[kommentiert]: Marika Przybilla über die politische Situation in Thailand.
Das Königreich Thailand ist ein Land, das vielen nur aus dem Urlaub bekannt ist. Doch was passiert dort eigentlich auf politischer Ebene? Das Königreich fällt durch mehrere Besonderheiten auf: König Bhumibol ist das am längsten amtierende Staatsoberhaupt der Welt, seit 69 Jahren steht er an der Spitze des Landes. Zudem sticht Thailand durch eine Besonderheit zwischen seinen südostasiatischen Nachbarstaaten hervor: Nie ist es durch ein europäisches Land kolonialisiert worden. Dieser Tatsache entspringt auch der Name des Landes Prathet Thai – Land der Freien. Dieser Begebenheit steht allerdings die aktuelle politische Situation, und somit ein weiteres Merkmal Thailands, konträr gegenüber. Thailand ist derzeit auch das einzige Land in Asien, in dem offiziell das Militär an der Macht ist – und dies ohne jegliche demokratische Legitimation und ohne absehbares Ende. Seit 2014 ist der Armeeführer Prayuth Chan-ocha Premierminister des Landes und somit Regierungschef. Wie konnte dies geschehen? Wie wurde das „Land der Freien“ zu einem Staat, in dem das Militär an der Macht ist?
Seit 1932 ist Thailand eine konstitutionelle Monarchie, in der eine Vielzahl von nicht-staatlichen Akteuren und Interessengruppen – etwa das Militär, Unternehmer oder Mitarbeiter im höheren Dienst der ausgeprägten thailändischen Bürokratie – die politische Entwicklung des Königreichs mitgeformt haben und bis heute Einfluss auf das politische System und seine Strukturen nehmen. Sie können als Regime-framers verstanden und das politische System selbst kann unter dieser Perspektive als eine Plutokratie eingestuft werden.[1] Aufgrund des Einflusses vieler unterschiedlicher staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, der mit differierenden Interessen einhergeht, ist die politische Lage bis zum heutigen Zeitpunkt instabil. Als zwei der wenigen Konstanten können die Monarchie und das allgegenwärtig dominierende Prinzip der Dreifaltigkeit „Nation, religion, king“ gesehen werden.[2]
Aufgrund seiner engen Verbindung zum Königshaus und in die Regierungskreise hinein kann darüber hinaus das thailändische Militär als dominanter Akteur gelten. Sich selbst sieht es als Beschützer der Nation, und übt immer dann Macht aus, wenn das Land vermeintlichen internen oder externen Gefahren gegenübersteht. Wie in vielen anderen asiatischen Staaten auch, sieht sich das Militär in Thailand als „Wächter“ der Nation.[3] Die thailändische Regierungsweise entspricht dadurch einer Mischung aus Militärherrschaft, einer sogenannten thaistyle Demokratie, und konstitutioneller Monarchie.[4] Aufgrund dieser instabilen politischen Konstellation stellt in Thailand ein Umsturz der Regierung durch einen Putsch, der mit einer Machtübernahme seitens des Militärs einhergeht, keine Besonderheit dar. Betrachtet man den Zeitraum 1932 bis 2015, so zeigt sich, dass im Durchschnitt alle 4,1 Jahre ein Putsch, oder ein zumindest ein Versuch, stattgefunden hat. Über die Hälfte davon, rund sechzig Prozent, verliefen erfolgreich Die Geschehnisse von 2014 können somit als typisch für die vergangenen politischen Umstürze eingestuft werden.
Um diese jedoch nachvollziehen zu können, muss drei Jahre vorgegriffen werden – auf die allgemeinen Wahlen im Jahr 2011. Diese sollten als Wegweiser für die politische Entwicklung Thailands dienen. Damals ging die Pheu Thai Party als Sieger hervor und die Managerin Yingluck Shinawatra, die über geringe politische Erfahrung verfügte, trat an die Regierungsspitze des Königreichs. Blickt man auf ihren familiären Hintergrund, ist diese steile politische Karriere kaum verwunderlich. Als Schwester des ehemaligen Premiers Thaksin Shinawatra, der von 2001 bis 2006 an der Regierungsspitze gestanden hatte, durch einen Putsch Amtes entmachtet worden war und welcher der Korruption sowie des Amtsmissbrauches angeklagt worden ist, galt sie als Hoffnungsträger der Pheu Thai Party. Thaksin hatte sich während seiner Regierungszeit bei großen Teilen der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut, die er mittels einer Vielzahl an von ihm in der Wahl versprochenen und letztlich sogar durchgesetzten Sozialprogrammen und dadurch besonders in ländlichen Gebieten und bei der Unterschicht Thailands gewonnen hatte.[5] Er und seine politischen Anhänger entwickelten sich zu starken Konkurrenten für das bisherige Machtgefüge von Monarchie, Militär und Elite. Doch seit sich Thaksin nach dem Putsch von 2006 im Exil befindet, hat das politische Lager um ihn an Einflusskraft verloren und die Macht an die königstreuen Allianzen abtreten müssen.
Mit Yingluck an der Spitze der Partei sollte sich dies wandeln. Mit einem wahrhaftigen Erdrutschsieg und ihren hohen Stimmenanteilen war die Pheu Thai für eine Regierungsbildung auf keinen Koalitionspartner angewiesen.[6] Doch schon während des Wahlkampfes war starke Kritik an der Kandidatin geübt worden; zumal immer deutlicher wurde, dass sie unter dem Einfluss des im Exil lebenden Thaksins stand und auch enge Verbindungen zu ihm unterhielt.[7] Kritiker und Gegner erachteten im Zuge des Sieges und der Regierung Yinglucks eine Rückkehr Thaksins als höchstwahrscheinlich. Ein 2013 geplantes Amnestiegesetz, das auch politische Verfolgte und Gefangene betraf und ihnen die Rückkehr nach Thailand ermöglichen sollte,[8] schürte diese Befürchtungen noch mehr.[9] Die Legitimität der Regierung wurde verstärkt infrage gestellt und auf den Straßen der Landeshauptstadt protestierten die Bürger.
Unter den zunächst friedlichen Demonstranten befanden sich Anhänger unterschiedlicher Gruppen. Die Proteste wurden öffentlich von der Opposition, der Democrat Party, unterstützt. Diese stand dem Bündnis von Monarchie, Militär und Eliten nahe. Sie hoffte, in der Bevölkerung an Zustimmung zu gewinnen, nachdem sie durch den Aufstieg der Pheu Thai Party an Unterstützung verloren hatte. Die Stimmung heizte sich auf und gipfelte in einer kompromisslosen Forderung der Demonstranten: der Absetzung der Premierministerin sowie der Rückzug der Shinawatra-Familie aus der thailändischen Politik.[10] Ein von Yingluck Shinawatra unterbreitetes Verhandlungsangebot lehnten die Demonstranten ab.[11] Um dem Unwillen bezüglich der politischen Situation Ausdruck zu verleihen, traten Mitte November neun Mitglieder der Opposition des thailändischen Parlaments zurück.[12] Im Zuge dieser Geschehnisse wurde im Dezember durch Yingluck das thailändische Unterhaus aufgelöst[13] und für den Februar 2014 wurden allgemeine Neuwahlen ausgerufen.[14] Der König hatte sich bis dahin nicht zu den Unruhen geäußert und trat aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands nicht in der Öffentlichkeit auf. Die politische Situation in Thailand war unklar, das politische Klima vergiftet und die Stimmung in den Straßen Bangkoks äußerst angespannt. Die Demonstrationen wurden gewalttätig und ein Eingreifen des Militärs zur Beruhigung der Lage wurde erwartet. Verleumdungen, falsche Vorannahmen, zerstrittene politische Lager und fehlende Objektivität dominierten in dieser Phase das gesellschaftliche und politische Bild.
Schließlich geschah das Erwartbare und Geschehnisse aus der Vergangenheit des Landes wiederholten sich.
Die bisherige Premierministerin Yingluck und Vertreter ihrer Partei wurden am 7. Mai 2014 durch den thailändischen Gerichtshof aufgrund der gegen sie erhobenen Anklagen des Amtsmissbrauches und der Vorteilsnahme ihres Amtes enthoben.[15] Kurze Zeit später wurde, am 20. Mai 2014, durch die Armee unter der Führung des thailändischen Armeechefs, Prayuth Chan-ocha, das Kriegsrecht ausgerufen – einhergehend mit der Begründung, dass die Armee die Konflikte zwischen den Parteien beruhigen sowie für nationale Ruhe und Frieden sorgen werde. Verhandlungsgespräche zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern blieben erfolgslos und das Land ohne geregelte politische Führung. Dieses Moment der Instabilität und Unsicherheit nutzte das Militär: Unter dem Kommando des Militärführers Prayuth Chan-ocha übernahm es die umfassende Regierungsgewalt. Mittlerweile (im Winter 2016) hat das Militär diese seit über anderthalb Jahre inne, versprochene demokratische Wahlen werden immer wieder verschoben und Kritiker des derzeitigen politischen Zustandes mundtot gemacht.[16] Das „Land der Freien“ hat sich in eine Militärdiktatur verwandelt.
Was hat also dazu geführt, dass ein Armeechef an die Spitze des Staats gelangen konnte und jegliche demokratischen Grundwerte in Thailand ausgehebelt worden sind? Es waren extreme Differenzen zwischen unterschiedlichen Parteien innerhalb des Landes, die nicht überbrückt werden konnten, die so gravierend waren, dass jegliche Kommunikation miteinander unmöglich wurde und eine Regierungsunfähigkeit entstand. Die Belange der Bevölkerung und die Verantwortung der Machthabenden für das Wohl jedes einzelnen gingen dabei unter. So entstand ein Vakuum, das mit den dargestellten Konsequenzen von den Militärs genutzt worden ist.
Marika Przybilla ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. Connors, Michael: Liberalism, authoritarianism and the politics of decisionism in Thailand, in: The Pacific Review, Jg. 22 (2009), H. 3, S. 355–373, hier S. 356 f.
[2] Siehe Morell, David/Samudavanija, Chai-anan: Political Conflict in Thailand. Reform, Reaction, Revolution, Cambridge 1981, S. 4 f.
[3] Vgl. Croissant, Aurel et al.: Democratization and civilian Control in Asia, Basingstoke 2013, S. 9.
[4] Vgl. Connors, Michael: Thailand – Four elections and a coup, in: Australian Journal of international Affairs, Jg. 62 (2998), H. 4, S. 478–496, hier S. 480.
[5] Vgl. Croissant, Aurel: Wohlfahrtsregime in Ostasien. Strukturen, Leistungsprofile und Herausforderung, in: Betz, Joachim/Hein, Wolfgang (Hrsg.): Neues Jahrbuch dritte Welt. Soziale Sicherung in Entwicklungsländern, Opladen 2004, S. 121–147, hier S. 136.
[6] Vgl. Farrelly, Nicholas: Thailand: Thaksin survives yet disquiet floods the Kingdom, in: Southeast Asian Affairs, Jg. 2012, S. 301–317, hier S. 304.
[7] Vgl. Matern, Tobias: Erdrutschsieg für die Rothemden, Süddeutsche Zeitung online, 03.07.2011, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/thailand-wahlsieg-fuer-die-rothemden-es-ist-ein-erdrutschsieg-1.1115658 [eingesehen am 27.01.2015].
[8] Vgl. Herrmann, Wilfried A. : ‚Amazing Thailand‘: Nach neun Jahren politischer Instabilität am Abgrund?, in: GIGA Focus, H. 4/2014, S. 1–8, hier S. 2.
[9] Siehe Hughes, Michael: Thailands invisible revolution, in: Huffington Post online, 04.01.2014, URL: http://www.huffingtonpost.com/michael-hughes/thailands-invisible-revol_b_4539979.html [eingesehen am 19.08.2014].
[10] Vgl. Herrmann 2014, S. 2 f.
[11] Vgl. Yu, Wenchi: Can the Kings speech pacify Thailand?, in: The Diplomat online, URL: http://thediplomat.com/2013/12/can-the-kings-speech-pacify-thailand/ [eingesehen am 10.12.2013].
[12] Vgl. Treesuwan, Hathaikarn: Nine Democrats MPs resign to lead anti-government protest, in: The Nation, 12.11.2013, URL: http://www.nationmultimedia.com/politics/Nine-Democrats-MPs-resign-to-lead-anti-government–30219368.html [eingesehen am 23.11.2013].
[13] Vgl. Website des thailändischen Ministeriums für Öffentlichkeitsarbeit, URL: http://thailand.prd.go.th/ewt_news.php?nid=1378&filename=index [eingesehen am 03.01.2014].
[14] Vgl. LaRocco, Tim: Elections no fix for Thailands political problems, in: The Diplomat online, 21.12.2013, URL: http://thediplomat.com/2013/12/elections-no-fix-for-thailands-political-problems/ [eingesehen am 03.01.2014].
[15] Vgl. Fuller, Thomas: Thai Prime Minister ordered removed from office, in: New York Times online, 07.05.2014, URL: http://www.nytimes.com/2014/05/08/world/asia/court-orders-thai-leader-removed-from-office.html?_r=0 [eingesehen am 10.05.2014].
[16] Vgl. Passau watching Thailand: Kultfigur der Anti-Putsch Bewegung Sombat Boon-Ngamanong festgenommen, in: Passau Watching Thailand, 05.06.2014, URL: http://passauwatchingthailand.com/2014/06/05/kultfigur-der-anti-putsch-bewegung-sombat-boon-ngamanong-festgenommen/#more-1634 [eingesehen am 18.06.2014].