US-Politik: It takes two to Tango

Beitrag verfasst von: Dr. Torben Lütjen

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[kommentiert]: Torben Lütjen kritisiert den populären Erklärungsansatz der „asymmetrischen Polarisierung“ der politischen Lager in den USA

In den Debatten über die ideologische Spaltung der USA hat seit einiger Zeit ein Begriff große Konjunktur: „Asymmetrische Polarisierung“. Gemeint ist damit, dass Amerika zwar in der Tat polarisiert sei, die Verantwortung dafür aber nicht bei beiden Seiten gleichermaßen zu suchen sei. Kurz gesagt: Während die Demokraten weiterhin die politische Mitte verkörperten, seien die Republikaner seit geraumer Zeit in den ideologischen Extremismus abgedriftet. Doch diese Deutung stellt allenfalls die halbe Wahrheit des Zustands der amerikanischen Politik dar.

Am pointiertesten haben die These von der „asymmetrischen Polarisierung“ zwei Politologen vertreten, die seit vielen Jahrzehnten als intime Kenner des amerikanischen Kongresses gelten: Thomas Mann von der liberalen Brookings Institution und Norman Ornstein vom konservativen American Enterprise Institute. Beide galten stets als honorige, über die jeweiligen Parteigrenzen geschätzte Grandsigneurs des Washingtoner Politikbetriebes. Wohl auch deshalb hat ihr letztes gemeinsames Buch für großes Aufsehen gesorgt. Darin ging es, wieder einmal, um die Paralyse des amerikanischen Kongresses, der aufgrund der schroffen Lagerbildung zwischen den Parteien als Ort der Gesetzgebung praktisch ausfalle. So weit, so bekannt. Mann und Ornstein allerdings beschäftigte v.a. die Schuldfrage: Ihrer Ansicht nach seien die Republikaner diejenigen, die eine reine Obstruktionspolitik betreiben würden und ein Hort des Extremismus geworden seien. In ihren eigenen Worten:

„The Republican party has become an insurgent outlier – ideologically extreme; contemptuous of the inherited social and economic policy regime; scornful of compromise; unpersuaded by conventional understanding of facts, evidence and science; and dismissive of the legitimacy of its political opposition.“[1]

Man kann das gewiss einleuchtend finden, und tatsächlich stellt es mittlerweile die herrschende Meinung auch der amerikanischen Politikwissenschaft dar. Allein schon die martialische Rhetorik und die erkennbar paranoiden Wesenszüge machen den amerikanischen Konservativismus zu einem Fall ganz eigener Art. Das ist auch jetzt wieder zu beobachten, im Vorwahlkampf 2016, in dem die Kandidaten sich mit apokalyptischen Szenarien über die Zukunft der USA überbieten und der Diskurs sich auch sprachlich vollständig entgrenzt hat. Und im Kreise konservativer Politikaktivisten wird, sobald der Name Barack Obama fällt, mit Wörtern wie Sozialismus, Kollektivismus, selbst Faschismus umhergeschmissen, als handle es sich dabei um Kamellen beim Kölner Karnevalsumzug.

Kurzum: Ist das Problem des Landes in Wahrheit nur das Problem einer, mit Verlaub, verrückt gewordenen Republikanischen Partei?

Damit würde man die Sache freilich etwas voreilig zu den Akten legen. Zum einen: Streng genommen ist so etwas wie eine „asymmetrische Polarisierung“ eine denkbar unwahrscheinliche Konstellation. Im Rahmen eines abstrakten Raummodells ist es natürlich möglich, dass zwei Punkte sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit von einer statisch fixierten Mitte fortbewegen. Das Problem ist nur, dass Gesellschaften so nicht funktionieren. In der realen Welt es wäre ungewöhnlich, wenn der Extremismus der einen Seite nicht auch das Weltbild der anderen Seite veränderte.

Machen wir die Probe, was „asymmetrische Polarisierung“ wirklich bedeuten müsste. Eines der stets wiederkehrenden Argumente der Verfechter der These lautet, dass – während die Republikaner sich ideologisch fast vollständig homogenisiert hätten – die Demokraten noch immer eine „Big Tent“-Partei seien, deren Eliten wie Anhänger sich ideologisch zwischen links und mitte-rechts verorten würden.

Wenn es aber so wäre, dass nur die Republikaner die politische Mitte geräumt haben, dann müsste sich die Situation im amerikanischen Kongress im Grunde wie folgt darstellen: Quasi alle Republikaner würden dann gegen die Homoehe agitieren – unterstützt von einem beträchtlichen Teil der Demokraten; praktisch alle Republikaner hielten dann die Idee eines von Menschen verursachten Klimawandels für großen Unsinn – unterstützt von einer größeren Zahl von Demokraten; quasi alle Republikaner würden das Heil in weiteren Steuersenkungen sehen – unterstützt von einer beträchtlichen Zahl von Demokraten. Und so weiter und so fort. Aber wäre das wirklich so, dann wäre der Zustand des Landes akkurater als (konservative) „Hegemonie“ zu bezeichnen – und nicht mit dem Wort „Polarisierung“. So eine Zeit gab es im Übrigen auch: die 1980er und 1990er Jahre, als die Republikaner weltanschaulich bereits weitaus stärker auf Linie gebracht waren als die Demokraten.

Heute aber ist das anders. Die USA leben tatsächlich in einer Ära stabiler Lagerpolarisierung, weil sich Demokraten und Republikaner auf faktisch allen Feldern mit konträren, unversöhnlichen Standpunkten gegenüberstehen. Denn so, wie sich die Republikanische Partei im Verlauf der letzten Jahrzehnte durch den Wegfall liberaler oder moderater Kräfte im inneren homogenisiert hat, so haben sich auch die Demokraten weltanschaulich vereinheitlicht. Wer heute noch in der Demokratischen Partei des Jahres 2016 Karriere machen und in den Vorwahlen bestehen will, hat einen ähnlichen ideologischen „Reinheitstest“ vor sich, wie ihn republikanische Kandidaten schon länger durchlaufen: Man ist selbstredend für eine stärkere Rolle des Staates und eine Besteuerung höherer Einkommen; man hält selbstverständlich den Klimawandelt für die größte Herausforderung der Menschheit; man ist natürlich für die völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare; man unterstützt ebenso selbstverständlich eine liberale Reform der Einwanderungsregeln.

Nun mag man diese Positionen – und die meisten Leser dieses Blogs dürften es gewiss so sehen – ja gar nicht für weltanschaulich begründungspflichtig halten, sondern einfach für den puren Ausfluss des gesunden Menschenverstandes. Nur: Kaum eine der gerade genannten Positionen war in der Vergangenheit unumstritten in der Partei. In den 1990er Jahren verkündete der demokratische Präsident Bill Clinton noch: „The era of Big Governemnt is over.“ Damit würde man heute, da der selbsterkläre Sozialist Bernie Sanders in den Umfragen für die Vorwahlen der Partei auf ca. vierzig Prozent der Stimmen kommt, als Demokrat zwischen Maine und New Mexico keinen Blumentopf mehr gewinnen. Geradezu in atemberaubender Geschwindigkeit verlief schließlich der Homogenisierungsprozess bei gesellschaftspolitischen Fragen. Noch kurz vor dem Wahlkampf 2012 hatte sich Obama mit der Forderung nach der völligen rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare außerordentlich schwergetan. Schließlich schwenkte er um: zum einen, weil die Umfragen ihm verhießen, dass aus einem „losing issue“ nun ein „winnig issue“ geworden sei; aber v.a., weil eine drängende Parteibasis mit dem Präsidenten langsam die Geduld verlor. Allein: 2012 war Obama nicht der einzige Demokrat, der zögerte. Heute, keine vier Jahre später, ist dies jedoch die absolute Mehrheitsmeinung geworden.

Und so könnte man es weiter durchdeklinieren. Fraglos ist die Verschärfung des linksliberalen Profils der Partei auch Resultat der jahrzehntelangen Konfrontation mit einem unnachgiebigen, ideologisch hochgerüsteten und moralisch hochmotivierten Gegner. Dieser Außendruck hat in der Demokratischen Partei weltanschauliche Orthodoxien wachsen lassen, die es noch vor zwanzig Jahren nicht gab. Dabei geht es ja auch nicht alleine um die Sachpositionen an sich, sondern auch um die fiebrige Intensität, mit der sie vertreten werden, auch die zunehmende Intoleranz, mit der schon geringe Abweichungen von der Parteilinie geahndet werden.

Man kann heute die meisten liberalen Parteiaktivisten auch nachts um drei Uhr wecken und sie könnten noch immer im Halbschlaf die fünf wichtigsten Ziele liberaler Politik nennen; ob das wohl den Mitgliedern der SPD oder der CDU in der Ära Merkel auch gelingen würde? Wahrscheinlich nicht, vielleicht nicht einmal mitten am Tag, nach drei Tassen Kaffee. Denn dort hat man eben nicht das Gefühl, die eigene Position an jener des Gegners schärfen zu müssen, um bereit zu sein für eine politisch essenzielle Auseinandersetzung. Diese Dialektik der Polarisierung und die Logik der Feindes-Anverwandlung sind der Grund, warum der Begriff der „asymmetrischen Polarisierung“ letztlich wenig Substanz besitzt.

Im Übrigen: Nur weil man feststellt, dass sich beide Seiten weltanschaulich aneinander hochgearbeitet haben, muss man ja nicht gleich jede Äußerung mancher republikanischer Politiker der Rubrik der Sachpolitik zuordnen, darf vieles auch weiterhin wahlweise für fanatisch, verschroben, erlogen oder einfach nur skurril halten. Vielleicht trifft die Konklusion eines liberalen Bloggers die ganze Sache daher gar nicht so schlecht: „The left’s gone left but the right’s gone nuts.“[2]

Dr. Torben Lütjen vertritt derzeit Prof. Dr. Franz Walter als Direktor des Instituts für Demokratieforschung. Im Sommer/Herbst 2016 wird sein Buch über die ideologische Polarisierung der USA erscheinen.

 
[1] Mann, Thomas E./Ornstein, Norman J.: It’s even worse than it looks. How the American constitutional system collided with the new politics of extremism, New York 2012, S. XIV.
[2] Robert, David: The left’s gone left but the right’s gone nuts, in: Grist, 11.07.2012, URL: http://grist.org/politics/asymmetrical-polarization-the-lefts-gone-left-but-the-rights-gone-nuts/ [eingesehen am 25.01.2016].