Frankreich in Aufruhr

[analysiert]: Teresa Nentwig über das geplante Ehe- und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare in Frankreich.

Das Ehe- und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, das die sozialistische Regierung einführen möchte, erhitzt in Frankreich derzeit die Gemüter. Es sind vor allem drei Szenen, die die Stimmung in unserem Nachbarland gut beschreiben: Am 13. Januar gingen in Paris zwischen 340.000 (laut Polizeipräfektur) und 1.000.000 (laut Organisatoren) Menschen auf die Straße, um gegen das Vorhaben der Regierung zu protestieren, darunter viele Familien, aber auch Führungsfiguren der konservativen Oppositionspartei UMP. Um die genaue Teilnehmerzahl wird gestritten; sicher ist nur, dass es die größte Demonstration gegen eine gesellschaftspolitische Reform in der französischen Hauptstadt seit vielen Jahren war. Die Demonstranten kamen nicht nur aus Paris, sondern waren mit zahlreichen Reisebussen und Sonderzügen aus ganz Frankreich angereist.

Die zweite Szene spielte sich am Abend des 29. Januar neben dem Parlamentsgebäude ab: Zwischen zweihundert und dreihundert Anhänger des ultrakonservativen katholischen Verbandes „Civitas“ knieten betend auf dem Boden. „Ich bitte Gott, dass diese Gesetzesvorlage nicht angenommen wird“, rief der Priester durch sein Megafon.

Der Ort der dritten Szene war der Plenarsaal der Nationalversammlung. Bei den Beratungen des von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwurfes, die am 29. Januar begonnen haben, ging es bislang heiß her – jemand, der sich mit parlamentarischen Zwischenrufen beschäftigen möchte, findet in den Protokollen der bisherigen Sitzungen ein vorzügliches Anschauungsfeld. Am 30. Januar beispielsweise skandierten zahlreiche Abgeordnete der UMP „Rücktritt! Rücktritt!“, nachdem Justizministerin Christiane Taubira gesprochen hatte. Einige Abgeordnete der sozialistischen Fraktion reagierten darauf mit dem Schimpfwort voyous (‚Gauner‘, ‚Ganove‘).

Haben die Franzosen eigentlich keine anderen Probleme, als sich dermaßen über ein solches gesellschaftspolitisches Regierungsvorhaben aufzuregen? Das mag sich ein deutscher Beobachter fragen. Und in der Tat: Die Probleme unseres Nachbarlandes sind riesig. Besonders deutlich macht dies die hohe Arbeitslosigkeit, die seit mittlerweile zwanzig Monaten scheinbar unaufhaltsam ansteigt. Und ein Ende ist nicht absehbar, ja: es gibt immer neue Hiobsbotschaften. So hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen (Personen, die mehr als drei Jahre arbeitslos gemeldet sind) im Dezember 2012 die symbolische Grenze von 500.000 überschritten. Daneben kündigen regelmäßig große Unternehmen massive Stellenkürzungen oder sogar Werksschließungen an. Ende Januar beispielsweise erklärte der amerikanische Reifenhersteller Goodyear, seine Fabrik im nordfranzösischen Amiens dichtmachen zu wollen – knapp 1.200 Arbeitsplätze sind damit bedroht.

Anstatt gegen den Abbau von Arbeitsplätzen auf die Straße zu gehen, protestieren die Franzosen also lieber gegen ein Gesetz, das die Ehe und die Adoption auch für lesbische und schwule Paare öffnet und diesen damit zusätzliche Rechte gewährt, ohne traditionellen Ehen irgendetwas wegzunehmen. Um die große Beteiligung an der Demonstration vom 13. Januar und die Vehemenz, mit der die Opposition im Parlament auf die Gesetzesvorlage reagiert, zu verstehen, muss vor allem auf vier Punkte hingewiesen werden. Erstens sind große Teile der französischen Gesellschaft gegen das geplante Gesetz der Regierung, weil sie erwarten, dass „stabile Anker der Existenz“ gewahrt werden, wie es der Politikwissenschaftler Philippe Portier ausdrückte. Zu diesen festen Bezugspunkten zählen sie, dass Ehen traditionell zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden, die gemeinsam ein Kind zeugen. Der UMP-Abgeordnete Bruno Le Maire präzisierte diese Sichtweise wie folgt: „Angesichts der Krise und mangels eines kollektiven Schicksals klammern sich viele Menschen an der Ehe fest, die als Element der Identität wahrgenommen wird, sowie an der Familie, die als schützende Zelle erlebt wird. Sie empfinden die Heirat von Homosexuellen als Bedrohung dieser letzten Bezugspunkte. Bei den Katholiken ist die Empörung noch größer, denn sie sehen darin einen echten Angriff auf ihre Werte.“

In diesem Zusammenpunkt ist ein zweiter Punkt anzuführen. Dass die Gegenwehr gegen die „Ehe und Adoption für alle“ so groß ist, könnte auch mit dem sogenannten état d’esprit der Franzosen zu tun haben, also mit ihrem Gemütszustand – sie sind derzeit äußerst pessimistisch, von Misstrauen und Trübsinn heimgesucht und vom Niedergang ihres Landes überzeugt. Die Tageszeitung Le Monde bezeichnete Frankreich infolgedessen kürzlich als „Land der depressiven Stimmung“. Hinzu kommt die große Verunsicherung, die die französische Gesellschaft prägt. In einer Ende Januar veröffentlichten Studie kam diese zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass sich 65 Prozent der Franzosen dafür aussprechen, die Entscheidungskompetenzen im eigenen Land zu stärken, auch wenn das auf Kosten der EU geht. Und sogar 87 Prozent der Franzosen sind der Meinung, dass „Frankreich einen starken Führer braucht, um wieder Ordnung zu schaffen“. Die These dieses Textes ist, dass ein Gesetz, welches in den Augen seiner Gegner die Ehe zwischen Mann und Frau als eine der letzten strukturierenden Institutionen der Gesellschaft aufweichen will, in dem beschriebenen Klima besonders großes Misstrauen und besonders starke Verunsicherung hervorruft.

Um den Protest gegen die „Homo-Ehe“ zu erklären, ist drittens auf die Homosexuellenfeindlichkeit – die Franzosen sprechen von homophobie – hinzuweisen. Der Vorwurf, schwulenfeindlich zu sein, perlt zwar an den Gegnern der „Homo-Ehe“ ab. Doch muss zugleich festgehalten werden, dass die Homophobie im letzten Jahr stark zugenommen hat. „Die Homosexuellen hatten den Eindruck, dass sie von der Gesellschaft akzeptiert werden, aber dies ist nicht der Fall“, so die Vorsitzende der Hilfsorganisation SOS Homophobie Elizabeth Ronzier. Bei den Demonstrationen gegen das von der Regierung geplante Gesetz gab es sogar Spruchbänder mit der Aufschrift: „La France a besoin d’enfants, pas d’homosexuels“ (‚Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen‘).

Auch wenn solche offen homophoben Äußerungen in den letzten Wochen eher die Ausnahme als die Regel waren, sehen Kommentatoren letztlich in einer latenten Abneigung gegen Homosexuelle das zentrale Problem. Der Abgeordnete der neuen Zentrumspartei UDI Jean-Christophe Lagarde brachte diese Sichtweise wie folgt auf den Punkt: „Bei vielen Leuten, die rechts stehen, gibt es eine Art psychologische Blockade: Die Heirat bringt in ihren Augen einen Mann und eine Frau zusammen, die eine Familie gründen wollen […]. Das wahre Problem besteht in der fehlenden Akzeptanz der Homosexualität.“

Als vierter und letzter wichtiger Aspekt, der die regelrechten Redeschlachten im Parlament zu erklären hilft, ist das ungeschickte Vorgehen der Regierung anzuführen. Am 30. Januar, also unmittelbar nachdem die Beratungen des Gesetzentwurfes in der Nationalversammlung gestartet waren, wurde ein Rundschreiben der französischen Justizministerin veröffentlicht, in dem die Zivilgerichte angewiesen werden, den von Leihmüttern ausgetragenen Kindern französischer Paare die Einbürgerung zu erleichtern. Diese Kinder, die meist gegen Bezahlung im Ausland ausgetragen werden und dort auch zur Welt kommen, haben zwar einen französischen Vater, aber keinen französischen Pass. Das Rundschreiben stellte eigentlich keine Überraschung dar, denn kurz zuvor, am 16. Januar, war es von der Justizministerin vor der Gesetzeskommission der Nationalversammlung angekündigt worden, ohne dass die anwesenden konservativen Abgeordneten dagegen Einwand erhoben hatten. Doch der unpassende Zeitpunkt der Veröffentlichung des Rundschreibens bot der Opposition die Möglichkeit, es zu instrumentalisieren – sie sieht darin den Versuch, durch die Hintertür die in Frankreich verbotene Leihmutterschaft zu legalisieren. Die Regierung wies diesen Vorwurf zwar sofort zurück; doch dies änderte nichts an den teils heftigen Angriffen, die die konservativen Politiker gegen ihre sozialistischen Kollegen richteten.

Die Debatten der Abgeordneten in der Nationalversammlung sollen nach derzeitigem Stand bis zum 10. Februar laufen – bei über 5.100 Änderungsanträgen der Oppositionsparteien sind weitere lange, bis tief in die Nacht gehende Sitzungen vorprogrammiert. Für den 12. Februar ist dann eine Abstimmung über den Gesetzestext geplant. Anschließend wird dieser im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, beraten. Auch dort dürfte es zu langen, hitzigen Wortgefechten kommen.

Dr. des. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.