[präsentiert]: Aktuelle Forschungsergebnisse zu den Pegida-Protesten.
Was ist „Pegida“? Wer nimmt an ihren „Abendspaziergängen“ durch Dresden teil? Und was motiviert so viele Menschen seit Oktober vergangenen Jahres wöchentlich „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straße zu gehen? Das sind Fragen, für die sich nicht nur die Medien, sondern mit fortschreitender Protestdauer auch universitäre Sozialforscher interessieren. Wissenschaftler der TU Dresden legten unlängst Ergebnisse vor und stellten darin den „typischen“ Pegida-Demonstranten vor. Auch das Göttinger Institut für Demokratieforschung initiierte während der Pegida-Demonstration am 12. Januar eine Online-Umfrage, an der sich insgesamt rund 500 Teilnehmer der Demonstration beteiligten.[1]
Vorab: Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um eine repräsentative Studie. Uns ist bewusst, dass dezidierte rechtsextreme Aktivisten, notorisch Misstrauische sowie im Umgang mit elektronischer Kommunikation ungeübte Zeitgenossen nicht in dem Untersuchungssample auftauchen dürften. Insofern sagen die Resultate der Erhebung nur etwas über eben diese 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Pegida-Demonstration aus.
Grafiken der Umfrageergebnisse (Fallzahlen s. [2])
Dennoch bilden sie unzweifelhaft eine Gruppe, die sich von den Losungen und Parolen angezogen und aktiviert fühlt. Sie mögen nicht den harten ideologischen Kern ausmachen, aber sie gehören zu denen, die sich für die Demonstrationsziele rekrutieren und mobilisieren ließen. Sie sind Ausdruck eines politischen Gärungsprozesses, der Teile der deutschen Gesellschaft rechts der Mitte erfasst hat.
In den nächsten Wochen werden wir durch Gesprächsrunden die Forschungsarbeit fortführen, um weitere und tiefere Einsichten in die Motivlagen und Beweggründe der Pegida-Demonstranten zu gewinnen; auch über die die NoPegida-Demonstranten liegen mittlerweile erste Ergebnisse vor. Insofern stellen die im Folgenden dargestellten Daten aus der Dresdener Onlinebefragung eher den Beginn als den Abschluss unserer Untersuchungen zum Protestphänomen Pegida dar. Einige Details sind allerdings schon jetzt bemerkenswert.
Männlich, mittleren Altern, nicht sozial ausgegrenzt
An der Göttinger Befragung nahmen 81,5 Prozent Männer und 18,5 Prozent Frauen teil. Am stärksten vertreten waren die 46- bis 55-Jährigen, mit 31,8 Prozent, gefolgt von den 36- bis 45-Jährigen mit 22,8 Prozent. Damit unterscheidet sich die Altersstruktur von den politisch-kulturell ganz anders gearteten Protestaktionen vor einigen Jahren etwa gegen Stuttgart 21. Hier hatte unsere Online-Umfrage einen deutlichen Überhang der über 55-Jährigen festgestellt, davon eine große Mehrheit mit akademischen Titeln oder Zertifikaten.
Die Quote der formal Hochgebildeten ist bei Pegida demgegenüber erheblich geringer, aber proletarische Züge tragen die neuen Demonstranten von rechts auch nicht. Das muss, wie man aus der Entstehungszeit und Verlaufsgeschichte anderer rechtspopulistischer Bewegungen in Europa weiß, nicht so bleiben. Fast immer stand am Anfang die verunsicherte soziale Mitte; die von Sozialisten und Sozialdemokraten enttäuschten Arbeiter und Arbeitslosen schlossen sich als Wähler erst später dem Populismus von rechts an, dann aber in rasch wachsender Zahl.
35 Prozent sind im Besitz eines Universitäts- und Fachhochschulzertifikates; als Absolventen von Haupt- oder Volksschulen gaben sich unter den Teilnehmern der Umfrage lediglich 0,6 Prozent aus. Auch der Arbeiteranteil lag bei der Expertise nur bei 7,1 Prozent, gegenüber Angestellten mit 37,3 Prozent und Freiberuflichen/Selbstständigen mit 16,2 Prozent. 77 Prozent sind voll erwerbstätig; 9,2 Prozent beziehen Rente. Zusammen: Einem sozial ausgegrenztes „Prekariat” gehören die 500 „Pegidisten“, die uns Auskunft gaben, gewiss nicht an. Bezeichnend ist sicher, dass nur acht Prozent von ihnen die heutige Lage in der Bundesrepublik als sehr gut bezeichneten, indes aber 41 Prozent die eigene Lage mit diesem Prädikat kennzeichneten.
Den Ergebnissen folgend wird deutlich, dass die meisten der Befragungsteilnehmer in Dresden und Umgebung wohnen. Gut zehn Prozent leben jenseits der sächsischen Landesgrenze, vor allem in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Der überwiegende Teil der Befragten (95 Prozent) gab an, an diesem 12. Januar zum ersten Mal an einer Pegida-Demonstration teilzunehmen.
Würde heute in Sachsen gewählt: 88,2 Prozent Zustimmung für die AfD
Kein Zweifel: Die Pegida-Aktivisten streben zu einer neuen politischen Repräsentanz – und das ist die Alternative für Deutschland. 11,5 Prozent der untersuchten Gruppe gehören ihr bereits auch als Parteimitglied an. Von denen, die bei der letzten Bundestagswahl eine Partei gewählt haben, hatten sich 44,8 Prozent für die AfD entschieden, 28,5 Prozent für die CDU/CSU und immerhin 6,8 Prozent für die Linke sowie sechs Prozent für die SPD. Die übrigen Parteien erhielten jeweils weniger als fünf Prozent. Bei den letzten Landtagswahlen war die AfD in diesem Kreis gar auf 51,1 Prozent gekommen. Würde heute gewählt, so könnte sich die AfD hier über 88,2 Prozent Zustimmung freuen; die Union stürzte in dieser Sonntagsfrage auf 2,7 Prozent ab.
Am wenigsten Vertrauen genießt der Bundespräsident
Wir fragten in unserer Befragung auch danach, welchen Institutionen und Personen der Bundesrepublik am meisten Vertrauen entgegen gebracht werde. Die Antwort: Am meisten der Polizei, gefolgt vom Bundesverfassungsgericht und den Unternehmern. Am wenigsten Vertrauen genießt der Bundespräsident, gefolgt von der Bundeskanzlerin, der EU und die während Pegida-Demonstrationen häufig als „Lügenpresse“ beschimpften öffentlich-rechtlichen Medien. Es fällt dabei auf: Die Parteien ziehen weniger starkes Misstrauen auf sich. 40 Prozent der Befragten sind mit der Idee der Demokratie sehr zufrieden, aber nicht mit deren Realität in der Bundesrepublik, die nur von 0,9 Prozent gleichermaßen geschätzt wird.
Für mehr „Recht und Ordnung“ und mehr „Meinungspluralismus“
Auf die Frage, was im System der Republik eine größere Bedeutung gewinnen sollte, steht an erster Stelle Recht und Ordnung. Als wichtig werden auch nationale Interessen und der Meinungspluralismus genannt. Gänzlich unwichtig erscheint den Teilnehmern, die uns Auskunft gaben, Minderheitsschutz und Gleichstellung. Direktdemokratische Partizipationsmöglichkeiten und die Gewaltfreiheit von Protestaktionen waren ihnen indes überaus wichtig. Gespalten fallen die Angaben zum Verhältnis von Staat und Selbstverantwortung aus. 62 Prozent unterstützen die Forderung, dass der Staat mehr Verantwortung für die Gewährleistung des Bürgerwohls zu übernehmen habe. 63 Prozent finden es allerdings ebenfalls wichtig, dass die Menschen in Zukunft mehr Eigenverantwortung übernehmen sollen.
An anderen Stellen zeigt sich ein deutlicheres Bild: Nicht viel halten die Befragten von der These, dass die Menschen in alternden Gesellschaften länger arbeiten sollten. Auch die Rückkehr der D-Mark anstelle des Euros ist nur knapp einem Viertel eine Herzensangelegenheit. Hingegen findet die Aussage, dass Kinder „Mütter und Väter brauchen“ größte Zustimmung. Schließlich, und das ist nicht überraschend, auf den deutlichsten Widerspruch stößt der Satz: “Auch der Islam gehört zu Deutschland.” Knapp Dreiviertel stimmt dieser Aussage „eher nicht“ und „überhaupt nicht“ zu.
Die hier vorgestellten Ergebnisse beruhen auf einer Online-Umfrage, die am 12. Januar 2015 während der Pegida-Demonstration in Dresden initiert wurde.
Franz Walter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen.
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[1] Update (21.01.2015): Dieser Blog-Beitrag fußt auf Ergebnisse einer explorativen Umfrage, die das Göttinger Institut für Demokratieforschung unter den Teilnehmern der sogenannten Pegida-Demonstration am 12. Januar 2015 in Dresden durchgeführt hat. Dazu wurden dort insgesamt 3.500 Anschreiben verteilt, mit denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration zu einer Online-Umfrage gebeten wurden. Die Handzettel umfassten neben dem Link zur Umfrage einen QR-Code. Es wurden parallel zu dem Verteilen der Handzettel verkürzte Fragebogen erhoben, die das Geschlecht, die Teilnahmefrequenz an Pegida-Demonstrationen, den Wohnort, das Alter sowie das Erwerbsverhältnis vor Ort erfragten, um eine Kontrolle des Samples zu ermöglichen. Insgesamt beteiligten sich bis zur Schließung der Umfrage am 16.01.2015 insgesamt 482 Personen an der Online-Befragung; 358 davon antworteten auf sämtliche Fragen.
[2] Update (21.01.2015): Bild 1: durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen: n=321 k.A.=161; Bild 2: Wahl letzte Landtagswahl: n=277 k.A.=205; Bild 3: Familienstand: n=352 k.A.=130; Bild 4: Bedeutung im politikgesellschaftlichen System: n=369 k.A. =113; Bild 5: Geschlecht: n=351 k.A.=131; Bild 6: höchster Bildungsabschluss: n=355 k.A.127; Bild 7: Religionsgemeinschaft: n=348 k.A.=134; Bild 8: Bundesland: n=40 k.A.=2 (bezieht sich nur auf die 42 die „anderes Bundesland“ als Wohnort angegeben haben); Bild 9: Wohnort: n=357 k.A.=125; Bild 10: Vertrauen: n=342 k.A.=140; Bild 11: Wahl letzte Bundestagswahl: n=281 k.A= 201; Bild 12: Alter: n=346 k.A.=136; Bild 13: Zufriedenheit mit Demokratie: n=344 k.A.=138; Bild 14: Erwerbssituation: n=348 k.A.=134