Studie zu NoPegida

Beitrag verfasst von: Franz Walter

Themen:

Analysen der Pegida-Bewegung

[analysiert]: Franz Walter über die soziale Zusammensetzung der Gegenbewegung zu Pegida

Wo Pegida zusammenkommt, formiert sich Gegenprotest. Von Ost bis West, von Nord bis Süd waren etliche Kundgebungen zu beobachten, die in der Summe weit mehr Bürger auf die Beine brachten als Pegida und ihre Ableger selbst. Allerdings, NoPegida ist bisher unerforscht, während ihr Gegenüber nicht nur medial höchste Beachtung erfährt, sondern auch vonseiten der Sozialwissenschaft. Was wissen wir über die Teilnehmer dieser Anti-Pegida-Veranstaltungen? Wie sehen sie Politik und Gesellschaft? Was ist ihnen – im Gegensatz zu den Pediga-Demonstranten – besonders wichtig? Was treibt sie an?

In den letzten 14 Tagen präsentierten gleich drei Forschungseinrichtungen der Republik die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu den Teilnehmern an Pegida-Demonstrationen in Dresden. Stellenweise wichen einige Angaben voneinander ab. Aber im Ganzen stimmten die Studien darin überein, dass man es mit Aufmärschen überwiegend männlicher Sachsen zumeist mittleren Alters zwischen 45 und 50 Jahren zu tun habe, die einer Erwerbsarbeit nachgehen. Sie gehören keineswegs zu den sozial komplett abgehängten Schichten, sind aber höchst misstrauisch gegenüber Parteien, Medien und Regierungen und fordern mit Verve mehr direktdemokratische Elemente, um den Willen des Volkes auch tatsächlich umzusetzen. Unsere Ergebnisse zu den Pegida-Demonstranten gibt es hier.

Grafiken der Umfragergebnisse zu NoPegida

Zu den Aktivisten aus dem Anti-Pegida-Lager lagen indes noch keine Daten vor. Nun kann das Göttinger Institut für Demokratieforschung erste Ergebnisse vorstellen. Dafür wurden Umfragen bei NoPegida-Demonstrationen in Braunschweig und Duisburg (beide am 19.1.2015) sowie in Leipzig (21.1.2015) durchgeführt. Insgesamt 5000 Anschreiben wurden verteilt, mit denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstrationen zu einer Online-Umfrage gebeten wurden. Die Handzettel umfassten neben dem Link zur Umfrage einen QR-Code. Insgesamt 628 NoPegida-Teilnehmer beantworteten die Fragen. Eine zwingende Repräsentativität der Resultate wird – wie auch bei der explorativen Studie zu Pegida – nicht beansprucht. Und trotz methodischer Einschränkungen erhält man einen präziseren Einblick in Zusammensetzung und Einstellungsmuster eines beträchtlichen Teils derer, die sich an kalten Januartagen aufgemacht haben, um in Innenstädten ein deutlich vernehmbares Veto gegen das zu verkünden, was Pegida und ihre Ableger postulieren.

Dabei fallen natürlich die Differenzen zwischen den so gegensätzlichen Demonstrationskulturen unmittelbar ins Auge. NoPegida-Protestierende sind weit jünger. Während bei den Pegidisten die 36- bis 45-Jährigen mit rund 55 Prozent dominieren, sind es bei den Gegnern die 16- bis 35-Jährigen, die das Feld mit etwa 45 Prozent beherrschen. In jedem Fall bemerkenswert ist, dass die verrenteten oder pensionierten Bürger, welche die widersetzlichen Aktionen gegen Stuttgart 21 und andere größere Infrastrukturprojekte Anfang des Jahrzehnts trugen, in beiden gegenwärtigen Protestlagern nur noch im geringen Umfang auftauchen.

Die Anti-Pegidisten sind nicht nur signifikant jung, sondern auch in großer Zahl Singles und kinderlos. 58 Prozent der von uns befragten Gegner von Pegida haben keinen Nachwuchs (bei ihren Kontrahenten sind es lediglich 29 Prozent). Die Opposition zu Pegida ist überdies erheblich stärker weiblich geprägt. Der Anteil von Frauen im Sample des Göttinger Instituts macht fast vierzig Prozent aus (beim Gegenüber: gut 18 Prozent). Angesichts der Juvenilität von Anti-Pegida-Aktivisten verwundert es nicht, dass ein erheblicher Anteil noch in der Ausbildung ist. Nur 47 Prozent sind voll erwerbstätig, während die andere Seite, soweit sie auskunftswillig war, mit rund 77 Prozent Vollerwerbstätigen aufwarten konnte. Doch gibt es, nimmt man nur die rohen sozialstrukturellen Faktoren, auch Ähnlichkeiten. Im Bildungsgrad unterscheiden sich die beiden Demonstrationstypen nicht; in beiden Sphären machen Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen etwas mehr als ein Drittel aus. Schaut man auf die Variable „religiöse Orientierung“, dann stehen hier wie dort die Konfessionslosen an der Spitze. Offenkundig scheint Dissidenz gegenüber Kirchlichkeit säkularisierten Aktivismus zu fördern; das war historisch nicht immer so.

Aber deutlich ist, natürlich, die kulturell-politische Kluft zwischen Pegida auf der einen und Anti-Pegida auf der anderen Seite. Die NoPegidisten siedeln unverkennbar im rot-grünen Spektrum. Bei der letzten Bundestagswahl haben diejenigen, die an der Befragung mitgewirkt haben, zu 37 Prozent die Grünen, zu 15 Prozent die LINKE und zu 25 Prozent die Sozialdemokraten gewählt. Frühere CDU-Wähler sind (mit fünf Prozent) hingegen rar. Indes, würde heute gewählt, könnte allein die LINKE ihr Ergebnis halten, während Grüne Einbußen von zwölf Prozentpunkten, die Sozialdemokraten von rund sieben Prozentpunkten zu verkraften hätten. Die Abtrünnigen haben sich allerdings derzeit nicht einer anderen Parteiformation angeschlossen, sondern wissen einfach noch nicht, wem sie ihre Stimme geben möchten. Auch hier also sind Unzufriedenheiten mit den „Etablierten“ des Parlamentarismus nicht zu ignorieren.

Von denen, die demonstrieren und zugleich einer Partei angehören, besitzen die meisten (rund fünf Prozent) ein sozialdemokratisches Parteibuch. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein erfreuliches Signum für die SPD. Andererseits liegt nirgendwo sonst die Zahl der in den letzten Jahren ausgetretenen Parteimitglieder so hoch wie in der Truppe von Sigmar Gabriel. 46 der 628 befragten Anti-Pegida-Demonstranten erklärten, dass sie nach anfänglicher Zugehörigkeit die SPD mittlerweile verlassen haben.

Die rot-grüne Sinnesart wird besonders deutlich bei den Antworten auf die Frage, was in unserem politischen System an Bedeutung gewinnen sollte. Den Pegida-Unterstützern in Dresden fielen zuvörderst Recht und Ordnung sowie nationale Interessen ein. Ihre Widersacher plädieren hingegen prononciert für Gleichstellung, Solidarität und Umverteilung. Letztere Forderung wird weltanschaulich noch dadurch untermauert, dass die NoPegida-Befürworter ihr größtes Misstrauen gegen Großkonzerne und Banken bekunden und der freien Marktwirtschaft (zu 97 Prozent) keine größere Relevanz mehr zumessen mögen.

Interessant ist, dass Teile der NoPegida-Aktiven offenkundig frühere Vorbehalte gegen die Macht- und Gewaltapparate des Staates aufgegeben haben, da Polizei und Justiz nun mit zumindest gemäßigt freundlichen Vertrauenswerten bedacht werden. Mindestens ebenso interessant ist, dass Sympathien für eine plebiszitäre Demokratie sich markant abgekühlt haben. Nur 17 Prozent sind noch voll und ganz von direktdemokratischen Elementen überzeugt. Auf Pegida-Kundgebungen in Dresden stieß man kurz zuvor auf Zustimmungswerte von über siebzig Prozent für eine Referendumsdemokratie. Es ist möglich, dass der neue rechte Furor die eher links orientierte Gegenseite in politischen Kernaussagen gemäßigt hat. Dass die politische Elite in diesem Land korrupt sei, will doch kaum einer der Pegida-Kritiker für eine richtige Feststellung halten. Auch im Vergleich zu den Stuttgart21-Gegnern vor einigen Jahren sind die NoPedigisten heute mit der Lage der Republik und dem Zustand der Demokratie erkennbar weniger unzufrieden. In der schwäbischen Metropole erfreute sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Bahnhofsneubau bei der übergroßen Mehrheit der Demonstranten der Ruf nach Volksbegehren und -entscheiden denkbar großer Beliebtheit. Hier scheint links der Mitte Ernüchterung eingetreten zu sein.

Im Gegensatz zum Pegida-Milieu bekennen sich die Gegendemonstranten mit großer Mehrheit zur kulturellen Vielfalt, der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland und dem Willkommen von Ausländern in der eigenen Nachbarschaft. Demgegenüber leuchtete der großen Mehrheit der Befragten keineswegs ein, dass Kinder eine Mutter und einen Vater haben sollten und dass Eigenverantwortung zu den wünschenswerten Bürgertugenden der Zukunft zu zählen habe.

Eine Gemeinsamkeit zwischen den Demonstrationslagern findet man dann aber doch. Auf beiden Seiten ist kaum jemand der Auffassung, dass man in einer alternden Gesellschaft länger arbeiten müsse, um die Renten oder Pensionen finanzierbar zu halten.

Franz Walter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen.