Über die eigene Arbeit und Geldgeber von Grundlagenforschung

[kommentiert]: Über unsere Studie „Bürgerproteste in Deutschland“

Vor einer Woche haben wir unsere neue Untersuchung über Bürgerproteste in Deutschland vorgestellt, die nun auch als Buch im Rowohlt Verlag vorliegt. Viele Medien haben über die BP-Gesellschaftsstudie berichtet, worüber wir uns sehr freuen.

Gerne hätten wir nun auch an dieser Stelle – bei uns im Blog – damit begonnen, Ergebnisse der Studie zu diskutieren, über Bürgerbeteiligung und Formen des Engagements zu schreiben sowie auch einmal grundsätzlich über die Frage nachzudenken, was das alles für die Verfasstheit unserer Demokratie bedeutet.

Diese Fragen müssen nun warten.

LobbyControl hat gestern (06.02.2013) auf ihrer Homepage unter der Überschrift „BP lässt Bürgerprotest untersuchen – was steckt dahinter?“ einen Artikel veröffentlicht. Autor ist der geschäftsführende Vereinsvorstand Ulrich Müller. Darin verdächtigt er uns des unredlichen/unwissenschaftlichen Arbeitens. Ein bemerkenswerter Vorgang, wie wir finden, der von Unwissenheit, Vorverurteilung und vor allem von tiefem, geradezu reflexhaften Misstrauen geprägt ist.

Der Kritiker raunt, wir hätten Auftragsforschung betrieben. Natürlich ist nichts daran richtig. Implizit wie explizit meint man jedenfalls auf Seiten der selbsterklärten Anti-Lobbyisten, dass drittmittelfinanzierte Forschung grundsätzlich interessengeleitet ist. Nun wird man nicht verhehlen können, dass die Frage nach den Interessen von Finanziers in der Forschung unzweifelhaft ihre Berechtigung habe. Das Ganze überschreitet aber dann eine Grenze, wenn wider besseren Wissens auch den ausführenden Forschern unterstellt wird, sie hätten Forschungsdesign, Interpretationen, Konzeptionen und Ergebnisse den Bedürfnissen ihres Mittelgebers angepasst. Jeder, der die Arbeit des Instituts für Demokratieforschung verfolgt oder auch nur hier auf der Homepage des Instituts ein wenig sucht, stellt fest, dass wir mittlerweile eine profunde Kenntnis über gesellschaftliche Bürgerproteste gesammelt haben und diese auch publiziert haben. Entsprechend lag es nahe, hierauf aufbauend eine weitergehende, tiefschürfende und systematische Studie zu erstellen. Vor dem Hintergrund haben wir Design, Methodik und Konzeption der Studie über Bürgerproteste überprüft, bewertet und weiterentwickelt – und zwar bevor wir überhaupt einen Förderer für das Vorhaben gesucht, geschweige denn gefunden haben.  Erst als das alles feststand, trat BP als Förderer auf. Weil wir Interesse an Grundlagenforschung haben, fixierten wir das vertraglich klar und unmissverständlich. Das bedeutet, dass wir frei sind in der Ausführung, Durchführung und Publikation unserer Ergebnisse.

Universitäten unterscheiden streng zwischen dieser Grundlagenforschung und der sogenannten Auftragsforschung. In die Grundlagenforschung kann und darf ein Förderer sich keinesfalls einmischen. Die Wissenschaftler sind vollständig frei in Forschung und anschließenden Publikationen. BP hat in der Rowohlt-Publikation daher keine Möglichkeit gehabt, Dinge zu ändern oder zu streichen. In unserem Forschungsinteresse standen die Fragen nach der Einstellung der Protestierenden zu Staat, Gesellschaft und Demokratie, nach ihren biographischen Hintergründen, nach Wertvorstellungen, Sozialmoral und Tradition. Was motiviert die Protestler? Was treibt sie an? Welche Ressourcen, Wissensbestände und Routinen bringen sie in die Arbeit rund um die Bürgerinitiative, den Verein oder das Netzwerk mit ein, welche Erfahrungen haben sie bisher mit zivilgesellschaftlichem Engagement, herkömmlichen politischen Institutionen oder gesellschaftlichen Strukturen gemacht? Es ging also zu keinem Zeitpunkt um die Sicht der Protestierenden auf Unternehmen oder deren geplante Projekte, sondern darum, die gegenwärtige diffuse Protestlandschaft zu untersuchen.

Die Gesellschaftsstudie schließt dabei an zahlreiche Arbeiten des Instituts an. Im Mittelpunkt unserer Forschung stehen und standen – schon zu Zeiten der „Arbeitsgruppe Parteien- und politische Kulturforschung“, die im Jahr 2010 im Institut für Demokratieforschung aufging – zumeist die eher „kleinen Leute“, die Aktivisten der Arbeiterbewegung, frühe Sozialisten und Sozialdemokraten, deren intellektuelle Stichwortgeber und politischen Führer. Die bürgerlich geprägten Neuen Sozialen Bewegungen waren Gegenstand etlicher hier entstandener Publikationen und Abschlussarbeiten. Zu Gründen und Motivationen der weit unterdurchschnittlich beteiligten unteren gesellschaftlichen Klassen forschten wir seit dem Jahr 2009 in der 2011 veröffentlichten Studie „Entbehrliche der Bürgergesellschaft?“ . Von Beginn an haben wir die Proteste gegen den Bahnhofsumbau „Stuttgart21“ mit quantitativen und qualitativen empirischen Erhebungen begleitet. Erhebungen zum geplanten Flughafenausbau Berlin-Brandenburg  führten wir 2011 durch. In welche Richtung sich diese mutmaßlich neuen Bürgerproteste entwickeln, wussten wir nicht.

Uns wurde vom selbst ernannten Kontrolleur vorgehalten, die Studienteilnehmer nicht korrekt über BP als Förderer informiert zu haben. Dazu: Es ist in der Sozialforschung nicht Usus, weil nicht sinnvoll, Gesprächsteilnehmer vorzuprägen und dadurch zu konditionieren. Längere Gespräche und Interviews, wie wir sie in diesem Fall durchgeführt haben, haben das Ziel, nicht nur klare Fakten herauszustreichen, sondern eben auch nach Motivationen und Eindrücken zu fragen, nach Befindlichkeiten und subtileren Strömungen zu schauen, kurz: sich Zeit zu nehmen für die individuell ganz verschiedenen Antriebe der Menschen. Wenn die Forschungsfrage von Anfang an offensiv erklärt wird, eröffnet sich für den Interviewer das Problem der sozialen Erwünschtheit. Dies bedeutet, dass die Annahme, der Gegenüber interessiere sich für dieses oder jenes, jede Antwort schon vorstrukturiert und lenkt. Dieser Forschungsansatz ist nur mit einem offenen methodischen Ansatz möglich. Mit einer Nennung von Hintergrund und Erkenntnisinteresse im Vorhinein hätten sich die Forschungsergebnisse erheblich verzerrt – und wären in der wissenschaftlichen Diskussion mit Recht kritisiert worden. Wer das nicht wahrhaben will, soll sich selbst einmal in die Niederungen der empirischen Sozialforschung begeben.

Dies bedeutet aber eben nicht, dass der Förderer verschwiegen, verschleiert oder unkenntlich gemacht wird, wie das von LobbyControl suggeriert wird. Auf Nachfrage wurde offen über den Förderer gesprochen und jeder Teilnehmer hat auch eine Erklärung unterzeichnet, die über unsere Selbstverpflichtung im Umgang mit seinen Aussagen informierte: dass das Gespräch anonymisiert und die Identitäten unkenntlich gemacht werden. Aber eben auch, dass es sich bei dem Forschungsprojekt um eine Kooperation mit dem Unternehmen handelt, wurde darin explizit erwähnt, die BP-Gesellschaftsstudie als solche benannt. Wenn jemand damit ein grundsätzliches Problem gehabt hätte, hätte er dies jederzeit signalisieren können und wir wären verpflichtet gewesen, seine Äußerungen für die Erstellung der Studie nicht mehr heranzuziehen.

Diese Vorgehensweise entspricht einer Forschungsethik, zu der wir über die Grundsätze guten wissenschaftlichen Arbeitens und darüber hinaus moralisch verpflichtet sind. Diese Grundsätze guten wissenschaftlichen Arbeitens im Bezug auf eine sozialwissenschaftliche Herangehensweise können beispielsweise im Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) nachgelesen werden.

Was die Transparenz unserer Forschung angeht, so ist dieser unserer Ansicht nach durch eine Veröffentlichung der Gesamtstudie als Buch in einem Publikumsverlag in einem hohen Maße entsprochen. Denn die Publikation enthält nicht nur die Ergebnisse und das Fazit der Studie, sondern eben auch die Vorgehensweise und im Methodenkapitel die Fragekomplexe, die wir an den Gegenstand gestellt haben. Es ist so für jedermann nachvollziehbar, mit welcher Fragestellung und welchem Erkenntnisinteresse wir den Interviewten begegnet sind.

Im Übrigen ist so auch für alle Leser erkennbar, dass die Fragerichtung der Studie mitnichten den Themenkomplex „Unternehmen und Protest“ beinhaltete. Von LobbyControl wurde uns jedoch  ebenfalls zwischen den Zeilen zum Vorwurf gemacht, dass wir für BP indirekt Erkenntnisse über mögliche Gegner lieferten. So Unternehmen als Protestgegenstand in der Studie überhaupt auftauchen, was in unserem Fall eher marginal war, ist dies keinesfalls einem fremd oktroyierten Erkenntnisinteresse zu verdanken. Unternehmen spielten in den Diskussionen – neben Politik und Medien – natürlich auch immer wieder eine Rolle. Dann allerdings verpflichten uns die oben zitierten Grundsätze guten wissenschaftlichen Arbeitens ganz selbstverständlich dazu, solche Nennungen nicht zu verschweigen.

Zusätzlich zu dem Buch, zu einem für wissenschaftliche Studien vergleichbar sehr geringen Verkaufspreis, haben wir eine Download-Zusammenfassung sowie einen Podcast auf der Homepage des Instituts veröffentlicht. Eine Publikationsstrategie, die unsere Forschungsergebnisse einfach zugänglich macht und es demzufolge einem großen Kreis an Interessierten ermöglicht, unsere Arbeit, Methoden und Ergebnisse zu verfolgen. Nicht viele Forschungsprojekte verfolgen dies auf diese Weise. Aber auch das gehört unserer Ansicht nach zu einer Wissenschaft, die öffentlich und transparent Rechenschaft ablegen möchte. Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat sich nie in Hinterzimmern wohl gefühlt, wo die wirklich heiklen Entscheidungsprozesse zwischen den Mächtigen ablaufen, sondern stets in das Getümmel der Öffentlichkeit gestürzt. Die taz etwa ist so ein Ort.

Schließlich und übrigens noch das: Der öffentlichen Kritik haben sich auch Initiativen von Bürgern auszusetzen. Nicht alles ist dort wunderbar sozial, gut demokratisch und einer rundum fairen gesellschaftlichen Integration zugetan. Unsere Studie zeigt: In diesem Bereich gibt es ebenfalls – neben allen wichtigen Impulsen und Belebungen für eine republikanische Zivilgesellschaft – bemerkenswert dunkle Schatten, expertokratische Phantasien wider die demokratische Volkssouveränität, auch einen neuen Lobbyismus sozial privilegierter Bürgertumszugehöriger. Ist es am Ende das, was LobbyControl stört? Die Kritik an den guten Freunden? Das wollen wir doch wirklich nicht hoffen.

Zum Schluss und nochmals: Unsere Forschung ist denkbar transparent. Die Studie liegt als Buch vor. Wer will, kann es lesen, kann selbst beurteilen, was er oder sie davon hält. Eine kontrollierende Vorinstanz braucht dazu niemand.

 Franz Walter, Felix Butzlaff, Lars Geiges und Stine Marg sind die Herausgeber des Buches „Die neue Macht der Bürger“.

Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier. Weitere Informationen zur Studie gibt es hier.