[kommentiert]: Daniela Kallinich zum Eintritt Nicolas Sarkozys in den Präsidentschaftswahlkampf 2017.
Frei von Hindernissen war die politische Karriere von Nicolas Sarkozy gewiss noch nie. Über eine jahrzehntelange – in Frankreich durchaus unübliche – „Ochsentour“ hatte er sich hochgekämpft bis in das Präsidentenamt. Als sich jedoch vor vier Jahren seine Niederlage gegen François Hollande abzuzeichnen begann, verkündete er, keineswegs an der Politik zu kleben und von nun an ein Leben fernab des politischen Tagesgeschäfts zu führen. Jetzt hat er seine erneute Kandidatur für die Vorwahlen (primaires) der konservativen Republikaner (LR) zu den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 bekanntgegeben – am Tiefpunkt seiner Beliebtheitswerte[1] und im Strudel zahlreicher noch ungeklärter Skandale und Gerichtsverfahren.
2012 hatte sich Sarkozy zunächst daran gemacht, sein Amt a. D. zu vergolden. Als hochbezahlter Keynote-Speaker reiste er um die Welt[2] – und begann alsbald damit, sich zu langweilen. Kaum überraschend war daher, dass sein Vorsatz der politischen Askese keine zwei Jahre hielt. Dabei hatten zuvor zahlreiche Politiker in den gegnerischen, aber auch im eigenen Lager kurz (und auch ungläubig) aufgeatmet, als „das politische Tier“ Sarkozy seinen politischen Rückzug bekanntgegeben hatte. Lange hielt diese Erleichterung bei der Konkurrenz nicht an, denn nach einem Führungsstreit und zahlreichen Skandalen überzeugte Sarkozy seine immer noch vorhandenen Fans in der eigenen Partei von seiner Unersetzbarkeit und kehrte 2014 im Rahmen einer rabiaten Wahl an die Parteispitze der LR zurück. Zudem tat er das, was viele französischen Politiker tun, wenn sie sich für höhere Ämter empfehlen wollen: Er schrieb ein Buch, mit Bekenntnissen, Programmen und Liebesbekundungen an Frankreich.[3]
Damit war Sarkozy gelungen, ohne auch nur einmal das Wort „Elysée-Palast“ aussprechen zu müssen, seinen Anspruch auf die Rückkehr ins Präsidentenamt zu verdeutlichen. All jene in seiner Partei, die sich als seine Nachfolger insbesondere im rechten LR-Flügel in Stellung gebracht hatten, ahnten bereits seit Monaten, was sie nun, seit dem 22. August 2016, wissen: Sarkozy tritt für die Vorwahlen seiner Partei an. Damit dürfte klar sein, dass diejenigen, die seine im rechten französischen Lager populäre law-and-order-Direktive mitgetragen haben , noch einmal fünf Jahre zurückstecken müssen. Denn es besteht kein Zweifel: Die Wähler und v.a. die in den primaires entscheidenden Parteimitglieder wollen – wenn überhaupt – das Original.
Dabei ist Sarkozy noch nie so unbeliebt wie jetzt gewesen. Sein moderater Parteikollege Alain Juppé hat mehreren Umfragen zufolge mit 36 Prozent[4] beinahe doppelt so hohe Beliebtheitswerte wie sein skandalumwobener Kontrahent, der derzeit kaum über 19 Prozent hinauskommt.[5] Und während weiterhin 66 Prozent der Befragten in einer Umfrage keinesfalls eine Rückkehr Sarkozys in den Elysée-Palast wünschen, gilt das nur bei 42 Prozent für Juppé.[6] Auch in sämtlichen potenziellen Paarungen des zweiten Wahlgangs stehen Sarkozys Aktien schlechter als die seiner Parteikollegen: Im direkten Duell mit Marine Le Pen wären Alain Juppé, François Fillon und Bruno Le Maire – die alle bei den Vorwahlen antreten wollen – den Umfragen zufolge stärker als Sarkozy, der nur sechzig Prozent der Stimmen erhalten würde.[7]
Außerdem ist noch völlig unklar, ob sich Sarkozy überhaupt als Kandidat der LR durchsetzen wird. Ihm ist jedenfalls nicht wie etwa 2007 gelungen, den Bonus als Parteivorsitzender in eine Rolle als „candidat naturel“, also selbstverständlicher Parteikandidat umzuwandeln. Sein bis dahin lupenreines Image als seriöser Staatsmann ist mittlerweile stark beschädigt; wobei insbesondere die Affäre um seine Wahlkampffinanzierung 2012 seiner Glaubwürdigkeit massiv geschadet hat. Zudem muss Sarkozy aus Fairnessgründen nun auch sein Amt als Parteivorsitzender aufgeben, wodurch ihm jegliche öffentlichen Ämter fehlen. Mit Juppé, Fillon und Le Maire existieren zudem ernstzunehmende Konkurrenten um die Kandidatur, die je über eine eigene Hausmacht bei LR verfügen. Das Wahlergebnis von „nur“ 65 Prozent zum Parteivorsitzenden zeigt jedenfalls, dass Sarkozy in seiner Partei mittlerweile und im Gegensatz zu 2007 umstritten ist. Das hat sich noch dadurch verstärkt, dass den Republikanern seit Sarkozys Wahl nicht gelungen ist, den Front National bei Wahlen einzudämmen. Jenseits der Partei bleibt zudem das entscheidende Problem, dass Hollande 2012 v.a. deshalb gewählt worden ist, weil die Franzosen Sarkozy abwählen wollten. Wieso also, möchte man in Anbetracht dieser umfassenden Zweifel an seinen derzeitigen Erfolgsaussichten fragen, hievt sich Sarkozy gerade jetzt zurück auf die politische Bühne des von Terroranschlägen und tiefen sozialen Spaltungslinien erschütterten Frankreich?
Weil er, so ließe sich in umgekehrter Weise argumentieren, gerade hierin seine Chance sieht. Schließlich avancieren seine zentralen Kompetenzzuschreibungen – innere Sicherheit, Identität und Integration – derzeit zu den wichtigsten Themen der französischen Öffentlichkeit. Nach derzeitigem Stand könnten sie durchaus Arbeitslosigkeit als wahlentscheidenden Aspekt ablösen.[8] Nicht zuletzt hat Sarkozy im Gegensatz zu seiner parteiinternen Konkurrenz den Vorteil, sich als Staatsmann mit Erfahrung im höchsten Amt inszenieren zu können, als einer der weiß, wie man mit schwerwiegenden Krisen umzugehen hat.
So gesehen scheint Sarkozy wie schon oft zuvor mit der Wahl des Termins und der Schwerpunktsetzung in seinem Programm sein politisches Gespür unter Beweis gestellt zu haben. Wenngleich die Sozialisten versuchen, seine Kandidatur als „non-événement“ zu deklarieren, grätscht der „candidat à la candidature“ der Regierung um Hollande und deren politischer „rentrée“ gehörig ins Programm. Gerade jetzt, wo die Arbeitslosenzahlen endlich konsekutiv zu sinken scheinen, zieht Sarkozy alle Aufmerksamkeit auf sich. Damit allerdings rückt ein Szenario in den Bereich des Möglichen, das noch vor wenigen Monaten undenkbar erschien: Der erneute Schlagabtausch zwischen zwei Rivalen, die bereits 2012 gegeneinander angetreten waren und zwischen denen weit mehr als eine sportlich-demokratische Rivalität herrscht.[9] Setzen sich beide – Sarkozy und Hollande – in ihren jeweiligen Lagern durch, treten für die größten Parteien jedenfalls die bei den Franzosen der jeweiligen Lager unbeliebtesten potenziellen Kandidaten an.[10]
Daniela Kallininch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Siehe TNS Sofres: Cotes de popularités des personnalités politiques, Cote d’avenir – Nicolas Sarkozy, in: tns-sofres.com (ständig aktualisiert), URL: http://www.tns-sofres.com/dataviz?type=2&code_nom=sarkozy [eingesehen am 23.08.2016].
[2] Vgl. Manière, Pierre: Conférence à New York : mais combien Nicolas Sarkozy a-t-il empoché ?, in: La Tribune, 12.10.2012, URL: http://www.latribune.fr/actualites/economie/france/20121012trib000724555/conference-a-new-york-mais-combien-nicolas-sarkozy-a-t-il-empoche.html [eingesehen am 23.08.2016].
[3] Siehe Sarkozy, Nikolas: La France pour la vie, Paris 2015.
[4] Siehe TNS Sofres: Cotes de popularités des personnalités politiques. Cote d’avenir – Alain Juppé, in: tns-sofres.com (ständig aktualisiert), URL: http://www.tns-sofres.com/dataviz?type=2&code_nom=juppe [eingesehen am 23.08.2016].
[5] Siehe TNS Sofres: Cotes de popularités des personnalités politiques, Cote d’avenir – Nicolas Sarkozy, in: tns-sofres.com (ständig aktualisiert), URL: http://www.tns-sofres.com/dataviz?type=2&code_nom=sarkozy [eingesehen am 23.08.2016].
[6] Siehe Fourquet, Jérôme/Pratvie, Esteban: Le degré d’opposition à l’élection de différentes personnalités à la résidence de la République, in: ifop.com, 07/2016, URL: http://www.ifop.com/media/poll/3446-1-study_file.pdf [eingesehen am 23.08.2016].
[7] Siehe Verrier, Matthieu: Présidentielle 2017: peu importe le candidat, la droite l’emporterait au second tour face à Marine Le Pen, in: lavoixdunord.fr, URL: http://www.lavoixdunord.fr/france-monde/presidentielle-2017-peu-importe-le-candidat-la-droite-ia0b0n3458929/ [eingesehen am 23.08.2016].
[8] Siehe Auffray, Alain: La peur pour programme, in: liberation.fr, URL: http://www.liberation.fr/france/2016/08/22/la-peur-pour-programme_1474078 [eingesehen am 23.08.2016].
[9] Vgl. Mandonnet, Eric/Wesfreid, Marcelo: Pourquoi Sarkozy obsède Hollande (et vice versa), in: l’Express, 26.11.2014, URL: http://www.lexpress.fr/actualite/politique/pourquoi-sarkozy-obsede-hollande-et-vice-versa_1626171.html [eingesehen am 23.08.2016].
[10] Siehe Fourquet, Jérôme/Pratvie, Esteban: Le degré d’opposition à l’élection de différentes personnalités à la résidence de la République, in: ifop.com, 07/2016, URL: http://www.ifop.com/media/poll/3446-1-study_file.pdf [eingesehen am 23.08.2016].