(Un)Wirklichkeiten in Hannover

[kommentiert]: Lars Geiges über das TV-Duell zwischen Stephan Weil und David McAllister

Das Duell ist noch nicht vorbei, da ist für manche im Presseraum schon Schluss. Der Andruck ist da unerbittlich, der Text muss in die Zeitungsredaktion, auch wenn die Spitzenkandidaten von CDU und SPD ihre letzten Sätze noch gar nicht gesprochen haben. Die Überschrift über das mit Spannung erwartete „TV-Duell“ zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsident David McAllister und Herausforderer Stephan Weil steht bereits fest: „Duell auf Augenhöhe“. So hat es der Journalist zumindest kurz zuvor in seinen Laptop getippt.

Bei allem Verständnis für die Zwänge der medialen Sache: ein bisschen seltsam ist es schon. Der Leser dieses Berichts wird wohl kaum erfahren, dass sein Verfasser die letzten zwölf Minuten nicht berücksichtigt hat wegen des Andrucks. Nur gut, dass sich die Wirklichkeit im Aufnahmestudio in der verbliebenen Zeit nicht mehr allzu sehr von der Wirklichkeit im Computer des Zeitungsmannes wegbewegt hat. Natürlich sind dies nur lose Beobachtungen von einem live übertragenen Streitgespräch unter Politikern. Sie bedeuten – wie die, die noch folgen – womöglich gar nichts, sagen vielleicht aber doch ein wenig über „TV-Duelle“ aus. Denn es gab mehrere Schwierigkeiten mit den Wirklichkeiten an diesem Abend in Hannover.

Beim Fototermin für die Presse geben sich Stephan Weil und David McAllister vor dem „TV-Duell“ die Hände. Foto: Lars Geiges

Unwirklich war schon der Raum, in dem sich die Spitzenkandidaten an diesem Abend in Hannover „duellierten“. Das Messegelände der Landeshauptstadt ist mit seinen riesigen Hallen, menschenleeren Plätzen und dem Zaun außen rum ein abgeschirmter Tagungsort, vom Hauptbahnhof zwölf U-Bahnstationen entfernt. Aus einigen Hallen blitzt klinisch weißes Licht durch gläserne Fassaden, andere sind einfach nur schwarz. Es ist ein flüchtiger Ort der Sterilität. In Halle 17 befindet sich das Aufnahmestudio des NDR.

Schon klar, die Kameras brauchen gutes Licht, die Techniker entsprechende Aufnahmeausrüstung und genug Platz, um das TV-Ereignis für den Betrachter zu Hause aufzubereiten. Nur: Wie wahrhaftig kann man hier sein? Wie volksnah? Wie authentisch? Die Kandidaten sind umgeben von blauen Folienwänden nach drei Seiten hin, entlang der offenen Seite starren sie auf kurzer Entfernung vier mannshohe Kameras an und von oben erfahren sie die Hitze von mehreren Dutzend Leuchtstrahlern. „Das sind doch Profis. Die müssen das können“, sagt ein Journalist im Gespräch. „Aber es sind schon auch Menschen“, meint kurz darauf ein anderer.

Viel Glas, viel weißes Licht: Das Messegelände verbreitet abends einen eher sterilen Charme. Foto: Lars Geiges

Auch die Sprache der beiden Kandidaten fällt auf: viel Passiv, viele statische Verben und eine seltsam gepresst wirkende Betonung. So spricht niemand auf der Straße. Noch auffälliger ist, dass McAllister und Weil häufig Sätze formulieren, die das Wort „wir“ enthalten. „Wir“ ist ein unbestimmtes Personalpronomen. Wer ist mit „wir“ gemeint? Wen umfasst dieses „wir“ und wen nicht? Bedeutet „wir“ eigentlich „ich“? „Wir“ drückt vor allem das Unverbindliche, das Unbestimmte, auch das Unstetige aus. Eigentlich das genaue Gegenteil von dem, was beide Kandidaten von sich selbst behaupten zu sein.

Wie jemand redet, gehört zum Innersten des Menschen.[1] Doch sieht man auch – eine weitere Beobachtung des Abends –, dass McAllister und Weil es anders können. McAllister plaudert lässig mit Journalisten der BBC. Weil hält Small Talk mit Parteifreunden. Alles jenseits des Kamerafeldes. Und beide wirken dabei deutlich entspannter als vor den Kameras.

So sehr nach dem „TV-Duell“ die Anspannung von den Kandidaten abfällt, nimmt sie im Presseraum zu. Es geht um die Ergebnisdeutung. Vorangetrieben von Wahlkampfstrategen beider Parteien, von denen einige schon während des „TV-Duells“ fast jeden Satz des Opponenten online kommentierten, wird diskutiert, wer den besseren Eindruck hinterlassen haben könnte. Die Parteileute sind bemüht, ihren Kandidaten zu loben. Die Journalisten strengen sich an, starke und schwache Momente des Gesprächs ausfindig zu machen. Jede verschluckte Silbe, jeden kleinen Versprecher, jedes Blinzeln haben sie wahrgenommen und lassen alles in diesen Minuten in ihre Stegreif-Analysen einfließen. Es gehört zu ihrem Beruf.

 

Die Journalisten verfolgen im Presseraum das “TV-Duell”. Foto: Lars Geiges

Doch all das wirkt übersteigert und auf beiden Seiten angestrengt. So wie auch die Sendung selbst. Man fragt sich, welche Erkenntnisse der Zuschauer über das sekundengenaue Mitzählen und mehrfache Einblenden der jeweiligen Redezeiten erhält. Man überlegt, ob das separate Abhaken einzelner Themenkomplexe einem Gespräch dieser Art überhaupt förderlich ist. Auch weil es eine zweifelhafte Gleichwertigkeit aller während der 60-minütigen Sendung angesprochenen Politikbereiche suggeriert. Und man fragt sich, ob Koalitionsaussagen im Wahlkampf und aktuelle Umfragen, so wie vom Moderator unterstellt, für „die Leute da draußen“ tatsächlich eine derart große Bedeutung besitzen, um damit den Großteil des ersten Diskussions-Drittels zu füllen. Es bleibt der Eindruck, dass dem Ereignis „TV-Duell“ ein zu enges Korsett geschnürt wurde. Für Überraschendes, Kreatives, für Neues konnte es hier keinen Raum geben.

Die letzte Beobachtung stammt vom frühen Abend, zwei Stunden vor Beginn des „TV-Duells“, und auch sie erzählt ein kleines Stück über die Wirklichkeiten in Hannover. Auf dem Fernseher der Bahnhofskneipe läuft Sport. Ich frage den Wirt, ob er „dieses Duell heute Abend“ in seiner Kneipe zeige. Sofort weiß der Mann worum es geht. Man sieht es ihm an. Doch er schüttelt nur kurz den Kopf, sagt: „Das gibt es hier nicht“, wendet sich ab und geht.

Lars Geiges ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und beobachtete das TV-Duell der niedersächsischen Spitzenkandidaten vor Ort in Hannover.


[1] Vgl. Thomas Steinfeld, Der Sprachverführer, München 2010, S. 46.