Strategie oder Rückkehr zum Konservativen?

Beitrag verfasst von: Michael Freckmann

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[analysiert]: Michael Freckmann über die CDU nach ihrem Bundesparteitag in Essen.

Auf ihrem diesjährigen Bundesparteitag in Essen rang die CDU um eine Reaktion auf die „Flüchtlingskrise“. Nach herben Niederlagen bei mehreren Landtagswahlen und angesichts des rasanten Aufstiegs der AfD ist die Christdemokratie ein knappes Jahr vor den Bundestagwahlen verständlicherweise nervös. Auf Druck der Basis rückt die Partei nun auf den Feldern der Migrations- und Innenpolitik nach rechts. Strategisch sollen damit weitere Verluste an die AfD verhindert werden.

Über eine Rebellion vonseiten der Basis gegen Merkels Flüchtlingspolitik war bereits vor dem letzten Bundeparteitag in Karlsruhe im Dezember 2015 spekuliert worden. Doch ein Aufstand blieb damals aus, nahezu alle Delegierten stimmten den Anträgen des Bundesvorstands letztlich zu. Die CDU-Führung konnte nun ihre Politik insbesondere im Bereich Migration fortsetzen – auch in der Hoffnung, die Zustimmung zur AfD würde infolge der zurückgehenden Flüchtlingszahlen ebenfalls schwinden.

Im vergangenen Jahr galt in der CDU noch mehrheitlich, sich einer AfD von Höcke, Petry und Gauland, die für viele Christdemokraten zu extrem und daher unattraktiv war, abzugrenzen. Doch nach den folgenden Landtagswahlen im Jahr 2015 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin bekam die CDU aufgrund der hohen Wählerverluste Probleme an der Basis. Und obwohl die AfD-Wähler auch stark von der SPD und den Linken kamen, verlor doch die CDU oftmals am stärksten[1]. Noch in den Landtagswahlkämpfen konnten diejenigen Spitzenkandidaten, die sich gegen Merkels Flüchtlingspolitik positioniert hatten, davon an der Wahlurne nicht profitieren; ihnen war ihre Distanzierung in diesem Thema nicht (mehr) abgenommen worden.

Trotz zurückgegangener Flüchtlingszahlen hat sich der aktuelle Debattenschwerpunkt nun auf die Themen Integration und innere Sicherheit verlagert, wovon wiederum die AfD weiterhin stark profitiert. Und so haben sich in den vergangenen Monaten die Bundesvorstandsmitglieder Jens Spahn und Thomas Strobl etwa in Bezug auf Abschiebungen und Burkaverbot zu Wort gemeldet[2] und versucht, das konservative Profil ihrer Partei zu schärfen.

Auf dem diesjährigen Parteitag in der Essener Grugahalle nahmen die Themen Migration und innere Sicherheit dann auch einen hohen Stellenwert ein. Der Leitantrag des Bundesvorstandes, „Orientierung in schwierigen Zeiten“, liest sich nun auch wie ein verspätetes politisches Echo auf die AfD. Formulierungen wie: „Unsere Antwort auf Globalisierung ist Heimat“, die prononcierte Rede von der „nationalen Identität“ sowie von einer deutschen „Schicksalsgemeinschaft“ ähneln den Leitformeln der AfD-Wahlkämpfe seit Anfang des Jahres.[3]

Merkel, in ihrer Rede sehr auf ihre Rolle als Krisenmanagerin auf dem internationalen Parkett bedacht und mit einem Schwerpunkt auf den Themen Globalisierung und Digitalisierung, widmete sich auch dem Thema innere Sicherheit. Als sie über ein Burkaverbot sprach, spendete das bis dahin eher konzentriert wirkende Publikum geradezu tosenden Beifall. Mit dem Satz: „Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen“, versuchte Merkel, die Diskussion über die Flüchtlingskrise für beendet zu erklären, und bewegte sich zugleich, wie etwa auch mit der Rede von „unserem Deutschland“, deutlich auf den verstimmten konservativen Flügel zu: „Ich habe euch viel zugemutet“, betonte Merkel den Delegierten gegenüber und wurde von diesen mit 89,5 Prozent zur Parteivorsitzenden wiedergewählt – sieben Prozent weniger als vor zwei Jahren.

Auch in den Parteitagsdebatten – für Delegierte immer eine Möglichkeit, das Wort zu ergreifen – ging es oft um die Themen Migration und innere Sicherheit; so hatte es etwa eine verschärfte Abschiebepraxis in den Leitantrag geschafft[4]. Außerdem stimmte der Parteitag auf Initiative der Jungen Union gegen die gerade eingeführte Regelung der doppelten Staatsbürgerschaft; und eine ähnlich ausgiebige Debatte wurde zum Thema Wohnungseinbrüche und Kriminalitätsbekämpfung geführt.

Merkels programmatische Modernisierungsbemühungen haben sich in den letzten Jahren auf die Arbeitsmarkt-, Familien-, und Umweltpolitik, sowie auf das Ausländerrecht bezogen. Mit dieser Öffnung hin zu neuen Wählerschichten hat die Partei bei den letzten Bundestagswahlen Stimmen gewonnen.[5] Dieser programmatische Schwenk, der sich eher an den sozial-katholischen denn an den wirtschaftsliberalen oder konservativen Teil der CDU gerichtet hat, rief schon seit Längerem Unbehagen in der Partei hervor, welcher jedoch in der Minderheit blieb. Die Verfasser des Textes „Moderner bürgerlicher Konservatismus“ von 2007 konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie einzelne langjährige Vertreter dieser Richtung, wie etwa Wolfgang Bosbach oder Erika Steinbach. Somit mangelte es der Kritik immer an führenden Personen sowie an einem Fundament in der Partei; außer der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung war dafür niemand in Sicht. Und Mehrheiten in der Partei vertraten beide nicht.

Neben der seit Langem anhaltenden, grundsätzlichen Schwäche der Konservativen war aus Sicht des Parteienwettbewerbs immer wichtig, nicht allzu weit nach rechts zu rücken, um in der „Mitte“ Stimmen zu gewinnen. Ging es der CDU in den vergangenen Jahren um die Beschwichtigung der konservativen Seite der Partei und darum, diesen für sie bei Wahlen wichtigen Flügel zu integrieren, sollen nun Menschen zurückgewonnen werden, welche die CDU verlassen haben oder sie nicht mehr wählen.

Die CDU muss also den Spagat vollbringen, nach rechts zu integrieren, ohne nach links zu verlieren. Zugleich müssen derzeit zentrale Themen in den Augen der zweifelnden Wähler glaubwürdig besetzt werden. So bietet sich nun auf Druck der Basis dem konservativen Flügel die Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen. Da ihm nun parteiintern wieder mehr Raum gegeben wird, findet gleichzeitig eine stärkere Integration dieses Flügels innerhalb der Partei statt. Ob dies aber auch langfristige programmatische Folgen hat, bleibt abzuwarten.

Auch wenn die CDU bei den Themen Migration und innere Sicherheit nun deutlich konservativer auftritt, wird sie die vorangetriebene Liberalisierung in den Bereichen Ehe, Familie und Arbeitsleben ohne Stimmenverlust in der Mitte nicht wieder zurückdrehen können. Andererseits bietet sich die AfD mit ihrer rechtskonservativen Gesellschaftspolitik als konsequente Alternative an. Merkel profitiert von ihrer eigenen Alternativlosigkeit in der CDU – jetzt mehr denn je. Für die kommenden Wahlen bedeutet dies, dass es für die CDU im Bundestagswahlkampf zunehmend schwieriger wird, mit der Konkurrenz von rechts und einem möglichen Wiedereinzug der FDP ihre mittige Rolle im Parteiensystem zu behaupten.

Michael Freckmann arbeitet als studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

[1] Für Wählerwanderungen siehe URL: http://www.wahl.tagessschau.de.

[2] Siehe Schulz, Sandra: „Rechtliche Hürden für Abschiebungen abbauen“, in: Deutschlandfunk, 07.12.2016, URL: http://www.deutschlandfunk.de/jens-spahn-cdu-rechtliche-huerden-fuer-abschiebungen-abbauen.694.de.html?dram:article_id=373296 [eingesehen am 07.12.2016]; o.V.: CDU-Politiker Spahn will Burka-Verbot, in: Die Welt, 30.07.2016, URL: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article157406406/CDU-Politiker-Spahn-will-Burka-Verbot.html [eingesehen am 07.12.2016]; o.V.: Strobl: Abschiebung kranker Asylbewerber sollte kein Tabu sein, in: Der Tagesspiegel, 05.12.2016, URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/cdu-parteitag-in-essen-strobl-abschiebung-kranker-asylbewerber-sollte-kein-tabu-sein/14933976.html [eingesehen am 07.12.2016].

[3] Vgl. Hensel, Alexander et al.: OBS-Arbeitspapier Nr. 20: Die AfD vor den Landtagswahlen 2016 – Programme, Profile und Potenziale, 2016.

[4] Siehe o.V.: CDU will verschäfter Abschiebepraxis zustimmen, in: Zeit Online, 05.12.2016, URL: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-12/cdu-parteitag-essen-fluechtlingspolitik-angela-merkel-thomas-strobl [eingesehen am 07.12.2016].

[5] Siehe Jung, Matthias: Die AfD als Chance für die Union, in: Politische Studien, Jg. 66 (2015), H. 460, S. 47-57, URL: http://www.forschungsgruppe.de/Publikationen/PS_460_047_057_Analyse_Jung.pdf [eingesehen am 07.12.2016].