„Freiwilliges Engagement“, eigenständige Kooperationen von Bürgern in Initiativen und Vereinen sowie eine starke „Zivilgesellschaft“ gelten gemeinhin als wichtige Komponenten einer funktionierenden, stabilen Demokratie. Doch allmählich werden Zweifel an dieser basalen Annahme laut. In jüngster Zeit ist gerade auf der politisch extrem rechten Seite der Gesellschaft ein rasanter Zuwachs von freiwilligen Zusammenschlüssen zuvor eher inaktiver Bürger zu beobachten, die sich nun kollektiv artikulieren, zu Kundgebungen aufrufen, kurz: ein hohes Engagement an den Tag legen, das der Verteidigung von „Volk“, „Nation“, „Heimat“ und „Identität“ dient.
Im Zuge der Protestbewegung PEGIDA wird dieses Dilemma der Zivilgesellschaft besonders deutlich. Noch im Sommer 2015 waren sich Experten und mediale Beobachter einig: Die Dresdener Proteste hätten sich tot gelaufen. Doch verschwunden war PEGIDA nie, und die entgegen der einstigen Prognosen weiterhin stabilen Teilnehmerzahlen widerlegen solche Einschätzungen. Mehr noch: Das Gesicht von PEGIDA hat sich seit dem Winter 2014/15 – als das Institut für Demokratieforschung erstmals das Phänomen erforscht hat – verändert. Aggressiver, radikaler und selbstbewusster treten die „Europäischen Patrioten“ nunmehr auf. Die Persistenz von PEGIDA und ähnlichen Protestphänomenen wirft Fragen über mögliche Strukturveränderungen der politischen Kultur und einen Wandel gesellschaftlicher Mentalitätsströme in der Bundesrepublik auf: Hat PEGIDA „Wirkung“ gezeigt und Einstellungsmuster in der Bevölkerung verändert?
Aktuelle Erhebungen des Instituts für Demokratieforschung weisen darauf hin, dass vor allem jugendliche PEGIDA-Aktivisten durch radikalere Einstellungsmuster im Sinne einer größeren Distanz zur Demokratie geprägt sind. Überdies findet sich unter ihnen die stärkste Ablehnung gegen Ausländer in der unmittelbaren Nachbarschaft. Hat PEGIDA die junge Generation in Dresden und Sachsen politisch beeinflusst? Konnte die Bewegung Stereotype prägen, Pauschalisierungen etablieren und Aggressionen schüren, die bei Jugendlichen eine nachhaltige Wirkung zeitigen? Haben sich Haltungen und Diskurse vornehmlich in Dresden und Sachsen verändert, während in anderen Regionen Deutschlands abweichende Muster erkennbar sind? Welche Position nehmen die zahlreichen so genannten „Nein-zum-Heim“-Kampagnen und „Bürgerwehren“ ein, die sich explizit auf PEGIDA, deren Parolen und Statements, berufen? Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass sich gerade in diesen Kampagnen vermehrt junge Menschen zusammenfinden.
Insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Integrationsaufgaben wird nicht nur neu über eine gesamtgesellschaftliche Identität verhandelt, sondern auch über die Identität einzelner Gruppen in der Gesellschaft. Die Befürchtung, dass der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ schwinden könnte, wir einer drohenden Polarisierung, gar Spaltung, ausgesetzt seien, ist momentan allgegenwärtig. Welche Selbst- und Fremdbilder werden unter den Jugendlichen gegenwärtig transportiert und zum Ausdruck gebracht? Wie beschreiben sie ihr Weltbild, die Werte, die dieses strukturieren? Sehen sie durch die aktuelle Situation eine Veränderung ihres Umfelds? Welches Bild von anderen Gruppen, speziell Flüchtlingen und Muslimen, zeichnen sie? Welche Rolle spielt im Kontrast dazu und allgemein die von PEGIDA kolportierte „deutsche Identität“ in dieser Debatte, welche möglichen Anknüpfungspunkte für junge Menschen werden offeriert?
Um die Wirkung von PEGIDA auf die junge Generation systematisch ausleuchten zu können, werden Fokusgruppeninterviews mit Jugendlichen aus den Räumen Dresden und Leipzig durchgeführt. Daneben sind teilnehmende (Langzeit-)Beobachtungen von Bürgerinitiativen und Interviews mit ihren (jungen) Protagonisten ebenso geplant wie die beständige Auswertung des Dialogs von PEGIDA mit Anhängern und Öffentlichkeit, um dominante Metaphern und Narrative zu identifizieren.
Das Institut für Demokratieforschung hat PEGIDA von Beginn an begleitet und knüpft mit dem Projekt an diese Vorarbeiten an.