[analysiert:] Teresa Nentwig über die „Neue Antikapitalistische Partei“ in Frankreich
Im Frühjahr 2009 wurde die Parteienlandschaft in Frankreich aufgewirbelt. Die „Kommunistische Revolutionäre Liga“ (LCR), seit 1974 Sammelbecken der Trotzkisten, beschloss ihre Auflösung und ging in einer neuen Partei auf: der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (Nouveau Parti Anticapitaliste, NPA). Der Anstoß dafür war insbesondere von jungen, häufig hochgebildeten Linken ausgegangen, die z. T. beruflich in prekären Beschäftigungsverhältnissen standen. Sie hatten einen hehren Anspruch: Die NPA sollte neue Wählerschichten hinzugewinnen und zu einer machtvollen Sammlungsbewegung links neben der Sozialdemokratie ausgebaut werden.
Die Voraussetzungen dafür waren gegeben: Erstens verfügte die neue Partei über einen jungen, charismatischen Anführer: Olivier Besancenot. Der 37-Jährige arbeitete als Briefträger und gab sich als Mensch wie du und ich, als Anwalt der kleinen Leute. Wurden Fabriken bestreikt, war er vor Ort; demonstrierten Arbeitnehmer für ihre Rechte, marschierte er an vorderster Stelle mit. In politischen Talkshows trat er äußerst eloquent auf. Als die NPA im Februar 2009 gegründet wurde, galt er als „neuer Star der Linken“ (FAZ), als „Medienstar“ (FAZ), ja gar als „überzeugendster Gegner Sarkozys“ (Spiegel Online). Bei zwei Präsidentschaftswahlen – 2002 und 2007 – hatte Besancenot bereits unter Beweis gestellt, dass er zu Höherem fähig ist. Damals noch als Kandidat der Kommunistischen Revolutionären Liga, hatte er 4,25 bzw. 4,08 Prozentpunkte geholt – verglichen mit anderen linken Kandidaten waren das durchaus respektable Ergebnisse. 2007 beispielsweise übertraf Besancenot bei weitem die Präsidentschaftskandidatinnen der Kommunisten und der Grünen. Marie-George Buffet erhielt lediglich 1,93 Prozent der Stimmen; Dominique Voynet kam gar nur auf 1,57 Prozentpunkte.
Zweitens kamen der NPA im Frühjahr 2009 die Zeitumstände entgegen. Damals kochte in Frankreich der Zorn hoch. Die weltweite Wirtschaftskrise hatte eine Welle von Massenentlassungen und Fabrikschließungen hervorgerufen. Während Millionen Franzosen ihren Unmut bei großen Streiktagen auf die Straße trugen, griffen manche Arbeiter auf radikalere Maßnahmen zurück: In einigen Konzernen wurden Manager vorübergehend als Geisel genommen. In dieser Situation stießen die Forderungen von Olivier Besancenot auf fruchtbaren Boden. Er rief zu einem unbefristeten Generalstreik auf, um der „Klassenpolitik der Regierung“ ein Ende zu setzen. Immer mehr Franzosen sahen in dem jungen Trotzkisten einen ernst zu nehmenden Vertreter ihrer Interessen. In Beliebtheitsumfragen lag Besancenot gar mit 59 Prozent ein Dutzend Punkte vor dem Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Mit anderen Worten: Alles deutete darauf an, dass sich die etablierten Parteien warm einpacken müssten.
Insbesondere der dahinsiechenden Sozialdemokratie drohte damals ein ernsthafter Konkurrent zu erwachsen. Damit wäre der dritte Punkt erwähnt, der im Frühjahr 2009 für die NPA sprach. Zu einer Zeit, in der sich die Sozialistische Partei (PS) in der wohl größten Krise seit ihrem Bestehen befand, trat die NPA mit dem Ziel an, den Platz links von ihr zu erobern. Den beiden anderen linksradikalen Parteien – der schwächelnden „Kommunistischen Partei“ (PCF) und der erst im November 2008 entstandenen „Linkspartei“ (PG) – boten die Trotzkisten politische Bündnisse an, vorausgesetzt, sie verzichteten grundsätzlich auf jede Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei. Enttäuschte Sozialdemokraten und Kommunisten, die zu einem neuen Linksbündnis abwandern – diese Gefahr war damals durchaus real.
Doch es kam alles anders – heute befindet sich die NPA in einer fundamentalen Krise. Anzeichen, dass sich daran etwas ändern könnte, gibt es derzeit kaum. Die Ursachen für diesen Absturz eines Hoffnungsträgers sind vielfältig. Zunächst war der NPA eine starke Konkurrenz erwachsen: Die Kommunistische Partei und die Linkspartei hatten sich für die Europawahl im Juni 2009 zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen. Die NPA besaß zwar die Möglichkeit, dieser Allianz beizutreten, aber die Parteiführung entschied sich letztlich dagegen – und bekam die Quittung. Denn die „Linksfront“, wie sich das Wahlbündnis nannte, holte bei der Europawahl 6,47 Prozent der Stimmen; die NPA hingegen kam nicht über 4,88 Prozentpunkte hinaus. Die ursprünglich nur vor die Europawahl vorgesehene „Linksfront“ existiert noch immer und wird auch zur Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2012 mit einem eigenen Kandidaten antreten.
An dieser Stelle wird bereits ein Dilemma der NPA deutlich: Sie war mit dem Ziel angetreten, die radikale Linke zu vereinen. Passiert ist jedoch das Gegenteil: Aufgrund ständiger innerparteilicher Differenzen über den zukünftigen Kurs zog sich die Partei zurück und wurde zu einer Einzelgängerin. Währenddessen bauten die Kommunistische Partei und die Linkspartei ihr Wahlbündnis aus und verliehen diesem immer stärkere Konturen. Hinzu kamen punktuelle Ereignisse, die sich negativ auf die Entwicklung der NPA auswirkten. Als etwa zu den Regionalwahlen im Frühjahr 2010 eine junge Frau mit Kopftuch für die NPA kandidierte, schrillten bei vielen Parteimitgliedern und Führungsfiguren die Alarmglocken – die Kandidatur einer Schleier tragenden Frau galt in einer Partei, die sich vehement feministisch gibt, als Tabubruch.
Schließlich: Olivier Besancenot erwies sich nicht als der messianische Führer, für den er anfangs gehalten wurde. Zerrieben im Streit der Führungszirkel, zog er sich Anfang Mai 2011 zurück: Bei der kommenden Präsidentschaftswahl werde er nicht mehr als Kandidat der NPA antreten, teilte er seiner Partei schriftlich mit. Die NPA verlor damit ihren „natürlichen Kandidaten“ und ging weiter ihrem Niedergang entgegen. Denn es war vor allem Besancenot, der die Wähler interessierte, nicht die NPA, wie der Politikwissenschaftler Vincent Tiberj in diesem Zusammenhang betonte. Die NPA – das war lange Zeit die „Partei des Olivier“. Damit hatte es nun ein Ende.
Bereits Ende Juni 2011 kürte die NPA einen neuen, parteiintern jedoch heftig umstrittenen Präsidentschaftskandidaten: Philippe Poutou erhielt 53 Prozent der Delegiertenstimmen und trat damit die Nachfolge des „roten Briefträgers“ an. Für den 44-jährigen Gewerkschafter und Beschäftigten im Automobilbereich wird es in den nächsten Monaten nicht einfach werden: Die NPA ist in zwei Gruppen zersplittert. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die revolutionär orientiert sind und den politischen Alleingang für die einzig richtige Strategie halten. Auf der anderen Seite befinden sich die Anhänger eines gewissen Pragmatismus: Unter bestimmten Bedingungen sehen sie eine Allianz mit der „Linksfront“ für möglich. Hinzu kommt der Mitgliederschwund, mit dem die NPA konfrontiert ist. Von einstmals rund 9.000 Mitgliedern sind nur noch etwa 6.000 übrig geblieben. Und schließlich: In den Umfragen liegt die NPA derzeit lediglich bei 0,5 Prozent. Die allergrößte Herausforderung besteht aktuell allerdings daran, eine Voraussetzung für die Bewerbung um das Präsidentenamt zu erfüllen: die Sammlung von 500 Unterschriften gewählter Politiker. Kein leichtes Unterfangen, denn die NPA verfügt über fast keinen einzigen lokalen Mandatsträger (z. B. Bürgermeister). Doch erst wenn die 500 Unterschriften zusammen sind, kann Poutou überhaupt zur Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2012 antreten.
In den nächsten Monaten dürfte sich also die Zukunft der NPA entscheiden. Sicher ist schon jetzt: Die NPA ist ein Sinnbild im stark fragmentierten und polarisierten Parteiensystem Frankreichs. Mit Ausnahme der Sozialistischen Partei und der Kommunistischen Partei sind die französischen Parteien nämlich äußerst fragile Gebilde. „Sie ändern häufig ihren Namen, spalten und vereinen sich, lösen sich auf und gründen sich neu.“ [1] Links der Sozialisten gab es in Frankreich immer mehrere kleine Gruppierungen, die sich mal mit mehr, meist aber eher mit weniger Erfolg zu positionieren suchten.
Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Höhne, Roland: Das Parteiensystem Frankreichs, in: Niedermayer, Oskar/Stöss, Richard/Haas, Melanie (Hrsg.): Die Parteiensysteme Westeuropas. Wiesbaden 2006, S. 161-187, hier S. 162.