[analysiert]: Matthias Micus über Österreich als Musterfall des Rechtspopulismus.
Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist ein besonderes Beispiel für eine rechtspopulistische Partei. Sie steht geradezu prototypisch für die Erfolgswelle des Rechtspopulismus seit den 1980er Jahren. Wie in einem Brennglas zeigen sich an ihrem Fall die Faktoren und Rahmenbedingungen, die auch in anderen Ländern, wenngleich weniger deutlich, den Aufstieg von Vertretern dieser Parteienfamilie begünstigen. Die FPÖ ist dadurch ein Musterfall des Rechtspopulismus – und zugleich außergewöhnlich.
Außergewöhnlich sind schon die nackten Zahlen, die Höhe und Konstanz ihrer Stimmanteile bei Wahlen. 1949 als Verband der Unabhängigen (VdU) zur politischen Vertretung Heimatvertriebener und ehemaliger Nationalsozialisten gegründet und 1956 in FPÖ umbenannt, bewegte sich die FPÖ ab 1966 zwanzig Jahre lang mit stets ca. fünf Prozent Stimmenanteil zunächst nur knapp oberhalb der Vier-Prozent-Hürde für den österreichischen Nationalrat. Mit der Wahl Jörg Haiders zum Parteiobmann 1986 setzte dann ein sprunghaftes Wachstum ein, das die Partei bei Nationalratswahlen ausgehend von 4,98 Prozent (1983) über 9,73 Prozent (1986) und 16,64 Prozent (1990) in den 1990er Jahren durchgängig über die Zwanzig-Prozent-Marke hob und schließlich bis in die Regierungsverantwortung trug, nachdem sie 1999 mit 26,91 Prozent hinter den Sozialdemokraten von der SPÖ und noch vor der christdemokratischen ÖVP zur zweitstärksten Kraft geworden war.
Durch Koalitionsquerelen, vorzeitige Neuwahlen und die Abspaltung des Bündnisses Zukunft Österreich (BZÖ) zwischenzeitlich geschwächt, erreichte die FPÖ bei den jüngsten Nationalratswahlen im Herbst 2013 abermals einen Anteil von über zwanzig Prozent, wohlgemerkt ohne die Stimmen für das separat kandidierende BZÖ. Und unbesehen auch des Antretens einer weiteren Partei des rechtspopulistischen Spektrums bei dieser Wahl, des um den österreichisch-kanadischen Unternehmer-Milliardär Frank Stronach neuformierten „Team Stronach“. Für die Europawahlen in diesem Jahr prognostizierte das Meinungsforschungsinstitut Gallup den „Freiheitlichen“ im Februar 2014 mit 22 Prozent wiederum einen Wert jenseits des Zwanzig-Prozent-Turmes und zudem neun Prozentpunkte mehr als bei der letzten europäischen Wahl vor fünf Jahren.[1]
Diese Erfolgsbilanz der FPÖ in den letzten dreißig Jahren, ihre Etablierung als Mittepartei, die sich an der Wahlurne auf Augenhöhe mit den alten Volksparteien der christ- und sozialdemokratischen Parteienfamilie befindet, und dies trotz der Aufsplitterung des rechtspopulistischen Lagers auf mittlerweile drei Parteien – FPÖ, BZÖ, Team Stronach –, mithin die breite gesellschaftliche Verankerung des Rechtspopulismus in Österreich lassen sich nur verstehen unter Berücksichtigung der spezifischen Strukturmerkmale des österreichischen politischen Systems. Österreich ist eine Konkordanzdemokratie. Und als solche zeichnet sie sich ganz wesentlich durch drei Merkmale aus: die Sozialpartnerschaft, Große Koalitionen als Regierungsbündnisse im Regel- statt im Ausnahmefall und eine weitreichende Patronage, welche der Absicherung der die politischen Richtungslager übergreifende Zusammenarbeit in Sozialpartnerschaft und Großen Koalitionen auf Führungsebene sowie dem Loyalitätserhalt für diesen Kurs an der Basis geschuldet ist.
Die Sozialpartnerschaft hat den Ausgleich zwischen vormals verfeindeten Interessen und Gesellschaftsgruppen zur Norm erhoben, ihre Kultur ist der Kompromiss. Ihr Geist ist das Denken in Gleichgewichten und Äquivalenten, eine jede Seite kann nur dann etwas gewinnen, wenn die Gegenseite eine gleichwertige Kompensation erhält. Die Sozialpartnerschaft hat daher die Herausbildung einer elitären Kameraderie begünstigt und dadurch die Formation einer geschlossenen, klassen- und interessenübergreifenden Führungsschicht gefördert. Insofern sie auf vertraulichen Absprachen und der Verlässlichkeit der Verhandlungspartner beruht, verstärkt sie den Zentralismus in der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung – von dem sie im Übrigen auch ihrerseits abhängt, da sozialpartnerschaftliche Abmachungen nur dann Handschlagqualität besitzen, wenn die Organisationsbasen den Verhandlungseliten vorhersehbar folgen. Und insofern sie mit den Gewerkschaftsführern und Kammervertretern Entscheidungsträger ermächtigt, die nicht durch allgemeine Wahlen legitimiert sind, hat die Sozialpartnerschaft eine Parallelstruktur zur offiziellen und öffentlichen Politik etabliert. Ihre Vertreter agieren auch aus diesem Grund weitgehend im Verborgenen, ihr idealtypischer Verhandlungsort ist das Hinterzimmer.[2]
Die österreichische Praxis, nach Wahlen Große Koalitionen zu bilden, führt darüber hinaus dazu, dass inhaltliche Differenzen zwischen den politischen Hauptkonkurrenten verwischen, rasche Kompromisse an die Stelle klärender Kontroversen treten und die Ränder des politischen Spektrums in der konkreten Politik besonders leicht aus dem Blick geraten. Waren sie zunächst noch eine plausible Lehre aus der innenpolitischen Frontstellung der Zeit zwischen den Weltkriegen, die in den diktatorischen Abgrund geführt hatte, überwogen die Probleme der Großen Koalitionen ihre Vorzüge daher umso mehr, je stärker sich die Nachkriegsdemokratie etablierte. Große Koalitionen entwerten den Parlamentarismus, degradieren die Abgeordneten zu bloßem Stimmvieh und ersticken jede Opposition oder Alternative schon im Keim. Wahlauseinandersetzungen mutieren zu Scheingefechten, da die beiden Hauptrivalen ja stets gleichermaßen für die Regierungspolitik, über die abgestimmt wurde, verantwortlich sind. Und indem beide Volksparteien vor allem auf die ominöse politische Mitte starren, öffnen sie weite Räume für andere Parteien, die eindeutigere und pointiertere Positionen vertreten.[3]
Hinzu kommt schließlich noch eine umfassende Patronagetätigkeit von SPÖ und ÖVP, welche die politische Szenerie in Österreich mit Wahlergebnissen von zusammen über neunzig Prozent der Stimmen und Mandate jahrzehntelang nahezu alleine prägten. Diese Patronage erstreckt sich bis heute auf zahlreiche nicht-politische Ämter und Funktionen etwa in Wirtschaft, Medien und Justiz, von den Staatsbetrieben über den Öffentlichen Rundfunk bis hin zu Richterernennungen, und führte zu dem geflügelten Wort von den „zwei Reichshälften“, einer sozialdemokratischen roten und einer christdemokratischen schwarzen, in welche die beiden alten Volksparteien Österreich eingeteilt hätten.
Dies alles bewirkt einen ausgeprägten Zentralismus und eine besonders weitgehende Entkoppelung von Eliten und gesellschaftlicher Basis. Es beinhaltet eine mangelhafte Sensibilität der Volksparteien für gesellschaftlichen Wandel, die obendrein weitgehend ununterscheidbar erscheinen, und eine allenfalls geringe Wirksamkeit von zivilgesellschaftlicher Kritik im Anbetracht einer schwachen parlamentarischen Opposition und auch deshalb geringen politischen – wie es so schön heißt – Responsivität. Und es bedeutet eine ebenfalls bezeichnend erhöhte Korruptionsanfälligkeit der Entscheidungsträger in Österreich, mithin die regelmäßige Wiederkehr politischer Skandalzeiten, markanter: von „Ekelkrisen“ (Sloterdijk), die weiteres Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten sind. Noch einmal: Es kommt nicht von ungefähr, sondern erklärt sich ganz wesentlich durch das System der Institutionen und die überkommene politische Kultur, dass in Österreich die FPÖ so stark ist – und hier das rechtspopulistische Spektrum darüber hinaus noch Platz für (zwei) weitere Wettbewerber bietet.
Das Beispiel der FPÖ zeigt mit Blick auf den nicht bloß österreichischen, sondern europa-, zumindest westeuropaweiten Rechtspopulismus darüber hinaus noch dreierlei. Erstens lässt sich an den Freiheitlichen die Ambivalenz organisatorischer Stärke festmachen. Einerseits verbürgt die Geschichte der FPÖ, verbürgen ihre Traditionen und Mythen sowie vor allem auch ihre gewachsenen Organisationsstrukturen Stabilität in Krisenzeiten. Die FPÖ verschwand daher nach ihrem Einbruch bei Wahlen zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht von der Bildfläche, sondern bestand fort, sammelte und regenerierte sich, sodass sie mittlerweile ihr Zustimmungstal durchschritten und zu alter Stärke zurückgefunden hat. Andererseits stellen das lokale (Führungs-)Personal und die Untergliederungen aber auch einen ständigen Problemherd dar. Vielfach waren in der Vergangenheit FPÖ-Funktionäre in Skandale verstrickt, durch unvorsichtige Äußerungen etwa, die danach zurückgenommen werden mussten, oder durch Selbstbereicherung. Ebenso erschwert der gewachsene Eigensinn der Parteibasis bei allem auch in der FPÖ vorhandenem Autoritarismus die Durchgreifmöglichkeiten des Vorsitzenden und erhöht dessen Begründungszwänge für plötzliche Kurs- und/oder Strategiewechsel.
Zweitens fällt bei der Betrachtung der FPÖ die zeitliche Koinzidenz zwischen ihrem Aufstieg und der Diskussion, den Verhandlungen und dem schlussendlichen Vollzug des österreichischen Beitritts zur EU auf. Zeitgleich mit der Frage, ob das bis dato neutrale Alpenland Mitglied der Europäischen Union werden solle, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre anhob, begann der Aufstieg der FPÖ; in den Jahren um den Beitritt 1995 herum erlebte sie dann ihre erfolgreichste Zeit an den Wahlurnen. So wenig Aufstieg und Erfolg des Rechtspopulismus auf die EU alleine zurückgeführt werden können, so deutlich wird doch schon durch diese knappen Ausführungen der Einfluss des Europathemas. Zumal die FPÖ – in diesem Punkt ganz exemplarisch für den europäischen Rechtspopulismus – programmatisch auf einen nationalen Kapitalismus abzielt, der gegen die Globalisierung und gegen die EU, nicht aber gegen die Marktwirtschaft an sich gerichtet die Früchte der österreichischen Wirtschaftskraft Österreichern vorbehalten will.
Schließlich ist die FPÖ Beispiel wie auch Vorreiter des „Neopopulismus“, wie wir ihn aktuell gewärtigen. Laurent Bouvet zufolge zeichnet dieser sich durch eine „neolibertäre Islamfeindschaft“ aus, also dadurch, dass er Menschenrechte, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gegen einen islamischen Fundamentalismus zu verteidigen behauptet, der z.B. Frauen- und Homosexuellenrechte im Namen von familiären und religiösen Werten in Abrede stelle.[4] Eben diesen Schwenk, der auch die Unterteilung der Migranten in „gute“ christliche und „schlechte“ islamische Zuwanderer einschließt, hat die FPÖ unter dem Nachfolger von Jörg Haider, Heinz-Christian Strache, vollzogen. Unter diesem mutierten die Freiheitlichen von einer historisch antiklerikalen Bewegung zu Verteidigern des christlichen Abendlandes und gerierten sich nicht mehr generell kirchenfeindlich und pauschal fremdenfeindlich. Stattdessen gründete die Strache-FPÖ für christliche Migranten die „Christlich-Freiheitliche Plattform“ (CFP), wirbt heute bei Wahlkämpfen um kirchengebundene Serben, sucht die Vernetzung mit religiösen Vereinen und tritt für ein christliches Europa mit Werten wie Familie und Tugendhaftigkeit ein.[5] Dies geschah im Übrigen schon in ihrem Grundsatzprogramm von 1997 – zumindest programmatisch also noch unter Haider –, mit dem sie sich im innerkirchlichen Reformstreit zum Fürsprecher konservativer Kirchenkreise aufzuschwingen versuchte.
Freilich lässt sich gegen einen libertären Neopopulismus der FPÖ einwenden, dass sie in innenpolitischen Fragen sehr viel weiter rechts steht als einige andere europäische Schwesterparteien, z.B. die PVV in den Niederlanden. Doch zeigt das eben nur die kulturelle Bedingtheit der je landesspezifischen populistischen Strategie und Inhalte. Und dies legt in einem ländlich geprägten Gemeinwesen ohne stärkere liberale Traditionsstränge und mit einer eher konservativen Grundmentalität eine andere Ausrichtung nahe als in einem kaufmännisch-liberal-aufgeklärten Umfeld. Auch insofern ist die FPÖ folglich ein Anschauungsbeispiel für verallgemeinernde Betrachtungen über die österreichischen Landesgrenzen hinaus.
Dr. Matthias Micus ist akademischer Rat am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. Christ, Sebastian: Europawahlen im Mai: Umfragen sehen Aufwind für Rechtspopulisten, 11.02.2014, abrufbar unter http://www.huffingtonpost.de/2014/02/11/europawahlen-rechtspopulisten_n_4766229.html [eingesehen am 01.04.2014].
[2] Vgl. Pelinka, Anton: Sozialpartnerschaft als Alltagskultur, in: Maimann, Helene (Hg.): Die ersten 100 Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888-1988, Wien 1988, S.317-318, hier S.318.
[3] Vgl. Pelinka, Anton: Zur Krise der SPÖ, in: Europäische Rundschau, H.3/2008, S.39-43.
[4] Vgl. Bouvet, Laurent: Responding to populist value triangulation, in: Policy Network (Hg.), Exploring the cultural challenges to social democracy, London 2011, S.28-31.
[5] Apfl, Stefan/ Toth, Barbara: Der Kampf ums Kreuzerl, in: Falter, 15.09.2010.