100 Jahre Frauenwahlrecht

[präsentiert]: Jeanina Fischbach über den (noch) langen Weg zur Gleichberechtigung

„Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ Dieser revolutionäre Satz, geprägt durch Elisabeth Selbert, wurde erst 1949 mit Artikel 3 des Grundgesetzes in die Verfassung aufgenommen[1]. Doch diesem historischen Ereignis auf dem Weg zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ging ein jahrzehntelanger Kampf der Frauenbewegung voraus.

Einer der wichtigsten Schritte zur Gleichberechtigung der Geschlechter war der Erfolg im Jahre 1918: Am 12. November proklamierte der Rat der Volksbeauftragten das künftige demokratische, allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht aller und damit sowohl die Möglichkeit der Frauen erstmals selbst wählen zu gehen (aktives Wahlrecht), als auch das Recht, sich als Kandidatin aufstellen zu lassen, also wählbar zu sein (passives Wahlrecht). Dieser historische Moment und sein 100-jähriges Bestehen werden dieses Jahr vielerorts durch Jubiläumsveranstaltungen gefeiert.

Der Kampf um das Wahlrecht

Bereits im 19. Jahrhundert setzten sich viele Frauen und Frauenvereine für ihre politischen Rechte ein. So beispielsweise Louise Otto-Peters, Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung, die sich bereits 1848 für ein Wahlrecht der Frauen aussprach. Auch die feministische Theoretikerin Hedwig Dohm verfasste 1876 mit ihrem Werk „Der Frauen Natur und Recht“ ein flammendes Plädoyer für das Frauenwahlrecht. Sie vertrat darin die Auffassung, dass Menschenrechte kein Geschlecht hätten und schuf damit die Grundlage für die organisierte Frauenbewegung ab den 1890er Jahren. Diese wurde jedoch durch die geltenden Vereinsgesetze eingeschränkt, die es Frauen seit 1850 untersagten, sich politisch zu betätigen oder zu versammeln. Als diese Verbote 1908 aufgehoben wurden, unterlagen Frauen keinen derartigen Sonderbestimmungen mehr. Von nun an konnten sie Mitglied in politischen Parteien werden und sich politisch engagieren[2].

Dies rief die sogenannten „Anti-Feministen“ auf den Plan, die sich ab 1912 im „Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ organisierten. Ihrer Ansicht nach war die Frau generell ungeeignet für die politische Arbeit, ihr fehle die intellektuelle Voraussetzung für Politik. Frauen drohe bei geistiger Anstrengung ein „Zusammenbruch ihrer Kräfte.“ Zudem fürchteten sie sich vor der Schwächung der sexuellen Potenz der deutschen Männer und forderten: „Echte Männlichkeit für den Mann, echte Weiblichkeit für die Frau.“[3]

Der erste Weltkrieg beendete zunächst die feministischen Bestrebungen. Ab 1917 jedoch formierte sich ein so bisher noch nicht dagewesenes, breites Frauenbündnis, das den Kampf für das Frauenwahlrecht wiederaufnahm. Ausgelöst wurde diese aktive Kampfphase durch die Osterbotschaft des deutschen Kaisers Wilhelm II., der zwar eine Wahlrechtsreform versprach, dabei jedoch mit keinem Wort auf das Thema Frauenwahlrecht zu sprechen kam. In der Folge  nahmen die Frauen die eingeschlafene Stimmrechtsarbeit wieder auf, organisierten Petitionen,  Versammlungen und Sonderschriften. Der Oktober 1918 war geprägt von große Demonstrationen und Kundgebungen in Berlin, Hamburg und München. Mit der Novemberrevolution am 9. November wurde die Republik ausgerufen und drei Tage später zeigte die Arbeit jahrzehntelanger Bemühungen durch die Frauenbewegung Erfolg. Am 12. November wurde das demokratische Wahlrecht verkündet und am 30. November trat die Verordnung über die Wahl zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung in Kraft. Von nun an galt: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens zwanzig Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“ Dies gilt vielen als die Geburtsstunde der vollständigen Demokratie in Deutschland.[4]

Frauen in der Politik

Die Wahl zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 war die erste reichsweite Wahl, in der Frauen ihr aktives und passives Wahlrecht wahrnehmen konnten. 82% der Frauen machten davon Gebrauch. In der Folge zogen 37 Frauen ins Parlament ein, was einem Anteil von 9% aller Sitze entsprach. Unter ihnen befand sich auch die Sozialdemokratin Marie Juchacz, die nicht nur weiblich, sondern auch noch geschieden und alleinerziehend war und als erste Abgeordnete eine anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Frauenwahlrechts häufig zitierte Rede vor der Nationalversammlung hielt.[5] Mit der Anrede „Meine Herren und Damen“ löste sie laut Protokoll „Heiterkeit“ aus. „Ich möchte hier feststellen, und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“[6]

Das Frauenwahlrecht alleine konnte jedoch damals wie heute keine allgemeine Gleichberechtigung bringen. Es etablierte sich vielmehr eine politische Arbeitsteilung, durch die Frauen auf bestimmte Politikbereiche festgelegt wurden. So kann die Bundesrepublik bis heute keine Finanzministerin verzeichnen (die einzige Ausnahme bildet die DDR-Finanzministerin Uta Nickel), wohingegen die Position als Bundesminister*in für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, welche in dieser Form seit 1994 besteht, durchgehend von Frauen besetzt wurde. Dennoch war das Frauenwahlrecht einer der ersten wichtigen Schritte, der die politische Landschaft des Landes in Richtung Gleichberechtigung veränderte.

Im internationalen Vergleich führte Deutschland das Frauenwahlrecht sogar verhältnismäßig früh ein. Den Start machte Neuseeland 1893 (nur passives Wahlrecht), gefolgt von Australien 1902. In Australien galt das Wahlrecht jedoch nur für weiße Frauen und Männer, während Aboriginal Australians erst 60 Jahre später zur Wahl zugelassen wurden. In Europa machte Finnland 1906 den Anfang, danach folgten Norwegen im Jahre 1913, Dänemark und Island 1915 und Estland im Jahr 1917. Die Schweiz (1971), Portugal (1976) und Lichtenstein (1984) belegen europaweit die letzten Plätze in Sachen Frauenwahlrecht.[7]

Doch auch 100 Jahre später ist die Verteilung im Bundestag nicht paritätisch – im Gegenteil, die Tendenz ist derzeit vielmehr rückläufig. So ist der Frauenanteil im Bundestag nach der Wahl 2017 im Vergleich zum letzten Bundestag sogar um über 5% gesunken. Heute beträgt der Frauenanteil nur 30,9% und ist damit so gering wie zuletzt 1998. Im Vergleich dazu: Der weltweit höchste Wert liegt bei einem Frauenanteil von 61,3% im nationalen Parlament von Ruanda. Der geringe Frauenanteil im deutschen Bundestag wird von manchen als Effekt eines „Rechtsrucks“ interpretiert und auf den niedrigen Frauenanteilen in den Fraktionen der AfD (10,6%) und der FDP (22,5%) zurückgeführt. Die SPD dagegen kommt auf einen Frauenanteil von 42 Prozent, die Linken auf 54 Prozent und die Grünen sogar auf 58 Prozent.[8]

Die Geschichte zeigt uns, wie langwierig Reformen sind. Der Weg der Gleichberechtigung ist ein weiter und ein bis heute noch nicht abgeschlossener Weg. Oder um es mit den Worten der Bundeskanzlerin in ihrer Festrede zum 100-jährigen Jubiläum des deutschen Frauenwahlrechts am 12. November 2018 auszudrücken:

„Diese Frauen [Frauen wie Marie Juchacz und Hedwig Dohm] haben ja nicht etwa nur für das Recht einer Gruppe, einer bestimmten Klientel gekämpft, sondern sie haben einfach für ein Menschenrecht gekämpft. Es ging und es geht immer wieder um die Gleichwertigkeit eines jeden Menschen. Nur eine Gesellschaft, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern lebt, kann insofern eine gerechte Gesellschaft sein. Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, dass Frauen und Männer Erwerbs-, Erziehungs- und Hausarbeit gleichberechtigt aufteilen und niemand aufgrund seines Geschlechts in eine bestimmte Rolle oder Aufgabenverteilung gedrängt wird. Und ich wünsche mir, dass das alles nicht weitere 100 Jahre auf sich warten lässt. Denn die Gleichstellung von Frau und Mann ist ein wichtiger Indikator dafür, ob und wie gerecht eine Gesellschaft ist.“[9]

Jeanina Fischbach war studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung und absolviert derzeit ein Praktikum bei der zivilen Gleichstellungsstelle der Universität der Bundeswehr München.

[1]Für eine Einführung in Selberts Verdienst zur Einführung des Gleichheitsgrundsatzes, siehe: Prantl, Heribert: Wachkorbweise Post für die Gleichberechtigung, in: Süddeutsche Zeitung, 12.08.2018, URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-waschkorbweise-post-fuer-die-gleichberechtigung-1.4090611 [eingesehen am 26.11.2018].

[2]Wolff, Kerstin: Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/geschichte-des-frauenwahlrechts-deutschland [eingesehen am 26.11.2018].

[3]Waechter, Johannes: Mutige Frauen, dämliche Männer. Vor hundert Jahren wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Dem ging ein jahrzehntelanger, heftiger Streit voraus, den wir hier einmal anders nacherzählen – als Quiz mit 31 Fragen, in: Süddeutsches Magazin, 08.11.2018, URL: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/frauen/mutige-frauen-daemliche-maenner-86339 [eingesehen am 26.11.2018].

[4]Wolff, Kerstin: Auch unsere Stimme zählt! Der Kampf der Frauenbewegung um das Wahlrecht in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 42 (2018). S. 11-19, hier S.18.

[5]Roth, Johanna: Geschieden, alleinerziehend, Sozialdemokratin. Marie Juchacz war die erste weibliche Abgeordnete, die eine Rede im Parlament hielt. Und sie war viel mehr als das: 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts verrät ihre Biografie auch etwas über die Krise ihrer Partei, der SPD, in: taz, 10./11.11.2018.

[6]Deutscher Bundestag: Dokumente. Vor 95 Jahren: Erste Rede einer Frau im Reichstag. URL: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/49494782_
kw07_kalenderblatt_juchacz/215672
[eingesehen am 26.11.2018].

[7]Richter, Hedwig: Demokratiegeschichte ohne Frauen? Ein Problemauftriss, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 42 (2018), S.4-10, hier S.10.

[8]Abels, Gabriele/Ahrens, Petra/Blome, Agnes: Geschlechergerechte Repräsentation in historischer und internationaler Perspektive, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 42 (2018), S.28-, 36, hier S.30f.

[9]Angela Merkel, Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Festveranstaltung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ am 12. November 2018, URL: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-bei-der-festveranstaltung-100-jahre-frauenwahlrecht-am-12-november-2018-1548938 [eingesehen am 26.11.2018].