmung der Migration) einen bedeutenden Unterschied im Blick auf Politik und Gesellschaft zwischen den Wählern der AfD und denen der etablierten politischen Kräfte.

2.) Da die Unterschiede zwischen den AfD-Wählern und anderen Wählern in vielen Punkten keineswegs so groß sind, wie oftmals – etwa in Bezug auf das Demokratieverständnis und das politische Partizipationsniveau – suggeriert wird, gehen wir davon aus, dass die AfD-Unterstützung vorrangig aus soziokulturellen, mentalen und habituellen Motiven resultiert.

3.) Die Analyse der statistischen Datensätze hat gezeigt, dass die AfD in allen gesellschaftlichen Gruppen und in allen geografischen Gebieten von Niedersachsen Zuspruch findet. Die Partei wird aber tendenziell vor allem in Regionen gewählt, die a.) zuvor eine relativ niedrige Wahlbeteiligung hatten, b.) in der ein relativ hohes Maß an Arbeitslosigkeit herrscht und c.) die eher protestantisch geprägt sind oder in denen ein relativ hoher Anteil an Konfessionslosen lebt.

4.) Die AfD in Niedersachsen ist keine politisch homogene Partei. Sie versammelt in programmatischer Hinsicht verschiedene politische Versatzstücke und ist daher tendenziell zwischen nationalkonservativ, deutschnational und rechtsradikal einzustufen. Sie ist keine bürgerlich-konservative Partei, aber sehr wohl eine Partei mit konservativen Mitgliedern und vor allem bürgerlich-konservativen Wählern.

5.) Die AfD hat sich etabliert: Aufgrund der primär kulturellen und habituellen Unterschiede zwischen den AfD-Wählern und den Wählern der anderen Parteien bedeutet eine weiterführende Radikalisierung der Partei keineswegs ein potenziell schwindendes Wählerreservoir. Ob die AfD ihr elektorales Potenzial bereits erschöpft hat, wird also nicht nur von ihrer eigenen parteipolitischen Entwicklung abhängen, sondern vor allem von den Reaktionen und dem Umgang der anderen Parteien mit der AfD, und davon, ob die Politikangebote von CDU, SPD und Grünen an das bürgerliche Lager als ausreichend wahrgenommen werden, um den Verheißungen der AfD dauerhaft zu widerstehen.

 

Florian Finkbeiner und Niklas Schröder arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung und in der Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx). Die Studie „Die AfD und ihre Wähler in Niedersachsen. Eine Fallanalyse zum Sozialprofil der Wählerschaft und ihrer politischen Einstellungen am Beispiel von Niedersachsen“ steht hier zum freien Download bereit.

 

[1] Vgl. Schenke, Julian; Finkbeiner, Florian; Neumann, Amelie: Das Potenzial der Cleavage-Perspektive. Wahlverhalten als Oberflächenphänomen der politischen Kultur, in: Demokratie-Dialog 6/2020, S. 2-11.

[2] Vgl. Marg, Stine; Finkbeiner, Florian; Kühnel, Steffen; Dermitzaki, Efpraxia: Niedersächsischer Demokratie-Monitor (NDM) 2019, FoDEx-Studie Nr. 2/2019, Göttingen 2019.