Tea-Party vs. Occupy

[analysiert]: Paru-Fiona Ludszuweit über den Einfluss sozialer Bewegungen auf das Parteiensystem in den USA.

Was geschieht, wenn sich Menschen zwar eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Situation wünschen, aber wenig Vertrauen in die Politik und die eigene Regierung haben? Dann entsteht ein Dilemma. Laut William Galston von der Brookings Institution spiegelt sich dieses Dilemma in der gegenwärtigen politischen Atmosphäre in den USA wider. Zum einen ist das Vertrauen in die Politik extrem gering, zum anderen hat das amerikanische Volk erkannt, dass die starke Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten zu keiner Einigung in jenen Bereichen führen wird, die ihnen am wichtigsten erscheinen – allen voran die Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze.

Trotz Barack Obamas Bemühungen um überparteiliches Handeln in Zeiten der Krise ist die gesellschaftliche Polarisierung in den USA im Laufe seiner Präsidentschaft laut einer Umfrage des Pew Research Centers so weit vorangeschritten wie nie zuvor. Gewiss war die Wahl Obamas zum Präsidenten im November 2008 an sich bereits ein wesentlicher Bedingungsfaktor für die Entstehung der erzkonservativen Tea Party-Bewegung. Aber auch unter den Anhängern der eher basisdemokratisch angelegten Bewegung Occupy Wall Street lassen sich viele enttäuschte Wähler ausmachen, die sich größere soziale und wirtschaftliche Reformen von der Obama-Regierung erhofft hatten.

Während eine zunehmende Politikverdrossenheit in der Mitte der Wählerschaft zu verzeichnen ist, haben sich in jüngster Zeit am Rande des linken und rechten Spektrums also soziale Bewegungen formiert, die auf nichts Geringeres ausgerichtet sind als auf eine radikale Veränderung des gegenwärtigen politischen Systems. Dabei ähneln sich die Tea Party-Bewegung und die Occupy Wall Street-Bewegung sogar in gewisser Weise, und zwar sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrer gesellschaftlichen Fundierung: Es handelt sich um dezentralisierte Bewegungen, so genannte grass roots movements, die in der schwersten wirtschaftlichen Krise der USA seit der Great Depression entstanden sind und durch lautstarken Protest versuchen, ihren Unmut gegenüber dem Establishment in Washington und den Finanzmärkten und Spekulanten an der Wall Street zum Ausdruck zu bringen.[1]

Nichtsdestotrotz handelt es sich natürlich um entgegengesetzte Bewegungen, die – wie sollte es anders sein – ebenfalls der politischen Spaltung im Land unterliegen und sich nicht nur hinsichtlich ihrer Anhängerschaft, sondern auch in ihren politischen Forderungen deutlich voneinander unterscheiden. Während die Anhängerschaft der Tea Party-Bewegung sich aus überwiegend weißen, männlichen, christlich-religiösen, gut verdienenden und gesellschaftlich angesehenen Mitgliedern zusammensetzt, besteht Occupy Wall Street vorwiegend aus jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildung. Die Anhänger der Tea Party können als radikale Verfechter von „No Big Government“ bezeichnet werden. Dagegen fordert eine große Mehrheit der Aktivisten von Occupy Wall Street eine faire Steuer- und Umverteilungspolitik der Regierung, um die immer größer werdenden sozialen und gesellschaftlichen Ungleichheiten in den USA zu minimieren.

Zwei Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 2009 hat sich die Tea Party als gesellschaftliche und politische Strömung erfolgreich in der republikanischen Partei etabliert. Mittlerweile gehören 60 der 435 Abgeordneten im US-Kongress dem Tea Party Caucus an, 17 von diesen 60 Abgeordneten erlangten im Zuge der Zwischenwahlen 2010 ihre Posten. Nun ist es keineswegs ungewöhnlich, dass die politischen Parteien in den USA immer wieder versuchen, von sozialen Bewegungen zu profitieren. Immerhin bedeutet dies einen Zugewinn an medialer Aufmerksamkeit und an Wählerstimmen. Nicht zuletzt schafften es die Republikaner mit Hilfe der Tea Party-Bewegung in den Zwischenwahlen 2010, die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus zu kippen. Einer Wahlanalyse zufolge bestanden 41 Prozent der Wählerschaft aus Tea Party-Unterstützern und 86 Prozent von ihnen stimmten für die Republikaner.

Die jüngsten Bemühungen der Demokraten, sich als Sympathisanten von Occupy Wall Street auszugeben, müssen aber wohl auch als Versuch dafür gesehen werden, diese basisdemokratische Bewegung zu kooptieren, um sich dadurch im Wahlkampf politische Vorteile zu verschaffen. Sowohl Vizepräsident Joe Biden als auch die Fraktionsvorsitzende der Demokraten Nancy Pelosi äußerten sich ihr gegenüber durchaus positiv. Und auch Präsident Obama erkannte das Potenzial der Bewegung und versuchte von ihr zu profitieren, als es etwa im September 2011 um die Verabschiedung des American Jobs Act ging.

Auch wenn die Occupy Wall Street-Bewegung in den Wintermonaten deutlich an Kraft verloren hat und vielleicht nur wetterbedingt nicht mehr fähig war zu protestieren, so deutet sie bereits für das kommende Frühjahr und für den Sommer 2012 vor der Präsidentschaftswahl neue landesweite Proteste an. Mittlerweile hat sie sich besser organisiert und vernetzt; Teile der US-Gewerkschaften etwa haben ihre Unterstützung bereits zugesagt und erhoffen sich ihrerseits positive Synergieeffekte.

Während viele republikanische Kongressabgeordnete und Tea Party-Anhänger die Aktivisten als Mob bezeichnen und ihnen ein „anti-amerikanisches“ Verhalten zuschreiben, identifizieren sich mittlerweile immer mehr Demokraten mit der Bewegung, vor allem wenn es darum geht, den Steuersatz für reiche Amerikaner zu erhöhen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Erfolg wird letztendlich daran zu messen sein, inwieweit es gelingt, desillusionierte Wähler für sich zu gewinnen und letztlich – bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen im November – wieder für Obama zu stimmen.

Dass dies jedoch nicht ungefährlich ist, zeigt der negative Einfluss der Tea Party-Bewegung auf die Handlungsfähigkeit des Kongresses, als es zum Beispiel um die Anhebung der Schuldenobergrenze ging. Auch mussten viele Republikaner erkennen, dass es sich bei ihren Kollegen um Politiker handelt, die mit einer gewissen Boshaftigkeit und ideologischen Penetranz jegliches Regierungshandeln zu torpedieren versuchen. Nicht nur die Demokraten, sondern auch die Republikaner im Kongress sind der Hartnäckigkeit und Kompromisslosigkeit der Tea Party-Abgeordneten oft ausgeliefert. Hinzu kommt, dass die Grand Old Party innerhalb der Wählerschaft und insbesondere unter den Independents durch den Einfluss der Tea Party-Bewegung immer weiter in Verruf geraten ist, was aus einer weiteren Meinungsumfrage des Pew Research Centers hervorgeht. Gerade diese Gruppe hat sich in den vorherigen Wahlen als relativ unbeständig und diffus erwiesen. Dennoch bestimmt sie zunehmend den politischen Richtungswechsel und stellt daher für republikanische wie demokratische Kandidaten gerade im Wahljahr eine ernst zu nehmende strategische Herausforderung dar.

Das heißt: Auf die demokratische Partei lauert vor allem das Risiko, die wichtigen Stimmen der Independents zu verlieren, sollte man sich zu wahltaktischen Motiven allzu sehr auf die Seite von Occupy Wall Street schlagen. Ohnehin ist Präsident Obamas Rückhalt bei den Independents von 52 Prozent im November 2008 auf 41 Prozent im Oktober 2011 gesunken. Das sollte Warnung genug sein. Denn eine Fortsetzung dieses Negativtrends könnte sich auf die Präsidentschaftswahl fatal auswirken. Die kommenden Monate bis zur Präsidentenkür im Herbst werden – nur das ist sicher – von diesen strategischen Herausforderungen aller politischen Lager geprägt sein.

 Paru-Fiona Ludszuweit ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] Paul West, „Is Occupy Wall Street a Tea Party for Democrats?,” in: Los Angeles Times, 06.10.2011, http://articles.latimes.com/2011/oct/06/nation/la-na-occupy-political-20111007.