David McAllister – eine steile Karriere

[analysiert]: Adrian Haack über die politische Karriere des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister.

David McAllister war gerade neun Jahre alt, als ein besorgter Lehrer – ein Sozialdemokrat – seine Mutter alarmierte, weil ihn die Äußerungen des Jungen an Franz Joseph Strauß erinnerten[1]. Im Rückblick erscheint diese Sorge nicht ganz unbegründet, denn als Jugendlicher rutschte McAllister – so zumindest in den Augen seines Lehrers – endgültig auf die bürgerliche Bahn ab und ging schließlich sogar zur Jungen Union, eine wichtige Einstiegsorganisation auf dem Weg in die Kommunalpolitik. Zwar mündet nicht jedes Engagement in der Jungen Union in einer CDU-Karriere, aber die meisten CDU-Karrieren beginnen mit dem JU-Betritt. Die Mitglieder des aktuellen CDU-Präsidiums jedenfalls haben fast sämtlich ihre politische Laufbahn in der JU begonnen – so auch der amtierende niedersächsische Ministerpräsident McAllister.

Die Typologisierung von Karriereverläufen deutscher Politiker geht auf Dietrich Herzog zurück. Dessen Phasenmodell ist Grundlage für die meisten späteren Typologisierungsmodelle und theoretische Basis für die maßgeblichen empirischen Arbeiten[2]. Im Phasenmodell wird eine schrittweise Annäherung an die Berufspolitik beschrieben. Die dort idealtypisch beschriebenen Bildungsverläufe lassen sich so oder ähnlich bei vielen Politikern finden. Noch während der Ausbildungsphase erfolgt der Beitritt in eine politische Partei. Hier übernehmen Personen Verantwortung in der Kommunalpolitik und steigen nach und nach in der Parteihierarchie auf, bis sie die Möglichkeit bekommen, in die Berufspolitik zu wechseln. Herzog unterscheidet dabei zwischen der Standard-Karriere und der reinen Polit-Karriere. Während der Standardpolitiker meist zunächst noch einige Jahre einem Beruf außerhalb der Politik nachgeht, mündet die reine Polit-Karriere relativ zeitnah nach Ende der Ausbildung in ein hauptberufliches politisches Mandat, wobei die Abgrenzungen zwischen beiden Karrieren fließend bzw. im Einzelfall schwierig zu ziehen sind. Durch dieses Phasenmodell lassen sich natürlich nicht alle Karriereverläufe zusammenfassen, aber doch die überwiegende Mehrheit. Der Quereinstieg in die Politik, die sogenannte Cross-Over-Karriere, bleibt in Deutschland eher die Ausnahme.

Gleich vorweg: Würde man auf Grundlage empirischer Arbeiten versuchen, den wahrscheinlichsten Lebenslauf eines fiktiven CDU-Ministerpräsidenten zu erstellen, dann wäre dieser wohl relativ deckungsgleich mit dem von David McAllister. Er hat eine im Herzog’schen Sinne klassische reine Politkarriere absolviert. Wenn man die Karrieremerkmale, wie bspw. das Studienfach oder das Engagement in der Kommunalpolitik, mit der Untergruppe der Spitzenpolitiker, die von der Union gestellt werden, abgleicht, wird der Zusammenhang noch deutlicher. Ergänzt man noch das KAS-Stipendium und die Dienstzeit beim Heer, dann könnte man bei David McAllister auch von einer „optimalen CDU-Karriere“ sprechen. Noch als Schüler trat er 1988 der Union bei. Nach dem Abitur 1989 diente er zwei Jahre lang als Zeitsoldat beim Heer. 1991 wurde er Kreisvorsitzender der Jungen Union Cuxhaven und nahm im gleichen Jahr das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Hannover auf (1. Staatsexamen 1996). Dabei wurde er durch ein Stipendium der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Nach dem Studium begann er sein kommunalpolitisches Engagement, als er 1996 in den Rat seiner Heimatgemeinde Bad Bederkesa gewählt wurde. 1998 folgte das zweite juristische Staatsexamen und die Zulassung als Rechtsanwalt. Im gleichen Jahr trat McAllister erfolgreich als Direktkandidat der CDU für den Landtag an. Als Mitglied des Landtages begann seine berufspolitische Laufbahn. Gleichzeitig hatte er einige kommunalpolitische Ehrenämter inne.

Dieser Bildungsverlauf  in Verbindung mit dem parteipolitischen Werdegang ist bei vielen Politikern zu finden.Denn allgemein gilt: 91 Prozent aller Spitzenpolitiker haben die Hochschulreife und  viele von ihnen können einen Hochschulabschluss vorweisen. Zudem verfügen viele über einen Doktortitel oder das zweite juristische Staatsexamen. So haben 30 Prozent Jura studiert, was auch unter Ministerpräsidenten die häufigste Studienfachwahl ist. Unter den letzten fünf niedersächsischen Ministerpräsidenten finden sich drei Juristen; auch McAllisters Herausforderer Weil ist Jurist. Dazu kommt, dass über 60 Prozent der Spitzenpolitiker ihre politische Laufbahn in der Kommunalpolitik begonnen haben und 57,9 Prozent der Spitzenpolitiker, die der reinen Polit-Karriere zuzuordnen sind, eine Führungsposition in einer politischen Jugendorganisation inne hatten, wobei dies am stärksten für die Union gilt.

Christian Wulff jedenfalls wurde auf den jungen Abgeordneten aufmerksam und übertrug McAllister 2002, kurz vor den niedersächsischen Landtagswahlen im Jahr darauf, das Amt des Generalsekretärs. Mit dieser Personalentscheidung ging Wulff ein enormes Risiko ein, schließlich setzte er auf einen vergleichsweise unerfahrenen Nachwuchspolitiker. Nachdem Wulff 1994 und 1998 bereits als Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen gescheitert war, wäre er wohl nach einer dritten Niederlage keine Zukunftsoption für seine Partei mehr gewesen. Auch aus der Perspektive von McAllister war dieser Amtsantritt mit einem Risiko behaftet, denn ein Scheitern bei der anstehenden Landtagswahl wäre in weiten Teilen auch ihm angelastet worden. Aber: Die CDU in Niedersachsen gewann die Landtagswahlen 2003. Ab jetzt bestimmte das Tandem Wulff und McAllister die niedersächsische Politik maßgeblich. McAllister wurde Fraktionsvorsitzender und bewährte sich auch in dieser Position. Die Sympathien, die er als Generalsekretär innerhalb der CDU gesammelt hatte, zahlten sich nun aus.

Die parteiinterne Beliebtheit und die scharfen Wortgefechte, die er sich im niedersächsischen Landtag mit der Opposition lieferte, blieben auch in Berlin nicht unbemerkt. 2005 wollte Angela Merkel den 34-Jährigen zum Generalsekretär der CDU Deutschlands ernennen. Landespolitiker sind oftmals geneigt, einem Ruf in die Hauptstadt nachzukommen, doch McAllister lehnte ab und blieb in Hannover, zunächst ohne weiteren Karrieresprung. Drei Jahre später jedoch gab Ministerpräsident Wulff das Amt des CDU-Landesvorsitzenden an ihn weiter. Zwischen seinem Amtsbeginn als Generalsekretär und seiner Wahl zum Landesvorsitzenden liegen nur sechs Jahre, zudem konnte McAllister 2008 98,9 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinen. Spätestens jetzt kam kaum ein Artikel über McAllister noch aus ohne Formulierungen wie ‚Kronprinz‘ oder ‘zukünftiger Ministerpräsident‘. Entsprechend erwartbar verlief auch die Wahl zum Ministerpräsidenten. Als Christian Wulff neuer Bundespräsident wurde, konnte es niemanden in Niedersachsen überraschen, wen die Schwarz-gelbe-Koalition zum neuen niedersächsischen Regierungschef machte – natürlich McAllister.

Hinsichtlich dieses Karriereweges könnte man McAllister eine „langweilige“ Karriere attestieren; bislang ist sie eine Erfolgsgeschichte ohne jegliche Niederlagen. Ein Alleinstellungsmerkmal zeichnet ihn jedoch aus: die Geschwindigkeit seines Aufstieges. Er hat in sehr jungen Jahren angefangen, politische Verantwortung in der Kommunalpolitik zu übernehmen. Bei seinem Einstieg in die Berufspolitik war er 27 Jahre alt – der Durchschnitt liegt bei 40 Jahren Generalsekretär der CDU in Niedersachsen wurde er mit 32 und schließlich war er bei Amtsantritt der jüngste Ministerpräsident Deutschlands. Obwohl McAllister nach wie vor betont, dass ihn nichts nach Berlin ziehe, sei noch aus Gründen der arithmetischen Betrachtung bemerkt, dass er es bei der übernächsten Bundestagswahl auch als Jüngster ins Kanzleramt schaffen könnte.

Adrian Haack promoviert am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er hat Politikwissenschaft in Hannover und Warschau studiert. Weitere Analysen zur Landtagswahl in Niedersachsen finden sich hier.


[2] Die Daten in diesem Beitrag stammen aus eigenen Recherchen, die ich im Zuge meiner Masterarbeit vorgenommen habe bzw. hauptsächlich aus den beiden nachfolgenden Titeln. Andreas Gruber liefert dabei eine umfassende Datenbasis zu deutschen Spitzenpolitikern, während sich die Daten der Ministerpräsidenten von Herbert Schneider aus den Amtsträgern von 1963-2000 zusammensetzten:  Gruber, Andreas K.: Der Weg nach ganz oben: Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker, Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften, 2009.  Schneider, Herbert: Ministerpräsidenten: Profil eines politischen Amtes im deutschen Föderalismus, Opladen: Leske + Buderich, 2001.