Wie unzeitgemäß Adenauer heute wäre

[kommentiert]: Stephan Klecha über die deutsche Kanzlerdemokratie

Am kommenden Sonntag wird mal wieder ein so genanntes Doku-Drama in die Wohnstuben gesendet. „Stunden der Entscheidung“ wendet sich dem Leben und der Kanzlerschaft von Konrad Adenauer zu. Wahrscheinlich werden etliche dabei mal wieder aufseufzen und aussprechen, dass früher alles besser gewesen sei. Adenauer sei noch ein echter Kerl gewesen, nicht so wetterwendisch wie Merkel und nicht so bürokratisch nüchtern wie die Steinbrücks oder Steinmeiers. Abgesehen davon, dass Verklärung selten gut tut, ist es natürlich richtig, dass der erste Nachkriegskanzler Maßstäbe setzte, die mit dem Signum der Kanzlerdemokratie zu Recht Eingang in die Politikwissenschaft und die Zeitgeschichte gefunden haben.

Die Dominanz des Kanzlerprinzips, die Personalisierung der politischen Auseinandersetzung, die Führung der größten Regierungspartei, der betont starke Gegensatz zur Opposition und das besondere Engagement des Kanzlers in der Außenpolitik waren die Merkmale dieses Regierungsstils, der vielen bis heute als ideale Blaupause für Kanzlerschaften schlechthin gilt. Freilich würde das heute alles nicht mehr so einfach funktionieren. Und auch am Ende von Adenauers Amtszeit stellten sich die Grenzen der Kanzlerdemokratie heraus. Zudem verkörperte Adenauer ja gerade all das, was gleichermaßen so abschreckend und reizvoll an der Politik wirkt. Je nachdem, wie man es wendet, mag man dann in ihm einen beschlagenen Machtpolitiker, einen intriganten Anführer, einen restaurativen Konservativen oder einen radikalen Modernisierer sehen.

Mit Charme, Härte, Raffinesse, plumpen Lügen und indirekten Drohungen hatte er sich im Alter von 73 Jahren an die Spitze der Regierung platziert und hielt sich dort immerhin 14 Jahre lang. Politischer Aufstieg und Verweildauer im Amt waren seiner Fähigkeit zuzuschreiben, dass er ein Meister darin war, widerstreitende Interessen knallhart gegeneinander auszuspielen. Verletzungen und Narben blieben dabei vor allem beim Wirtschaftsminister, Ludwig Erhard, zurück. Ein ums andere Mal würdigte er gerade diesen herab, hinterging ihn in wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen, umgarnte ihn dafür, wenn er Erhard dann in Wahlkampfzeiten brauchte. Auch mit seinen anderen Ministern, seinem Koalitionspartner und nicht zuletzt mit seiner eigenen Partei sprang er alles andere als zimperlich um.

Man ahnt es bereits, die Kanzlerschaft Adenauers als auch deren Ausgestaltung war an Voraussetzungen gebunden, die seinen Nachfolgern so nicht mehr gegeben waren. Obwohl der alte Herr über eine beachtliche physische wie psychische Konstitution verfügte, ist es wohl fraglich, ob er das heutige Pensum mit beinahe wöchentlichen Konsultationen auf europäischer Ebene, in der UNO oder in der G8 mühelos bewältigt hätte. Die Kommunikationsgewohnheiten waren übersichtlicher. Der Kanzler konnte beim Teegespräch mit auserwählten Journalisten sprechen und sich in kritischen Situationen schon mal „Fakten“ ausdenken, um seine Argumentation abzusichern. Das wäre in Zeiten von audiovisuellen Massenmedien, im Zeitalter des Internets und der Allmacht von Google und Wikipedia wohl schwerlich durchzuhalten gewesen. Neben diesen Veränderungen haben sich zudem die Elemente der Kanzlerdemokratie bereits am Ende von Adenauers Kanzlerschaft überlebt.

Adenauer ging nämlich – anders als etwa Kiesinger, Brandt oder Kohl – keineswegs pfleglich mit seinen Koalitionspartnern um. In der zweiten Amtszeit provozierte er ein ums andere Mal eine Koalitionskrise. Adenauers CDU war dabei, die bürgerliche Konkurrenz regelrecht aufzusaugen. Nur mit schweren Verlusten konnte sich allein die FDP dem Klammergriff entziehen. Ausgerechnet die Liberalen wurden dann aber 1961 wieder als Partner gebraucht und hatten genug von der selbstherrlichen Kanzlerschaft. Erstmals gab es deswegen einen Koalitionsvertrag, ein Koalitionsgespräch zwischen den Fraktionen und nicht zuletzt die Rücktrittszusage Adenauers. Damit war die Macht des Kanzlers durch den institutionellen Rahmen einer Koalition eingehegt. Die Richtlinienkompetenz, auf deren Grundlage Adenauer schon mal Präjudizien für die Kabinettsrunden schuf oder Entscheidungen des Kabinetts kurzerhand umwarf, war dadurch faktisch gebrochen. Eine derart hierarchische Führung ließ sich seitdem nicht mehr durchhalten.

Auch die außenpolitischen Optionen des Kanzlers hatten sich schon zu Adenauers Zeiten verringert. Bereits mit dem Beitritt zur NATO 1955 und der Gründung der EWG 1957 war die Außen- mit der Innenpolitik verkoppelt, was durchaus Adenauers Intention war. Schließlich wollte er den Bestand der jungen Demokratie und ihre wirtschafts- und außenpolitische Ausrichtung nicht davon abhängig machen, wer gerade regierte. Die Kehrseite war aber, dass sich auf einmal das Parlament verstärkt zu interessieren begann, was der Kanzler auf der internationalen Ebene so trieb. Gleichzeitig mischten sich in vielen Feldern der Europapolitik mehr und mehr die Fachministerien ein, teilweise sogar die Bundesländer. Das vorherige außenpolitische Monopol des Kanzlers zerbröselte und dementsprechend sind die Kanzler seitdem von anderen Akteuren, gar von echten Vetospielern flankiert.

Doch andere Personen mitwirken lassen, entsprach nicht Adenauers Führungsstil. Weil der Kanzler stets den Verrat witterte, war er darauf bedacht, mögliche Prätendenten über lange Zeit auflaufen zu lassen, doch so produzierte er natürlich behinderte Karrieren. Das sollte sich rächen. Denn die nachdrängende Politikergeneration stieß irgendwann in das Machtvakuum, welches Adenauer selbst geschaffen hatte – die Parteiorganisation. Forderungen nach einer Parteireform wurden laut, jüngere Funktionäre verlangten gar eine Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft. Je stärker die CDU sich von einer Honoratiorenpartei weg und zu einer mitgliederstarken Volkspartei hin entwickelte, desto stärker verselbstständigte sich die Partei und desto geringer wurde der Einfluss des Kanzlers in seiner Funktion als Parteivorsitzender. Kein Kanzler oder Kanzlerkandidat kann es sich auf Dauer erlauben, seine Parteiorganisation dauerhaft zu vernachlässigen. Erhard, Barzel, Schmidt und Schröder sollten diesbezüglich ihre Erfahrungen machen. Parteien suchen schließlich nach Sinnstiftung, die ihnen das alltägliche Regierungsgeschäft nicht immer bieten kann.

Schließlich schlagen auch positiv wirkende Faktoren irgendwann ins Negative um, wenn sich das Umfeld verändert. Die Personalisierung nutzte Adenauer nicht mehr, als dem bereits erkennbar betagten Kanzler in Willy Brandt ein junger und dynamisch wirkender Gegenkandidat gegenübertrat. Einen scharfen Gegensatz zur Opposition ließ die SPD von Schumacher und Ollenhauer zu, nicht diejenige von Wehner und Erler. Am Ende einer langen Kanzlerschaft funktionierte eben nicht mehr alles nach den bewährten Mustern. Die Kanzlerdemokratie in der Form, wie sie Adenauer betrieb, hatte sich am Ende überlebt.

Dr. Stephan Klecha ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und Autor des jüngst erschienen Buches „Bundeskanzler in Deutschland„.