Warum ich lieber Don Draper wäre…

[debattiert]: Katharina Rahlf über die Serie „Mad Men“ und jede Menge Vorurteile.

New York, Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, eine Werbeagentur in der Madison Avenue. Wer in dieser Kreativbranche tätig war, gehörte zu den – (selbst)ironisch so titulierten – „Mad Men“. Die gleichnamige TV-Serie über Ihre Arbeit und, fast mindestens ebenso wichtig, ihr Privatleben gehört gegenwärtig zu den meistgesehenen, meistausgezeichneten und höchstgelobten Fernseherzeugnissen, jede neue Staffel der amerikanischen Serie lässt auch hierzulande das Feuilleton jubeln.

Kein Wunder, wirkt doch jede Episode wie ein sorgfältig erdachter Film, sind die Rollen vorzüglich besetzt, die Charaktere präzise, überzeugend gezeichnet. Und dann selbstverständlich das „Drumherum“: Nicht nur, dass fiktionale Handlung und reales historisches Geschehen zwanglos Hand in Hand gehen, auch bekommt man quasi nebenbei tatsächlich den „Zeitgeist“ der Sechziger, die spezifische Atmosphäre jener Jahre vermittelt. Das liegt nicht zuletzt, auch das hat man schon oft gelesen, an der Detailfülle, mit der jeder Türknauf, jedes Gardinenmuster und, natürlich, jedes Whiskeyglass ausgewählt werden. Insofern: „Mad Men“ ist in der Tat ziemlich brillante Unterhaltung, auch zeithistorische Bildung.

Genau dort liegt allerdings die Crux. Die 1960er Jahre gelten zwar zumeist als „rebellisches Jahrzehnt“, als Jahre des Aufbruchs in eine freie, gleichberechtigte, emanzipierte Gesellschaft. „Aufbruchsjahre“ impliziert ja aber: Erreicht war dieser Idealzustand damals noch lange nicht – im Gegenteil: Die Geschlechterrollen waren, vor allem aus heutiger Sicht, noch fast erschreckend traditionell verteilt. Das Modell: „der Mann arbeitet, die Frau kümmert sich um Haus und Kinder“ war damals keine Ausnahme, sondern die Regel. Nun mag man diese Klischees ablehnen, für überkommen halten – sie nicht zu zeigen, würde sie aber nicht ungeschehen werden lassen. Genau in diese Richtung weist jedoch einer der gängigsten Vorwürfe an „Mad Men“: Die Serie zeige diese Klischees nicht nur, sie verherrliche, gar glorifiziere sie sogar noch. Ersteres ist sicherlich so, zweites und drittes kann man so sehen – muss man aber nicht.

Natürlich sind es (meist, nicht nur!) die Männer, die nach Hause kommen, wann und ob sie wollen, die trinken, feiern und Affären haben. Und die Frauen sind in der Regel die, die unter diesem Verhalten zu leiden haben. Dass das Leben der Männer – zunächst! – spaßiger aussieht, sollte erstens in einer noch gering feministisch-emanzipierten Gesellschaft nicht verwundern. Zweitens ist gerade unter den männlichen Charakteren die Häufung von Zusammenbrüchen, Depressionen und Versagen frappant. Vor allem aber: Sollte man als ZuschauerIn nicht trennen zwischen der Schilderung damaliger Verhältnisse und der Deutung dessen bzw. zwischen die Darstellung aus heutiger Sicht moralisch fragwürdiger Zustände und einer vermeintlichen Identifikation mit diesen? Sicherlich, bei „Mad Men“ erscheint all das trotzdem gewissermaßen ästhetisch verpackt – zu ästhetisch für manchen Geschmack vielleicht. So erklären sich auch manche reflexhaften Widerstände: Fragwürdiges wird hier eben nicht, leicht dechiffrierbar, auch hässlich dargestellt. Aber man kann darin doch auch eine besonders subtile Zeitkritik erkennen – graust es einen nicht gerade dann besonders, wenn man erkennt, wie schrecklich bei all der schönen Verpackung der Inhalt mitunter ist?

Doch es geht noch weiter. Offenbar liegt die Gefahr der in „Mad Men“ gezeigten Geschlechterstereotype gar nicht in erster Linie darin, diese „wieder gesellschaftsfähig“ zu machen. Nein, das Risiko ist ein weit perfideres. Das Problem ist auch hier weniger die Serie, auch nicht das Gros der ZuschauerInnen, sondern die vermeintlich kritischen Kritiker und deren eigene Vorurteile, die sie mal eben völlig ungeniert zu Tage treten lassen und dann, unter dem Mantel der emanzipierten Fortschrittlichkeit, eben dieser Serie unterstellen. So geschehen z.B. unlängst auf Spiegel Online. „Warum Männer die Serie toll finden, ist klar“, hieß es da. Schließlich gäbe es ja eine Reihe toller „Kerle“. Die hätten „einen geilen Job, sind saucool, dürfen qualmen bis zum Exitus, gönnen sich in der Lunchpause einen Drink aus der Schublade und kriegen jede Frau, die sie wollen.“ Was Frauen an der Serie gefallen könnte, sei hingegen rätselhaft: „Mad Women! Sind die Frauen verrückt geworden?“. An den gezeigten Männern liege es schon mal nicht – die taugten nicht zum Anhimmeln, als Beweis gilt die Freundin des Autors, die Don Draper schließlich „ekelhaft“ finde. Also müsse es etwas anderes sein.

Na klar, es muss an irgendwelchen „weiblichen Sehnsüchten“ liegen. Und dazu komme wohl das Unbehagen der emanzipierten „Frauen um die 30“, das heißt jener mit Beruf, gar Karriere oder womöglich gar mit Kind und Karriere. Und da es eben doch anstrengend sei für „die Frauen“, dieses Emanzipiert-Sein, könnten sie gar nicht anders, als sich „insgeheim doch an Heim und Herd (am besten mit Prämie) zurücksehnen und sei es nur, indem man ‚Mad Men‘ schaut und denkt, wie toll es doch wäre, einen erfolgreichen Mann zu haben, etwas mehr Zeit für die Kinder und den Klatsch und Tratsch mit der besten Freundin“. Oh je. Doch ganz langsam:

Erstens: Wer sagt, dass nicht die eine oder andere Zuschauerin den ein oder anderen Charakter, den ein oder anderen Darsteller attraktiv findet? Vielleicht wäre das nicht das hehrste Motiv, sicherlich aber auch nicht das unüblichste. Zweitens: Die Sorgen um die „emanzipierte Frau um die 30“ sagen wohl mehr aus über heute noch existente Vorurteile Frauen gegenüber als über die Klischees der 1960er. Natürlich, Überforderung durch Kinder und Beruf ist sicherlich ein Problem – doch dürfte das inzwischen auch viele Männer betreffen.

Drittens – und endlich – kommt es zum Wesentlichen: Wer sagt mir „als Frau um die 30“ und begeisterte Mad-Men-Guckerin, dass ich mich nur mit den weiblichen Charakteren identifizieren darf? Bleibt mir also nichts anderes übrig, als entweder aus Mangel an überzeugenden Vorbildern frustriert den Fernseher abzuschalten oder mir aber endlich meine unbewussten Sehnsüchte nach dem ruhigen Vorstadtleben an der Seite eines erfolgreichen Mannes einzugestehen? Dass es damals diese Stereotype noch viel stärker gab, muss doch nicht bedeuten, dass ich mich heute ebenfalls noch dieser „Logik“ beugen muss. Wer die „Zwei-Geschlechter-Stereotype“ bei Mad Men (und anderswo) verurteilt, sollte vielleicht zunächst einmal überlegen, ob die ZuschauerInnen nicht sogar schon einen Schritt weiter sind, diese Klischeedarstellung vielmehr als „Zeitdokumente“ verstehen wie deuten können und die Serie nach ganz anderen Gesichtspunkten beurteilen – also auch nicht mehr als „Frau“ nur nach weiblichen, als „Mann“ nur nach männlichen Identifikationsfiguren suchen. Denn das wäre in der Tat doch fast ein Rückschritt. Denn hat nicht auch eigentlich schon unsere Eltern-Generation versucht, diesen Unsinn zu überwinden? Oder wie war das sonst mit den Kinderbüchern – dann hätte Pippi Langstrumpf reine Mädchenlektüre, Karlsson vom Dach ausschließlich den Jungen vorgelesen werden dürfen. Und nach dieser Logik hätte ich immer nur Ronja, niemals aber Birk, auch nicht Detektiv nach Emils Vorbild spielen dürfen. Nein, ich wäre nicht gerne die Hausfrau aus der Vorstadt. Auch wenn moralisch-ethisch-charakterlich und sonstwie fragwürdig: Ich jedenfalls wäre lieber Don Draper.

Dieser Text erschien zuerst bei der Berliner Gazette.

Katharina Rahlf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.