[kommentiert:] Klaudia Hanisch über die Wahlparty CSU und deren Umgang mit dem Erfolg der AfD in Bayern.
„Strauß würde AfD wählen“ oder „Die AfD hält, was die CSU verspricht“ – mit diesen Slogans warb die bayerische AfD bei der diesjährigen Bundestagswahl. Vor allem in der Endphase des Wahlkampfs inszenierte sie sich als eine Art bessere CSU. Bereits seit 2015 sind die Social Media-Seiten der CSU voller wütender und höhnischer Kommentare mit zahlreichen Likes und hohen Klickraten. Für diese Kommentatoren gebe es in Bayern nur noch eine wählbare Partei – und zwar die AfD. Die Parteiführung der CSU wiederum zeigte sich von dieser Symptomatik lange Zeit wenig beeindruckt. Vieles, was im Internet passiere, sei auf Social Bots und gekaufte Internettrolle zurückzuführen, lautete die persistierend siegessichere Erklärung. Die eigene Partei sah man in trockenen Tüchern; immerhin attestierten auch seriöse Meinungsforschungsinstitute der CSU bis zuletzt eine hohe Zustimmungswerte: Bei der Bundestagswahl könne man mit einem Ergebnis von 47–48 Prozent der Stimmen rechnen. Die Schwesterpartei krisele vielleicht – aber hier in Bayern sei man weitgehend verschont vom AfD-Virus, so der Duktus der christlich-sozialen Landesleitung.
Dementsprechend zuversichtlich begann am 24. September die Wahlparty in der Parteizentrale der CSU, dem Franz-Josef-Strauß-Haus: Die vielen jungen WahlkampfhelferInnen – betont konservativ in Trachten –, die hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Landesleitung sowie einige ältere Parteiveteranen fieberten dem anstehenden Event entgegen. Einige kamen direkt von der Wiesn und warteten nun vor den Leinwänden auf die erste Prognose um 18 Uhr. In der einen Hand ein Aperol Spritz, ein Glas gut gekühlten Weißwein aus Franken oder ein bayrisches Helles, in der anderen ein auf winzigen Tellern mit Stiefmütterchen dekoriertes Häppchen balancierend. Auch die zahlreichen Medienvertreter, deren rege Betriebsamkeit die Wahlparty dominierte, bereiteten sich auf das hochmoderne Medienspektakel vor – auf die vielen Liveschaltungen in die Fernsehstudios und auf die Stimmen vor Ort, die in wenigen Stunden gesammelt werden müssten. Bereits am Nachmittag zeichnete sich eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als vor vier Jahren ab. Dies wertete man zu diesem Zeitpunkt jedoch noch als Ausdruck einer Mobilmachung gegen Rechts.[1]
Dass keiner der vier Münchner CSU-Direktkandidaten zur großen Wahlparty mit Horst Seehofer gekommen war, vermochte die Stimmung nicht sonderlich zu trüben. Immerhin ist weit bekannt, wie Markus-Söder-freundlich und Horst-Seehofer-kritisch die Münchner CSU ist. Als um 18 Uhr jedoch die Prognose für Deutschland erscheint, wird es in der Landeszentrale still. Zwar ertönen noch vereinzelte Jubelrufe – z.B. darüber, dass die SPD ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren hat –, doch als bekannt wird, dass die AfD zur drittstärksten Kraft im Bundestag avanciert, macht sich eine Schockstarre breit. Genau zu diesem Zeitpunkt begannen die zahlreichen Fernsehteams, die stumme Sprachlosigkeit mit lauter Liveberichterstattung auszufüllen. Viel Zeit zum Reflektieren blieb in dieser Hektik keinem.
Erst nach einer Weile kommentierten kleine Grüppchen das Wahlergebnis. Bei den meisten kam Fassungslosigkeit zum Ausdruck. Niemals hätte man erwartet, dass die CSU in Bayern nur noch 38,5 Prozent erreichen würde – das schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949. Eine halbe Stunde nach der ersten Prognose begab sich die Parteispitze samt Entourage aus der Chefetage hinunter auf die eigentliche Wahlparty. Die Spannung war groß, denn zu dieser Stunde war eine adäquate Reaktion auf das Wahlergebnis für die nächste große Etappe – die Landtagswahlen in Bayern 2018 – Gold wert. Mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 ist offensichtlich, dass die absolute Mehrheit in Bayern dauerhaft in Gefahr ist. Gebrochen wurde der Nimbus der CSU als unbesiegbare Partei bereits 2008: Die CSU verzeichnete bei den Landtagswahlen ein für sie desaströses Wahlergebnis, das sie erstmals in fast 50 Jahren dazu zwang, für die Regierungsbildung eine Koalition eingehen zu müssen. Damals konnte sie allerdings immerhin noch 43,4 Prozent der Stimmen vereinen.
Der Verlust der absoluten Mehrheit jedenfalls hat die Partei verändert – und zum Aufstieg von Horst Seehofer geführt. Auch dieses Mal scheint der Vorsitzende auf den Spagat zwischen einer scharfen rhetorischen Reaktion und Besänftigung in der Übersetzung ins Konkrete zu setzen. „Ein Weiter-so ist nicht möglich. Wir haben verstanden“, so Seehofer. Die Gründe für das schlechte Ergebnis lagen für ihn bereits eine halbe Stunde nach den ersten Prognosen auf der Hand: Vor allem müsse die „offene rechte Flanke“ in der Unions-Politik geschlossen werden. Daraufhin führte er zwei Ursachen für das schlechte Wahlergebnis ein wenig weiter aus: erstens die soziale Spaltung des Landes, hier fielen Stichworte wie Rente, Mieten, Wohnungsbau, Pflege, Familien und Kinder. Zweitens nannte er die Themen Identität, Zuwanderung und Sicherheit, die im Lauf des Septembers stark in den Vordergrund getreten seien und bei denen die CSU sich mit Ihren Botschaften nicht habe durchsetzen können. „Deutschland muss Deutschland bleiben; auch diesen Satz hätte man öfter sagen sollen“, so Seehofer im Interview. Später wird es heißen, dass die CSU jedoch keinen programmatischen Rechtsruck anstrebe, sondern weiterhin Ihren Bayernplan verfolgen werde. Seehofers Rede jedenfalls wurde mit langem Applaus honoriert. Die Parteispitze gab den Fernsehsendern einige Interviews und verließ samt Gefolgschaft die Wahlparty wieder treppauf. Zur Stärkung folgte ihnen ein großes Tablett mit einfachen belegten Semmeln.
Während sich die Trinklaune der Besucher der Wahlparty in Grenzen hielt, zogen die Semmeln neidische Blicke auf sich. Die dekorativen Häppchen waren mittlerweile ausgegangen, während die nervenzermürbenden Nachrichten Magenknurren erzeugten. Im Verlauf des Abends trafen weitere Hiobsbotschaften ein. Die Hochrechnungen aus den Regionen zeigten eine erstarkte AfD – und zwar vor allem in konservativen CSU-Stammlanden wie Niederbayern, Schwaben und auch der Oberpfalz.[2] Ein junger Journalist wollte von den Versammelten wissen, warum die CSU prozentual sogar mehr Stimmen verloren hat als die Schwesterpartei CDU.
Zwei Lokalpolitiker aus dem oberbayrischen Ingolstadt beklagten das in ihrer Stadt überdurchschnittliche Ergebnis der AfD von über 15 Prozent. Wie sich später herausstellen sollte, stürzte die CSU dort von 55,6 auf 41,7 Prozent. Dabei erlebt Ingolstadt einen wirtschaftlichen Boom und das gesamte Umland zählt zu den Regionen mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland. Die Politiker berichteten von ihren Wahlkampferfahrungen, von Hass und Wut der Bürger, die ihnen während des Haustürwahlkampfes entgegengeschlagen seien. Die CSU werde nicht mehr als bürgernah wahrgenommen, beklagten sie. Tatsächlich gebe es aber zunehmend Bemühungen um Bürgerdialoge, wie etwa bei der Herausarbeitung des neuen Grundsatzprogrammes der CSU; viel Energie sei zudem in den Haustürwahlkampf gesteckt worden – 200.000 Hausbesuche seien es vor dieser Wahl gewesen, so die Zahlen des Generalsekretärs Andreas Scheuer. Doch den Lokalpolitikern aus Ingolstadt zufolge erreicht man die Menschen so nicht wirklich; auch nicht einmal mehr an den Stammtischen, die sie als Relikt der Vergangenheit ansehen.
Sie hätten eine gewisse Scheu der Menschen erlebt, ihre Sorgen klar auszudrücken. Ihrem Eindruck nach wurde in der Wahlkabine vielfach ohne Vorwarnung ein Denkzettel ausgestellt. Eine neue Sehnsucht nach Unmittelbarkeit mache sich breit, die die CSU schlecht befriedigen könne. Diese Bürger zeigten sich unbeeindruckt von abstrakten Spielregeln der Politik, von der Kompromisssuche der repräsentativen parlamentarischen Demokratie oder dem transformativen Potenzial und langem Atem einer Bürgergesellschaft. Ihnen gehe es vielmehr darum, dass Politiker etwas Konkretes, das mit ihrer Lebenswirklichkeit direkt zu tun hat, vorschlagen und über alle Hindernisse hinweg durchsetzen. In den sozialen Brennpunkten von Ingolstadt, im Nordosten und Nordwesten, in denen viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion leben, erzielte die AfD 31,2 und 35,7 Prozent. Aber auch in den vier Wahlbezirken von Etting, einer klassischen Eigenheimgegend, erreichte sie zwischen 15,6 und 18,1 Prozent. Der Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl hat den Blick nach Ostdeutschland gelenkt. Dabei bedeutet deren gutes Abschneiden auch in Bayern gleichzeitig auch einen historischen Einbruch der CSU.
Doch trotz der Wahlschlappe, den stärksten Stimmverlusten im Vergleich zu anderen Parteien und der Kuriosität, dass selbst der Spitzenkandidat Joachim Herrmann kein Mandat über die Landesliste erringen konnte, unterstreicht die CSU derzeit lieber, dass sie alle Direktmandate für sich gewinnen konnte und mit sieben Überhangmandaten in der nächsten Legislaturperiode noch vor NRW die größte Landesgruppe in der Unionsfraktion stellen wird. Der Anteil der CSU-Abgeordneten innerhalb der Union sei sogar noch gewachsen. Anders als 2013, als eine Jamaika-Koalition theoretisch auch ohne die CSU möglich gewesen wäre, brauche man die CSU nun in jedem Falle. Damit am Ende eine Regierung steht, werde man einen zusätzlichen Parteitag organisieren, um das schwarz-gelb-grüne Bündnis in den eigenen Reihen zu legitimieren. Auch eine Mitgliederbefragung schließt die Parteileitung derzeit nicht aus. Da man allerdings die bisherigen konservativen Stammwähler, die sich schon dieses Mal für die AfD entschieden haben und ein Bündnis mit den Grünen generell ablehnen, zurückgewinnen möchte, wird die Ausarbeitung eines Koalitionsvertrages ein mühsamer und zeitintensiver Prozess sein. Generell, betont Seehofer, gelte daher weiterhin das gleiche Credo wie schon unter Strauß: Je politisch brisanter die Entscheidung, desto informeller wird der Entscheidungsprozess.
Klaudia Hanisch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Die Wahlbeteiligung in Bayern lag bei 78,3 Prozent und war damit um 8,1 Prozent höher als vor vier Jahren.
[2] Besonders große Erfolge erzielte die AfD in kleinen Gemeinden im Bayrischen Wald an der Grenze zu Tschechien. Im Wahlkreis Deggendorf kam die AfD auf 19,2 Prozent, während die CSU 15,5 Prozentpunkte verlor und jetzt bei 40,6 Prozent liegt.