Die Debatte um eine mögliche Direktwahl des Bundespräsidenten ist beinahe so alt wie das Amt selbst. Richtig wird die Forderung dadurch noch lange nicht. Aufwind jedoch erhielt sie in jüngster Zeit durch Plädoyers ehemaliger Bundespräsidenten wie Horst Köhler oder indirekt Roman Herzog. Aber auch die Fülle von Sympathiebekundungen, die der unterlegene Kandidat Joachim Gauck vor dieser Präsidentenwahl erhielt, gab der Forderung nach direktem Eingreifen des Wählers in die politischen Entscheidungsabläufe neue Nahrung.
Als Gründe für eine Beteiligung werden angeführt, dass der neue Präsident sodann besser demokratisch legitimiert sei, die Systemzufriedenheit steige, mitunter könne damit gar das verloren gegangene Vertrauen in das deutsche Parteiensystem insgesamt wiederhergestellt werden. Die Direktwahl des Bundespräsidenten also als praktische Universallösung?
Mitnichten, denn vieles spricht dagegen und seien die partizipatorischen Gedankenspiele noch so farbig und reizvoll – eine Direktwahl eines Staatsorgans, das im Wesentlichen repräsentative Funktionen inne hat, ist nicht vermittlungsfähig und verfassungsrechtlich wenig durchdacht: Das höchste deutsche Staatsamt hätte mit seiner gegenwärtigen Machtlosigkeit keinerlei praktische Möglichkeit, seine Wählerbestätigung auch nur im Entferntesten in der Praxis tauglich umzusetzen. Eine Erweiterung seiner Befugnisse wäre aber ebenso fatal: Bereits die Väter des Grundgesetzes legten dem Wähler eine ausgeglichene Machtbalance vor, die die Verfassungsorgane in einem ausgeklügelten Gleichgewicht hält. Nicht auszudenken, wenn ein gewählter Bundespräsident direkt in politische Prozesse eingreifen würde, etwa weil er im Gegensatz zum Bundeskanzler über mehr demokratische Legitimation verfügen würde.
Aber selbst halbdirekte Wahlen mit direkt gewählten Wahlmännern einerseits und Parteienvertretern andererseits sind als politische Komplexitätsreduktionen oder als Lösungen gegen Demokratieunzufriedenheit völlig ungeeignet. Schnellen Stimmungswechseln in der Bevölkerung unterworfen, verkämen derartige Abstimmungen zu Denkzettelwahlen für die Bundesregierung, bei der über den politischen Kurs des Kanzlers und eben nicht über eine rein personelle Entscheidung abgestimmt werden würde. Außerdem würde mit den Wahlmännern erneut eine Instanz zwischen dem Wähler und dem politischen Repräsentanten fungieren und die Komplexität der Abläufe mitnichten verringern.
Die Forderung nach einer größeren politischen Kontrolle und einer realen Mitwirkungsmöglichkeit fernab jeglicher Parteigrenzen mag legitim sein: in einer repräsentativen Demokratie ist jedoch das Amt des Bundespräsidenten so gut wie möglich von politischer Polarisierung fernzuhalten. Wie sollte er sonst später sein Amt ausführen können, wenn nur ein absehbar geringer Teil der Bevölkerung schließlich für den Sieger votieren würde und ein anderer Teil den Kandidaten weiterhin rundweg ablehnt?
Beim kurzen Vergegenwärtigen aller Unannehmlichkeiten kann eine Direktwahl des Bundespräsidenten nicht erstrebenswert sein: Die Wähler fortan polarisiert, die Parteien entmachtet, die verfassungsrechtliche Balance zumindest in Zweifel gezogen und das alles mit einem gewählten Bundespräsidenten, der dann einen Großteil seiner Amtszeit für das Zuschütten der Gräben verwenden müsste, über die seine Direktwahl eigentlich Brücken bauen sollte.
Andreas Wagner ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Demokratieforschung und befasst sich u.a. mit staatsrechtlichen Fragen.
Hier gehts zum Text von Michael Lühmann und Jonas Rugenstein: