[analysiert]: Michael Freckmann zur Wählerschaft der FDP bei der Bundestagswahl.
Die FDP ist mit 10,7 Prozent zurück im Bundestag und stellt nun die viertgrößte Fraktion im Parlament. Parteichef Christian Lindner bemühte in den vergangenen Jahren den Begriff des „Lebensgefühls“ – die Ansprache der FDP richte sich nicht (mehr) an einzelne sozialstrukturelle Gruppen, sondern an die etwas diffuse „ungeduldige Mitte“[1] der Gesellschaft. Ist Lindners Strategie aufgegangen und hat die Wählerschaft sich verbreitert – oder sind doch vor allem die alten klassischen Wählergruppen zurückgekehrt? Wer wählte also die Partei, der bei der vergangenen Bundestagswahl scharenweise die Wähler davongelaufen waren?
Die Berufsgruppe der Selbstständigen war traditionell die stärkste Gruppe der freidemokratischen Wählerschaft. Im Jahr 2013 erlebte die FDP jedoch gerade hier den größten Stimmeneinbruch mit –16 Prozent.[2] Bei dieser Wahl gelang es der Partei wiederum, besonders in dieser Berufsgruppe Zugewinne zu erzielen – sie erreichte hier ein Ergebnis von 16 Prozent und damit einen Zuwachs von 9 Prozent.[3] Aber auch bei den Angestellten erzielte sie mit 11 Prozent einen leicht überdurchschnittlichen Wert. Somit lässt sich festhalten: In diesen beiden für die Partei klassisch wichtigen Gruppen jedenfalls konnten die Freidemokraten wieder an Stimmen zulegen.
Hinsichtlich des gesellschaftlichen Status dominiert der Typus des sozial abgesicherten FDP-Wählers. Auch bei den Bildungsabschlüssen ergibt sich das gewohnte Bild der Partei. Während nur 8 Prozent der Wähler mit einfacher Bildung die FDP wählten, taten dies solche mit höherer Bildung zu 13 Prozent. Auch bewertet die freidemokratische Wählerschaft zu weit überdurchschnittlichen 89 Prozent ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut. Die Partei ist zudem vornehmlich eine West-Partei geblieben. Zwar erreichte sie in den ostdeutschen Bundesländern im Schnitt 7,6 Prozent, in den alten Bundesländern erzielte sie jedoch im Durchschnitt genau das Bundeswahlergebnis von 10,7 Prozent – mit Spitzenwerten wie auch bei den vergangenen Wahlen in Nordrhein-Westfalen (13,1 Prozent) und Baden-Württemberg (12,7 Prozent).
Mit bunten Farben und moderner Sprache – z.B. dem Slogan „Digital first, Bedenken second“ – sollten bei dieser Wahlkampagne gezielt vor allem auch junge Wähler angesprochen werden, hatte die FDP doch bei den jüngsten Landtagswahlen die größten Wahlerfolge noch in der Altersgruppe der über 60-Jährigen erreichen können. Bei dieser Bundestagswahl erzielte die FDP mit 12 Prozent tatsächlich die größten Stimmanteile bei den 18-24-Jährigen – zudem verzeichnete sie in dieser Altersgruppe mit plus 7 Prozent den größten Zuwachs im Vergleich zur Wahl vier Jahren. Gleichwohl stehen diesen Ergebnissen keine etwaigen deutlichen Verluste in anderen Altersgruppen gegenüber; die FDP konnte somit in allen Altersgruppen mindestens durchschnittlich punkten.
Mit dem Wahlplakat „Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenkoffer“ wollte die FDP ihr inhaltliches Profil erweitern und Themen der Bildungspolitik in den Mittelpunkt stellen. Zugleich bediente die Kampagne mit der Botschaft: „Jetzt wieder verfügbar: Wirtschaftspolitik“ ein altes freidemokratisches Kernthema. Die größten Kompetenzzuschreibungen fallen bei dieser Bundestagswahl sodann in den Bereichen Wirtschaft und Steuerpolitik mit jeweils 9 Prozent auch ganz klassisch aus; die Bildungspolitik folgt mit 7 Prozent. Dies lässt auf einen Kern der Wählerschaft schließen, der mit einer Kritik an der Wirtschaftspolitik der Großen Koalition gewonnen werden konnte. Gleichzeitig geben 66 Prozent der Wähler der Liberalen an, die Partei ausdrücklich wegen ihrer Position in der Flüchtlingspolitik gewählt zu haben. Somit konnte die FDP auch mit ihrer rechtsstaatfokussierten Haltung in der Flüchtlingspolitik, die sie seit 2016 in den Landtagswahlkämpfen besonders betont, Stimmen gewinnen und sich – besonders gegenüber der AfD – profilieren .
Traditionell entscheiden sich die FDP-Wähler für diese Partei eher wegen programmatischer Forderungen als aufgrund der personellen Besetzung; so auch bei dieser Wahl: 62 Prozent gaben inhaltliche Gründe als ausschlaggebend an, während nur 25 Prozent den Spitzenkandidaten allein für wesentlich für ihre Wahlentscheidung hielten. Da jedoch gleichzeitig 42 Prozent der FDP-Wählerschaft angeben, ohne Lindner die Partei nicht gewählt zu haben, zeigt sich hier, angesichts des Wahlergebnisses, sowohl die Notwendigkeit als auch der Erfolg der personellen Zuspitzung in der Kampagne auf den Spitzenkandidaten Lindner.
Die FDP profitierte wie so häufig auch sehr stark von Situationswählern. So geben lediglich 11 Prozent an, die Partei aufgrund einer langfristigen Parteibindung gewählt zu haben. 1,62 Mio. Wähler kamen bei dieser Wahl von der Union. Dieser Anteil macht 32 Prozent der Gesamtwählerschaft der FDP aus. Nachdem bei der letzten Wahl 2 Mio. Wähler von der FDP zur Union abgewandert waren, scheint das Prinzip der „kommunizierenden Röhren“, also der wechselnde Austausch zwischen den bürgerlichen Parteien, nach wie vor intakt zu sein. Allerdings konnten die Freidemokraten neben 830.000 ehemaligen Nichtwählern auch von außerhalb des bürgerlichen Lagers Zulauf verzeichnen; so sind bspw. 550.000 Wähler von der SPD zur FDP gewechselt sind.
Die liberale Zukunftsrhetorik, etwa mit dem Slogan „Digitalisierung ändert alles, wann ändert sich die Politik?“ war für viele Wähler ein Kernmotiv. Da 76 Prozent der FDP-Wähler der Aussage zustimmten, dass die FDP „bessere Zukunftskonzepte“ habe als die anderen Parteien, scheint es den Liberalen somit gelungen zu sein, erfolgreich das Bild einer Partei der Dynamik gegen das Image einer in der Gegenwart verhafteten Union zu etablieren. Auch von der Stärkung kleinerer Parteien in Regierungszeiten Großer Koalitionen hat die FDP profitiert, da immerhin 70 Prozent der Wähler ihre Stimmabgabe für die Freidemokraten explizit als gegen die Große Koalition gerichtet verstanden. Somit konnten die Liberalen auch eine Form des bürgerlichen Protests gegen die Große Koalition verkörpern.
Die FDP hat also die alten Wählergruppen zurückgewinnen und gleichzeitig ihre Wählerschaft verbreitern können. Ihre Kernwählerschaft aus Selbstständigen sowie Befürwortern einer liberalen Steuer- und Wirtschaftspolitik ist zurückgekehrt, ebenso viele Wechselwähler von der Union. Darüber hinaus hat die Partei durch eine inhaltlich ausgeweitete Kampagne neben den klassischen Kompetenzzuschreibungen auch leichten Zuwachs in der Bildungskompetenz erhalten; zudem war für viele Wähler die Positionierung der FDP in der Flüchtlingspolitik ein Wahlmotiv. Hinzu kam der Stimmenzuwachs von ehemaligen Nichtwählern und ehemaligen SPD-Wählern. Interessant ist nun die Frage, wie die Interessen des Wirtschaftsbürgertums, von Bildungsliberalen und Vertretern einer restriktiveren Flüchtlingspolitik vereint werden können. Auch hinsichtlich der Altersgruppen konnte die Partei gerade bei Jüngeren punkten, während die Union als andere bürgerliche Partei überwiegend bei den Älteren Stimmen gewann. Dies erinnert an die Situation der Bundestagswahl von 2009, bei der ebenfalls die jungen Bürgerlichen zur FDP strömten[4] und wegen ihres geringen Alters und ihrer politischen Unerfahrenheit ungeduldige, hohe Ansprüche an die Partei stellten, welche die FDP letztlich nicht umsetzen konnte. Nicht zuletzt profitierten die Liberalen auch von einer Stimmung gegen die Große Koalition, generierte sie ihre Zustimmung durch den Protest gegen diese Regierungskoalition und durch Aufbau und Etablierung eines Images als zukunftsorientierte Partei. Diese Protestfunktion, zumal möglicherweise nun bald selbst in der Regierung, kann die FDP nun allerdings nicht weiter erfüllen – sie wird sich eine neue Rolle suchen müssen.
Michael Freckmann arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] FDP NRW: Christian Lindner: Liberales Lebensgefühl, URL: https://www.youtube.com/watch?v=1IRD6uiEs9o, [eingesehen am 23.09.2017].
[2] Infratest Dimap: Wahlreport Bundestagswahl 2013, Berlin.
[3] Die zitierten Zahlen zu dieser Wahl stammen von Infratest Dimap, nachzulesen auf www.wahl.tagesschau.de [eingesehen am 25.09.2017].
[4] Vgl. Walter, Franz: Grün oder Gelb?, Bielefeld 2010.